Frage an Roland Claus bezüglich Arbeit und Beschäftigung

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Roland Claus
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Frage von Peter B. •

Frage an Roland Claus von Peter B. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Claus,

besonders hinsichtlich der im kommenden Jahr anstehenden Bundestagswahl bewegt mich folgende Frage: Es ist unstrittig, dass infolge der demografischen Entwicklung die Bürger länger, also über das bisher gewohnte Alter hinaus, arbeiten müssen. Nun frage ich mich aber, nicht zuletzt aus meiner persönlichen Situation heraus (fast 60, arbeitslos nach Stellanabbau, hochqualifiziert- Dipl.-Ing., gesund, belastbar, 121 Bewerbungen), wie das funktionieren soll. Ich werde per Gesetz gezwungen, zu arbeiten, obwohl jedwede Voraussetzung (Arbeitsplätze) dazu fehlt. D.h., ich werde irgendwann Hartz4- Empfänger ohne die geringste Aussicht, jemals wieder im normalen Arbeitsprozess stehen zu dürfen. Nun werden in den Medien H4- Leute als arbeitsunwillig, unqualifiziert und unmotiviert dargestellt. Sie brauchen mir nicht zu sagen, dies seien Einzelfälle, das weiss ich selbst, aber die gesellschaftliche Wahrnehmung wird nun einmal von den Medien erheblich beeinflusst.
Auch ein Job als Märchenerzähler im Kindergarten (wäre ich da in der Politik nicht besser aufgehoben?) ist wohl kaum zielführend.
Also, hinsichtlich der bevorstehendan Wahl habe ich echt Probleme, eine klare Aussage aller etablierten Parteien zu dieser Problematik zu finden.
Deshalb, sehr geehrter Herr Claus, würde mich Ihre Meinung zu diesem Problem, das sicher abertausende Bürger in unserem Land bewegt, interessiere.

Viele Grüsse Peter Buchholz

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Buchholz,

haben Sie herzlichen Dank für Ihre Fragen und dafür, dass Sie Ihre Sicht auf die von Ihnen benannten Probleme mit solcher Offenheit darstellen.

Ihre Fragen zielen direkt in den Kern der Probleme unserer Gesellschaftsentwicklung. Antworten sind nicht leicht zu finden und nicht schnell zu geben. Aber die Schwierigkeiten beim Finden der Antworten sollten uns nicht daran hindern, es wenigstens zu versuchen. Und meine Partei Die LINKE – das kann ich Ihnen versichern – unternimmt diese Versuche mit großer Ernsthaftigkeit.

Nehmen wir zunächst die demografische Entwicklung. Ja, es stimmt – und es ist erfreulich! –: Unsere Lebenserwartung nimmt zu, und es muss neu über die Verteilung der Arbeitszeit in der gesamten Lebenszeit nachgedacht werden. Ist aber die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre, wie sie von CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen in großer Gemeinsamkeit betrieben worden ist, tatsächlich die beste Antwort? Ich meine: Nein, das ist sie nicht. Denn es ist ja so, wie Sie es aus Ihrer Erfahrung beschreiben: Es gibt gar nicht genug Arbeitsplätze, um alle betreffenden Menschen bis zur Vollendung des 67. Lebensjahres zu beschäftigen. Dadurch ist die Rente mit 67 für die Allermeisten vor allem eine Rentenkürzung. Sie müssen eher aufhören zu arbeiten – und nun, weil die Bezugsgröße ja 67 Jahre ist, größere Abschläge in Kauf nehmen. Wir von der LINKEN wollen das Problem anders angehen. Zunächst wollen wir eine gesetzliche Rente für alle. Das ist solidarisch. Alle sollen in diesen gleichen Rententopf einzahlen – und nicht mehr die Möglichkeit haben, sich der Solidargemeinschaft durch Sonderregelungen zu entziehen. Damit wäre dieser Topf sehr viel besser gefüllt als jetzt. Eine Wiederbesinnung auf die Rente mit 65 wäre möglich, und es könnte auch eine Rentenhöhe geben, bei der nicht wie jetzt Altersarmut droht.

Um aber das Problem wirklich an der Wurzel packen zu können, bedarf es noch weiterer Eingriffe in die jetzige Form des Wirtschaftens. Dass es für Sie trotz Ihrer hohen Qualifikation keine angemessene Arbeit gibt, steht ja zum Beispiel in krassem Gegensatz dazu, dass jüngere Menschen, die eine ähnliche Qualifikation haben wie sie, oft einen nicht enden wollenden Arbeitstag haben. 10, 12, 14 Arbeitsstunden am Tag sind doch häufig schon die Regel geworden. Die vorhandene Arbeit ist also schlecht verteilt. Die einen arbeiten buchstäblich bis zum Umfallen, haben viel zu wenig freie Zeit für die Familie, für ihre eigene Erholung, für Weiterbildung, Kultur und Sport – und die anderen finden keine Arbeit. Erklärt wird uns das mit dem erbarmungslosen – und weltweit geführten – Konkurrenzkampf. Und darin liegt ja auch tatsächlich eine Antwort. Nur: Auch die Wirtschaft ist Menschenwerk – und ihr Funktionieren kann durch Menschen verändert werden. Wir von der LINKEN kämpfen daher um eine geregelte wöchentliche Arbeitszeit, um einen radikalen Abbau der nach Milliarden zählenden Überstunden, die jedes Jahr in Deutschland geleistet werden, und wir kämpfen um den Mindestlohn.

Das geht nicht, sagen uns viele, denn dadurch verschlechtern sich Deutschlands Chancen im weltweiten Konkurrenzkampf. – Genau darum, sagen wir, muss dieser Kampf ein europäischer sein. Europa braucht eine Sozialunion. Und eines Tages braucht es auch weltweite Sozialstandards. Das ist ganz gewiss ein langer und anstrengender Weg. Aber wenn es so weiter geht wie bisher, dann wird die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer werden; die Kaufkraft wird zurückgehen, und wo nicht mehr genug verkauft werden kann, wird auch nicht genug produziert, und damit werden immer mehr Arbeitsplätze abgebaut; und im Ergebnis all dessen drohen soziale Konflikte und gesellschaftliche Erschütterungen, von denen keiner weiß, was aus ihnen folgen wird.

Der Weg zu Veränderungen ist lang und anstrengend, und niemand kann mit einem schnellen Erfolg rechnen. Aber wenn es bleibt, wie es ist – dann erst recht drohen unabsehbare Folgen für unser gesellschaftliches Leben, und sie drohen auch für das ökologische Gleichgewicht. Dies vor Augen scheint es mir so gerechtfertigt wie notwendig, für die oben aufgezeigten Veränderungen mit Nachdruck und Hartnäckigkeit zu streiten.

Und streiten werden wir von der LINKEN immer auch gegen die Herabwürdigung von Menschen, die HARTZ IV-Leistungen beziehen. Gerade im Osten Deutschlands sind durch die Deindustrialisierung Anfang der 1990er Jahre, die komplette Umgestaltung der landwirtschaftlichen Produktion und die Veränderungen in der Wissenschaftslandschaft Millionen Menschen für kürzere oder längere Zeit arbeitslos geworden, ohne dass sie selbst dafür auch nur die geringste Verantwortung trugen. Und auch jetzt erleben wir solche Prozesse immer wieder und im ganzen Land: Die Drogeriekette Schlecker geht bankrott, zehntausende Frauen verlieren ihre Arbeit. Im Ruhrgebiet sind ganze einst starke Industriezweige verschwunden. Und in Ostdeutschland erleben wir gegenwärtig in den Regionen um Bitterfeld und um Frankfurt/Oder, dass Zentren der Solarindustrie verschwinden, die dort vor zehn Jahren gerade erst entstanden sind.

Nein, eine Diskriminierung der betroffenen Menschen ist völlig fehl am Platze. Sie trägt nur zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei. Sie hat eine verheerende Wirkung auf die Betroffenen: Sie werden stigmatisiert, und das wirkt sich auf sie selbst und auf ihre Kinder und Enkel aus. Und Sie hat eine verheerende Wirkung auch auf die Arbeitswelt: Auf die Menschen, die für sehr niedrigen Lohn arbeiten, wird ein enormer Druck ausgeübt, so dass sie bereit sind, auch weiterhin die schlechten Bedingungen in Kauf zu nehmen. Die Solidarität innerhalb der Gesellschaft wird weiter unterhöhlt und untergraben.

Sehr geehrter Herr Buchholz, Sie merken: Eine schnelle Antwort kann ich Ihnen nicht geben. Es können im Burgenlandkreis, der seit 1990 so tiefgehende Veränderungen erlebt hat – Schließung zahlreicher großer und mittlerer Industriebetriebe vor allem in Zeitz, Weißenfels und um Hohenmölsen herum; Wegfall Zehntausender Arbeitsplätze im Leuna- und im Bunawerk, wo viele Einwohnerinnen und Einwohner aus dem Gebiet des heutigen Burgenlandkreises gearbeitet haben; Neustrukturierung der Landwirtschaft; Abwanderung vieler vornehmlich junger Leute mit Folgen für Kaufkraft und Steuereinnahmen; kräftige Erhöhung des Altersdurchschnitts der Bevölkerung – nicht plötzlich neue Arbeitsplätze entstehen. Aber die Politik – davon bin ich überzeugt – kann viel entschiedener gegensteuern, als sie das bisher tut. Über einige übergreifende Ziele meiner Partei habe ich weiter oben gesprochen. Wir haben aber auch regionalpolitische Vorschläge, von denen wir meinen, dass sie zur Verbesserung des Arbeitsplatzangebots führen können. So plädieren wir für die Schaffung regionaler und lokaler Energiekreisläufe, mit denen sich Gemeinden aus der Abhängigkeit von Großkonzernen lösen können. Wir plädieren auch dafür, dass sich der Burgenlandkreis in einem Leitbild darüber einig wird, welche Wirtschaftszweige tatsächlich im Mittelpunkt seiner Entwicklung stehen sollen. Auf diese könnten dann auch Anstrengungen zur Schaffung von Arbeitsplätzen konzentriert sein. Natürlich fallen einem da zuerst die traditionellen Industriestandorte ein: Was für Zukunftspotenziale gibt es da? Und darüber hinaus lohnt es sich zum Beispiel, über die touristischen Angebote des Kreises noch sehr viel intensiver und komplexer nachzudenken. Interessant ist auch, welche Möglichkeiten auf dem Gebiet der Erholung, der Reha-Kliniken, der medizinischen Pflege bestehen. Was – zum Beispiel – könnte der Burgenlandkreis mit einem Ausbau barrierefreier Erholungsmöglichkeiten gewinnen?

Sie merken: So, wie ich der festen Überzeugung bin, dass die von Ihnen beschriebenen Probleme nur in langandauernder Anstrengung zu lösen sind, so bin ich auch der festen Überzeugung, dass die Problemlösung nicht am grünen Tisch geschehen kann, sondern das Engagement vieler erfordert. Meine Partei unterbreitet ihre Vorschläge beharrlich und öffentlich, aber welche gesellschaftliche Wirkung diese Vorschläge haben werden, hängt natürlich von den Wählerinnen und Wählern ab.

Vielleicht sehen wir uns einmal in meinem Wahlkreisbüro in Naumburg, um den Dingen weiter auf den Grund zu gehen? Sie sind herzlich eingeladen.

Mit freundlichen Grüßen
Roland Claus