Sollte man das Schweizer Rentensystem in der BRD übernehmen? Wenn "JA", warum? Wenn "Nein" warum nicht?

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Ralph Lenkert
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Frage von Wolfgang S. •

Sollte man das Schweizer Rentensystem in der BRD übernehmen? Wenn "JA", warum? Wenn "Nein" warum nicht?

Sehr geehrter Herr Lenkert.

ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich zu meiner Frage äußerten.

MfG
W. S.

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Schreiber,

vielen Dank für Ihre kurze, aber dann doch nicht einfach mit Ja oder Nein beantwortbare Frage. Prinzipiell bin ich der Meinung, dass gute, gesetzliche Renten, in die alle einzahlen und als Absicherung nach unten eine Mindestrente von 1.200,- Euro der bessere Weg sind. Private Altersvorsorge ist immer mit Zusatzkosten verbunden, die an die Versicherungen und andere Anbieter gezahlt werden müssen. Aktienbasierte Systeme haben Kursrisiken und sind z.B. in den USA zur Finanzkrise häufig kollabiert, hinzu kommen Inflationsgefahren. All diese Risiken gibt es bei der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente nicht. Dieser hat zwei Weltkriege, Hyperinflation und Wirtschaftskrisen überstanden. Erst die angeblichen Reformen seit Rot-Grün - und danach von allen Bundesregierungen fortgesetzt - bewirkten, dass bei vielen die Rente nicht mehr reicht. Diese Veränderungen wurden umgesetzt, sodass Allianz und Co. neue Geschäftsfelder erhielten und Aktienspekulanten mit den Geldern der Menschen zocken können. 

Nun noch ein paar genauere Informationen, die ich mir zuarbeiten ließ.

Rentensysteme sind historisch gewachsen und stehen in einem engen Zusammenhang mit der jeweiligen Arbeitsmarktpolitik, der Stärke oder Schwäche von Tarifparteien und dem Wohlstandsniveau einer Gesellschaft. Grob lassen Sie sich wie folgt unterscheiden 
-       Wer ist alles einbezogen? Alle Bürgerinnen und Bürger / Alle Erwerbstätigen / Nur bestimmte Gruppen
-       Was ist das Sicherungsziel? Den im Arbeitsleben erreichten Lebensstandard teilweise / vollständig sichern oder ,nur' ein Mindestschutz vor Altersarmut.
-       Welche Rolle spielt die private oder betriebliche Altersvorsorge? Zusätzliche Absicherung on top oder aufbauend auf Mindestrente den Lebensstandard sichern?
-       Wie wird sie finanziert? Paritätisch und (lohn-)beitragsbezogen, steuerfinanziert, kapitalgedeckt usw.?

In der wissenschaftlichen Debatte werden dann meist zwei Typen unterschieden: Einmal die sogenannten Bismarkschen Rentensysteme und auf der anderen Seite die sogenannten Beveridge Systeme. Dieser Gruppe werden die nordischen Staaten, die Niederlande, die Schweiz und Großbritannien zugerechnet. Es gibt dort meist eine steuerfinanzierte staatliche Grund- oder Mindestrente, die Menschen, die viele Jahre nichts oder sehr wenig verdient haben, ein armutsfeste Rente sichert, Menschen mit mittleren und höheren Einkommen aber zu niedrig ist. Diese Menschen werden dann oft über eine verpflichtende staatlich geförderte kapitalgedeckte Vorsorge oder obligatorische Betriebsrenten zusätzlich abgesichert. 

In den Bismarck-Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich oder Spanien sind die gesetzlichen Renten mehr oder weniger streng beitragsbezogen und damit bemisst sich ihre spätere Höhe am Lohn, den man während seines Berufslebens erzielt. Kapitalgedeckte Renten sind meist freiwillig und zusätzlich sollen für all diejenigen, die es sich leisten können, ihre Alterseinkünfte verbessern. In Deutschland wurde durch die Riesterreformen von diesem Idealtypus abgewichen. Die geförderten Riesterrenten sind zwar freiwillig, aber die gesetzliche Rente sichert nur noch einen Teil des Lebensstandards. Dieses Modell ist nach unserem Dafürhalten gescheitert. Wir kämpfen dafür, dass die gesetzliche Rente wieder alleine den Lebensstandard sichert.

In der Schweiz soll die gesetzliche, beitragsfinanzierte Rente (AHV) anders als bei uns nur die Existenz und nicht den erreichten Lebensstandard im Alter sichern. Nur gemeinsam mit der betrieblichen Altersvorsorge ist die Fortführung des gewohnten Lebensstandards gesichert. Die AHV wird - abweichend vom Beveridgesystem - im Umlageverfahren finanziert und es sind alle Einwohnerinnen und Einwohner des Landes in die AHV einbezogen. Man erhält später eine Rente, egal ob erwerbstätig oder nicht. Der Beitragssatz beträgt rund zehn Prozent und wird bei abhängig Beschäftigten je zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt und es gibt keine Beitragsbemessungsgrenze. Die AHV-Rente hat eine Unter- (1.100 Euro) und eine Obergrenze (aktuell 2.200 Euro monatlich) hat, Millionäre zahlen also viel mehr an Beiträgen, als sie später an Rente erhalten.

Wir wollen dieses System nicht in Gänze übernehmen, aber Vergleich des Rentenkonzepts der LINKEN mit dem Rentensystem in der Schweiz zeigt viele Übereinstimmungen oder interessante Instrumente auf, von denen wir im Wesentlichen drei Elemente und hier unsere entsprechenden Abschnitte aus dem Wahlprogramm zitieren: 

1.      Solidarische Mindestrente:
" Als Garantie führen wir eine Solidarische Mindestrente von 1.200 Euro für all jene ein, die trotz der Reformmaßnahmen in der Rente ein zu niedriges Alterseinkommen haben, um davon leben zu können. Denn wer heute auf lange Phasen mit schlechten Löhnen, Erwerbslosigkeit oder Krankheit zurückblicken muss, hat trotzdem Anspruch auf ein würdevolles Leben im Alter. Die Solidarische Mindestrente wird deshalb von der Rentenversicherung an alle Menschen im Rentenalter gezahlt - bei Erwerbsminderung als Zuschlag, im Einzelfall auch als Vollbetrag -, die im Alter weniger als 1.200 Euro Nettoeinkommen haben. Die Solidarische Mindestrente ist einkommens- und vermögensgeprüft. Sie wird aus Steuern finanziert. Die Unterhaltsansprüche nach dem BGB werden berücksichtigt. Mit Vermögensfreibeträgen stellen wir sicher, dass soziale Härten vermieden werden und normales, selbstgenutztes Wohneigentum unangetastet bleibt. Unser Versprechen lautet: Niemand soll im Alter von weniger als 1.200 Euro leben müssen. Die Solidarische Mindestrente wird regelmäßig am 1. Juli eines jeden Jahres im selben Maße erhöht, wie alle anderen gesetzlichen Renten auch."

2.      Erwerbstätigenversicherung:
"Als LINKES Kernprojekt beziehen wir alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Dazu haben wir ein Konzept entwickelt, das Solidarität und soziale Gerechtigkeit mit finanzieller Solidität und Stabilität verbindet. Wir stärken damit die gesetzliche Rentenversicherung und verhindern Armut im Alter und bei Erwerbsminderung. Unser Konzept der Solidarischen Erwerbstätigenversicherung bietet eine gesetzliche Alterssicherung auch für bislang nicht versicherte Selbstständige, Freiberufler*innen, Beamt*innen, Manager*innen und Politiker*innen. Wir wollen, dass alle Erwerbstätigen Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen."

3.      Beitragsbemessungsgrenze anheben und hohe Renten abflachen:
Die Beitragsbemessungsgrenze (für die allgemeine und die knappschaftliche Rentenversicherung sowie für die alten und die neuen Bundesländer) wird zunächst vereinheitlicht und dann in mehreren Schritten drastisch angehoben. Die Höhe der Rentenansprüche über dem Doppelten des Durchschnitts soll abgeflacht werden (im höchsten verfassungsgemäß zulässigen Rahmen). Deshalb soll eine »Beitrags-Äquivalenzgrenze« eingeführt werden, weil Bestverdienende nach unserem Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz auch in der Rente einen Solidarbeitrag leisten können und sollen. Damit erreichen wir, dass die Bestverdienenden - und damit auch die Bundestagsabgeordneten - auf einen Teil ihrer Rentenansprüche verzichten müssten. Etwas einfacher und anschaulicher: Renten, die nach heutigen Werten über 3.200 Euro lägen, sollen mit jedem Beitragseuro mehr sehr viel geringer steigen. Mit den restlichen Beitragsgeldern soll dann beispielsweise dazu beitragen, das Rentenniveau insgesamt anzuheben. Damit stiegen auch alle kleinen und mittleren Renten.

Ich hoffe, damit ihre einfache Frage zwar nicht klar mit Ja oder Nein, aber doch ausreichend beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Ralph Lenkert

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