Frage an Reiner Dworschak bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Reiner Dworschak
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Frage von Birgit B. •

Frage an Reiner Dworschak von Birgit B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Werden Sie sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzen?

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Sehr geehrte Frau B.,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum Vorschlag der Einführung eines »bedingungslosen Grundeinkommens«.

Ich kann mich dieser Forderung leider nicht anschliessen und möchte das ausführlicher begründen.

Das bedingungslose Grundeinkommen würde insgesamt auf eine weitere Umverteilung von unten nach oben hinauslaufen. Die mit dem bedingungslosen Grundeinkommen gegebene Einführung eines Kombilohns wäre für die Kapitalisten ein großes staatliches Lohn(„kosten“)senkungsprogramm. Und in jedem Fall würde die durch das Grundeinkommen organisierte gesellschaftliche Nichtarbeit durch die Arbeit der Lohnabhängigen finanziert.

Ich kann sehr gut nachvollziehen, welche Erleichterung sich Erwerbslose, die seit vielen Jahren Hartz IV beziehen müssen, von einem bedingungslosen Einkommen von ca. 800-1000 Euro im Monat versprechen. Ich selbst bin ja selbst seit 2004 jeden Montag auf der Straße im Rahmen der bundesweiten Montagsdemo gegen Hartz IV. Wichtiger noch als die absolute Höhe eines solchen Grundeinkommens ist aber den meisten, dass damit die entwürdigende Feststellung des Bedarfsanspruchs auf ALG II und die Kosten für die Unterkunft entfielen. Endlich Schluss mit erniedrigenden Eingliederungsvereinbarungen, Ein-Euro-Jobs, Zwangsumzügen wegen »unangemessener Miete«, Überwachungen, Schikanen und Sanktionen usw.

Nicht nachvollziehen kann ich allerdings, wenn versucht wird, diese verständlichen Hoffnungen auszunutzen, um die kleinbürgerliche Illusion von der Abschaffung der Lohnarbeit im Kapitalismus zu verbreiten. Ich erinnere an den flotten Spruch von Ex-SPD-Chef Franz Müntefering im Jahre 2005: »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.« Eine unter der Bedingung des Kapitalismus an Zynismus kaum zu übertreffende Aussage. Müntefering nannte das eine »alte Erfahrung der Arbeiterbewegung«, unterschlug aber, dass diese Aussage der Arbeiterbewegung erst für den Sozialismus gilt, also unter den Bedingungen der politischen Macht der Arbeiterklasse, der Abschaffung der Arbeitslosigkeit und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Im Kapitalismus bedeutet der Spruch nichts anderes als: ‚Wer arbeitslos ist und bleibt, ist selber schuld und soll verhungern‘. Im Sozialismus gibt es keine Arbeitslosigkeit und die Menschen werden erstmals nach ihrer Leistung bezahlt.

Der Befreiung der Arbeit von ihrem Charakter als Lohnarbeit entspricht das Verteilungsprinzip im Kommunismus: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.« Manche Apologeten des bedingungslosen Grundeinkommens reklamieren dieses kommunistische Verteilungsprinzip bereits für ihr Modell heute im Kapitalismus! So pries Götz Werner, Besitzer von 1.700 Drogeriemärkten, am 27.11.2006 in einem taz-Interview mit der Weisheit des anthroposophischen Milliardärs sein bedingungsloses Grundeinkommen als »gleichzeitig die radikalste Form des Sozialismus und die radikalste Form des Kapitalismus.«

Dass zu wenig Arbeit in Deutschland vorhanden sei, ist nichts anderes als eine moderne Lebenslüge des Kapitalismus. Überall fehlen dringend Arbeiter und Angestellte: bei den kommunalen Diensten, im öffentlichen Nahverkehr, in den Krankenhäusern, in der Altenpflege, beim Umweltschutz usw. Und sollte tatsächlich nur noch so wenig Arbeitszeit zu verteilen sein, dass auf jeden Erwerbsfähigen 4 Stunden am Tag kommen, bedeutete dies doch nur, dass die hohe Arbeitsproduktivität allen zugute kommt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes betrug der Umsatz je Arbeiter schon 2004 (dem Jahr der Einführung von Hartz IV) in der Industrie mit 383.347 € rund 70 % mehr als 10 Jahre zuvor. Vor allem aber beträgt sein Lohnanteil an diesem Umsatz im selben Jahr nur noch 15 % (10 Jahre zuvor noch 20,6 %). Auf die Wochenarbeitszeit umgerechnet bräuchte ein Arbeiter in der Großindustrie also nur noch 1 Stunde und 8 Minuten täglich seine Arbeitskraft zu verkaufen, um seinen Lohn zu erarbeiten. Im Sozialismus kann auf einem solch hohen Niveau der Arbeitsproduktivität die Arbeitszeit erheblich verkürzt werden. Damit gewinnen die Menschen neue Lebensräume für kulturelle Betätigungen, ehrenamtliche Aufgaben und politische Arbeit, mit denen sie sich an der Leitung der Gesellschaft, der Wirtschaft und des Staates beteiligen. Unter kapitalistischen Bedingungen wird hingegen die ehrenamtliche Tätigkeit in der Art ausgebeutet, dass der Staat sich von diesen Aufgaben entlastet und das bislang dafür aufgewendete Steuergeld an die Kapitalisten umverteilt.

Ob mit oder ohne bedingungsloses Grundeinkommen: Im Kapitalismus bleibt die Lohnarbeit die Hauptprofitquelle der Kapitalisten. Sie eignen sich die unbezahlte Mehrarbeit der Arbeiter unentgeltlich als Mehrwert an. Das bedingungslose Grundeinkommen hat für sie dabei den Reiz einer massiven Senkung ihrer Lohnkosten. Beginnt doch die Auszahlung der Löhne erst ab einem Betrag über 800-1000 €. Da mit diesem auch sämtliche Sozialversicherungskosten abgedeckt sein sollen, sackt sich der Kapitalist seine bisher gezahlten Anteile zusätzlich ein.

Den Kampf um so wichtige Reformforderungen wie für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, für einen Mindestlohn von (gegenwärtig) 10 Euro, für die unbegrenzte Fortzahlung des Arbeitslosengeldes für die Dauer der Arbeitslosigkeit, für ein Existenz-sicherndes Sozialgeld ist deswegen unbedingt zu verbinden mit dem Kampf für den Erhalt und die Erweiterung der bürgerlich demokratischen Rechte. Dabei steht der Kampf für ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht im Mittelpunkt.

Soweit meine Antwort zu Ihrer Frage. Für weitere Rückfragen stehe ich Ihnen natürlich gerne zur Verfügung.

Herzliche Grüße
Reiner Dworschak