Frage an Silvia Schmidt von Marco B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Schmidt,
Meine gehörlose Frau hat zwei Kinder welche die KITA besuchen. Die Leitung wollte mit meiner Frau ein Elterngespräch führen. Hierfür wird ein Dolmetscher gebraucht, um Probleme richtig besprechen zu können.
Eine Dolmetscherstunde kostet ca. 50€, die wir ohne Hilfe nicht aufwenden können. Schon vor einem Jahr hat meine Frau ein Budget bei einer Servicestelle beantragt. Der Leistungsträger (Sozialamt) lehnte den Antrag ab: „das Gehörlosengeld von 117€ die Leistungen abdecke, die zur Überwindung der sozialen Nachteile notwendig seien.“
Gehörlose sollen somit ALLE Nachteile im sozialen Leben mit 117€ ausgleichen! Das Sozialamt beruft sich mit recht auf den §7 SGB9; da eine abweichende Regelung für Gehörlose das Landespflegegeldgesetz Berlin (LPflGG) ist.
Ich bitte Sie, versuchen Sie sich mal vorzustellen, wie oft SIE im Monat mit einer Person im Alltag sprechen. Verkaufsgespräche, Informationsgespräche, Geburtstagsfeiern in der eigenen Familie, Kino, Museum, ALLE Veranstaltungen … dies sind die tagtäglichen Bereiche, in denen Gehörlose Ausgrenzung erfahren und die sie mit 117€ überwinden sollen! Das Gehörlosengeld würde nicht einmal reichen um EINEN Elternabend (mehr als 2h) zu bezahlen. Meine Frau hat aber zwei Kinder um die sie sich kümmern MUSS! Schon zwei Jahre versuchen wir erfolglos Unterstützung zu erlangen.
GG Art.3 (3): „… Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Können Sie mir bitte sagen, wie meine Frau auch in den Genuss, am normalen Leben teilnehmen zu können, kommen kann?
Wie begründet sich, dass ein Gehörloser nach dem Landespflegegeldgesetz (Berlin LPflGG) §2 (2) nur 20% der Blindenhilfe bekommt (Blindenhilfe §72 (2) SGB12)?
Bitte sagen Sie mir, wie meine Frau eine Unterstützung erlangen kann, um der Fürsorgepflicht für ihre Kinder (und zu dieser Pflicht gehört es an Elternabenden, Gruppenveranstaltungen und Elterngespräche teilzunehmen) nachkommen zu können.
Wir brauchen schnelle Hilfe bevor die Kinder groß sind!
Sehr geehrter Herr Brüggemann,
im Rechtsgutachten von Frau Dr. Zinsmeister "Staatliche Unterstützung behinderter Mütter und Väter bei der Erfüllung Ihres Erziehungsauftrages", das im vergangenen Jahr im Sitz der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Karin Evers-Meyer, MdB, präsentiert wurde, wird eine ausdrückliche Regelung zur Elternassistenz im SGB IX gefordert.
Dort heißt es: "Mit dem SGB IX hat der Gesetzgeber behinderte Eltern erstmals sichtbar gemacht. § 9 Abs.1 S.3 SGB IX verpflichtet die Rehabilitationsträger, den Erziehungspflichten behinderter Eltern Rechnung zu tragen. Aus der Norm lassen sich aber keine originären Leistungsansprüche ableiten. Als Hilfe für Eltern mit Erziehungspflichten sehen das SGB IX und die Leistungsgesetze der Rehabilitationsträger ausdrücklich nur Regelungen zur besseren Vereinbarkeit von Maßnahmen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation mit den Familienpflichten vor. Die hierzu verankerten Zuschüsse zur Haushalts- und Betreuungshilfe (§ 54 SGB IX) sind freilich nicht geeignet, die tatsächlichen Belastungen der Familien aufzufangen.
Zudem richten sich diese ergänzenden Leistungen nur an eine Minderheit behinderter Eltern. Der Gesetzgeber könnte seinem verfassungsgemäßen Auftrag zum Schutz und der Förderung der Familien im SGB IX wirkungsvoller entsprechen, indem er eine allgemeine Regelung der Hilfe für behinderte Eltern bei der Erfüllung ihres Erziehungsauftrages aufnimmt. Eine solch allgemeine Regelung sollte in § 55 Abs.2 SGB IX als Nr.8 eingefügt werden.
Darin wird klargestellt, dass zu den Leistungen zur Teilhabe in der Gemeinschaft auch Leistungen zur Unterstützung behinderter Eltern bei der Betreuung und Versorgung ihrer Kinder" zählen.
Bisher ist es leider nicht gelungen, diese Klarstellung zu erreichen, für die ich mich jedoch uneingeschränkt weiter einsetzen werde. Eltern mit Behinderung haben meines Erachtens ein Recht auf Leistungen, die sie bei der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder unterstützen. Als Behindertenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion werde ich das Thema gemeinsam mit meiner Kollegin Karin Evers-Meyer weiter im Bundesministerium für Arbeit und Soziales thematisieren. Parallel dazu wird auch im Rahmen der Koalitionsarbeitsgruppe Menschen mit Behinderung sowie in der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion eine Diskussion zu diesem Thema angeregt, um eine Lösung im Sinne des erwähnten Gutachtens und alternative Lösungen politisch abzuwägen.
Leider ist es mir unter den gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen nicht möglich, Ihnen konkret zu helfen. Wie gesagt: es bedarf einer Gesetzesänderung, an der wir intensiv arbeiten.
Was das Gehörlosengeld gem. § 7 SGB IX i.V.m. § 2 Abs. 2 LPflGG Berlin angeht, fällt dies in die Gesetzgebungskompetenz des Berliner Abgeordnetenhauses. Hier empfehle ich Ihnen die Kontaktaufnahme mit meiner Kollegin Ülker Radziwill, der Sprecherin der SPD-Fraktion für Sozialpolitik, um sich über konkrete Vorhaben und Begründungen zu informieren.
Mit freundlichen Grüßen
Silvia Schmidt, MdB