Frage an Renate Künast bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Renate Künast
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Jens M. •

Frage an Renate Künast von Jens M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Künast,
ich zitiere aus dem vorläufigen Wahlprogramm der Grünen Kapitel 13/Seite1: "Den aktuellen Vorschlägen zur Einführung von Internetsperrlisten und den Aufbau einer umfassenden Sperrinfrastruktur erteilen wir eine klare Absage, da sie rechtsstaatlich und technisch unverantwortlich sind."
Inwiefern wäre es den Grünen möglich, sich von einer Sperrung des Internets in jedweder Form verlässlich zu distanzieren? Einer Formulierung wie der oben zitierten traue ich keine 5 Meter über den Weg, da sie sich nur auf die "aktuellen" Vorschläge bezieht. Welche Art von Internetsperren (für über 18-jährige) sind rechtsstaatlich vertretbar? Und zuletzt vielleicht noch die Frage, inwiefern Richtlinien Europas diesbezüglich überhaupt mißachtet werden können.
Vielen Dank!

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Maier,

haben Sie vielen Dank für Ihre Frage.

Ich möchte Sie auf unser Wahlprogramm zur Bundestagswahl hinweisen. Wir Grüne setzen uns darin ein für eine freie Internetkultur. Diese wird immer öfter bedroht. Staatliche Institutionen und viele Unternehmen wollen das Internet einschränken. Die Filterung des Datenverkehrs sowie massenhafte und unbegründete Speicherorgien, wie die Vorratsdatenspeicherung, lehnen wir strikt ab.

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass Internetsperren notwendig sind, um gegen Kinderpornografie im Internet vorzugehen. Daher möchte ich unsere Position an diesem besonderen Beispiel erläutern.

Wir Grüne sind dafür, die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie effektiv und konsequent zu verfolgen. Es handelt sich um Straftaten, die auch hoch bestraft werden (müssen). Die Bundesregierung setzt mit ihrem Gesetzentwurf nicht bei den Betreibern von Kinderpornographie-Seiten an. Deren Verfolgung – teilweise in entlegenen Winkeln der Welt – ist schwierig und stößt oft auf tatsächliche Grenzen. Dennoch muss er zum effektiveren Schutz der Opfer und zur Ermittlung der Täter intensiviert werden. Die Bundesregierung wählt stattdessen den Weg, die Zugangsdienstleister zu verpflichten, potentiellen Nutzern den Zugang zu solchen Angeboten zu "versperren". Diese gewählte Technik kann den Zugang nicht verhindern, allenfalls erschweren. Das Gesetz erfüllt seine behauptete Absicht nicht. Das von Union und SPD beschlossene Gesetz hat ganz erhebliche Nebenwirkungen: Die geheim gehaltenen Sperrlisten können durch Fehler völlig legitime und legale Angebote sperren. Zudem lässt sich diese Technik, einmal installiert, auch für andere Inhalte nutzen. Meine Sorge ist, dass diese Vorgehensweise ein Türöffner zur Einschränkung der Bürgerrechte ist. Der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen fällt nach unserer Auffassung durch den Rechtstaats-TÜV.

Wir haben in der rot-grünen Koalition dafür gesorgt, dass Strafbarkeitslücken bei der Verbreitung von Kinderpornografie geschlossen wurden. Auch der Besitz, die Besitzverschaffung und die Nachfrage nach Kinderpornografie stehen zu Recht unter Strafe. Die Einhaltung dieser Gesetze zu kontrollieren ist Aufgabe der Bundesregierung bzw. der zuständigen Landesbehörden. Aus unserer Sicht ist das Herausnehmen der Bilder – sprich: Löschen – aus dem Internet die richtige Maßnahme. Deshalb fordern wir von der Bundesregierung:

1) Gegen bekannte Provider von Kinderpornographie strafrechtlich vorzugehen und behördenbekannte Server unverzüglich stilllegen zu lassen. Sich in Deutschland, in der EU, aber auch weltweit stärker dafür einzusetzen, dass kinderpornografische Inhalte konsequent gelöscht werden!
2) Auf die Länder einzuwirken, damit sie den Ausbau der Polizeibehörden und der Staatsanwaltschaften in diesem Bereich vorantreiben und die Kinder- und Jugendhilfearbeit gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern zu stärken.

Für uns ist das Internet kein rechtsfreier Raum, auch hier gilt das Strafrecht. Aber es darf auch kein bürgerrechtsfreier Raum werden. Deshalb tragen wir das Gesetz nicht mit.

Mit freundlichen Grüssen
Renate Künast

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