Frage an Stefan Kaufmann von Johannes P. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
auch ich habe eine Frage zum Projekt Stuttgart 21.
In Ihrer Antwort auf die Fragen von Herrn Willner zu obigem Thema schreiben Sie,daß das Projekt mehrals zwanzig Jahre geplant wurde,(auch unter Bürgerbeteiligung)und die Pläne dann von den Parlamenten beschlossen wurden.
Ich frage mich,ob angesichts der vielen,offenen Fragen und Bedenken ,Diskussionen,und öffentlichen Protestengegen Stuttgart21 nicht die demokratsche Legitimaton seitens der ausführenden Behörden,Ministerien und Organe vom Souverän für diese Maßnahme neu eingeholt werden müsste.
Was halten Sie von einem Volksentscheid auf Landesebene,um nicht Gefahr zu laufen ,aktuell am Volk vorbei zu regieren?
Mit freundlichen Grüßen,
J.PURWIN
Sehr geehrter Herr Purwin,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage. Gerne will ich versuchen, Ihr Anliegen zufriedenstellend zu beantworten.
Der Deutsche Bundestag hat zuletzt am 17. Dezember 2009 ein Moratorium für Stuttgart 21 mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Die von Ihnen geforderte „demokratische Legitimation seitens der ausführenden Behörden, Ministerien und Organe“ ist damit unstrittig gegeben.
Die Bundesrepublik ist als parlamentarische Demokratie organisiert. D.h., dass der Souverän bei regelmäßigen Wahlen über die Gestaltung der Politik bestimmt. Bei der letzten Bundestagswahl am 27. September 2009 war Stuttgart 21 bereits abschließend verhandelt. Ich errang für die CDU das Direktmandat im Wahlkreis Stuttgart-Süd. Mein Mitbewerber Cem Özdemir von Bündnis 90/Die Grünen ist unterlegen – obwohl er seinen Wahlkampf im Wesentlichen damit geführt hat zu behaupten, er könne Stuttgart 21 noch verhindern. Das haben ihm die Wählerinnen und Wähler offensichtlich nicht abgenommen.
Im Übrigen sind Kostensteigerungen und Bedenken bei großen Infrastrukturprojekten gerade bei langen Planungszeitläufen üblich und nicht geeignet, die demokratische Legitimation in Frage zu stellen. Gleiches gilt auch für eine wachsende öffentliche Protestbewegung. Die geäußerten Bedenken müssen von den Projektverantwortlichen ernst genommen werden, entziehen dem Projekt aber nicht die demokratische Legitimation.
Gestatten Sie mir noch eine grundsätzliche Bemerkung: Nach jeder verlorenen Gerichtsverhandlung und Grundsatzentscheidung haben sich die Gegner in immer absurdere Szenarien geflüchtet, um das Projekt noch zu verhindern. Es wurden immer wieder neue Vehikel gesucht, um den Protest zu emotionalisieren – zuletzt beispielsweise die Seitenflügel des Bonatzbaus. Dabei haben diese Seitenflügel bis vor einigen Monaten nicht einmal den Bonatzenkel Dübbers selbst besonders interessiert. Sogar der Baubeginn hat an diesen immer neuen Szenarien nichts geändert. Mit der Realität hat dies reichlich wenig zu tun. Hinter vorgehaltener Hand sprechen beispielsweise die Grünen davon, dass das Projekt nicht mehr zu verhindern sei. Dennoch halten sie aus wahltaktischen Gründen an falschen Ausstiegsszenarien fest, streuen den Bürgerinnen und Bürgern Sand in die Augen und vergiften die politische Kultur. Für mich ist das zwar machtpolitisch nachvollziehbar, in der Sache aber unredlich und demokratietheoretisch gefährlich. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass die Deutsche Bahn als Bauherr Fehler gemacht hat – nicht nur bei der Kommunikationsstrategie.
Vor diesem Hintergrund würde ich ein Volksbegehren inhaltlich ablehnen, wenn es den Stopp von Stuttgart 21 zur Folge hätte.
Die Landesverfassung sieht ein Volksbegehren allerdings grundsätzlich vor; hier der entsprechende Auszug aus der Verfassung:
Artikel 59
(1) Gesetzesvorlagen werden von der Regierung, von Abgeordneten oder vom Volk durch Volksbegehren eingebracht.
(2) Dem Volksbegehren muß ein ausgearbeiteter und mit Gründen versehener Gesetzentwurf zugrunde liegen. Das Volksbegehren ist zustande gekommen, wenn es von mindestens einem Sechstel der Wahlberechtigten gestellt wird. Das Volksbegehren ist von der Regierung mit ihrer Stellungnahme unverzüglich dem Landtag zu unterbreiten.
(3) Die Gesetze werden vom Landtag oder durch Volksabstimmung beschlossen.
Artikel 60
(1) Eine durch Volksbegehren eingebrachte Gesetzesvorlage ist zur Volksabstimmung zu bringen, wenn der Landtag der Gesetzesvorlage nicht unverändert zustimmt. In diesem Fall kann der Landtag dem Volk einen eigenen Gesetzentwurf zur Entscheidung mitvorlegen.
(2) Die Regierung kann ein vom Landtag beschlossenes Gesetz vor seiner Verkündung zur Volksabstimmung bringen, wenn ein Drittel der Mitglieder des Landtags es beantragt. Die angeordnete Volksabstimmung unterbleibt, wenn der Landtag mit Zweidrittelmehrheit das Gesetz erneut beschließt.
(3) Wenn ein Drittel der Mitglieder des Landtags es beantragt, kann die Regierung eine von ihr eingebrachte, aber vom Landtag abgelehnte Gesetzesvorlage zur Volksabstimmung bringen.
(4) Der Antrag nach Absatz 2 und Absatz 3 ist innerhalb von zwei Wochen nach der Schlußabstimmung zu stellen. Die Regierung hat sich innerhalb von zehn Tagen nach Eingang des Antrags zu entscheiden, ob sie die Volksabstimmung anordnen will.
(5) Bei der Volksabstimmung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Das Gesetz ist beschlossen, wenn mindestens ein Drittel der Stimmberechtigten zustimmt.
(6) Über Abgabengesetze, Besoldungsgesetze und das Staatshaushaltsgesetz findet keine Volksabstimmung statt.
Es steht also jedem offen, ein solches Volksbegehren zu initiieren – die SPD Baden-Württemberg hat eine solche Initiative für heute angekündigt.
Als Jurist darf ich Ihnen hierzu noch eine persönliche rechtliche Einschätzung über dieses Instrument im Zusammenhang mit dem Projekt Stuttgart 21 geben. Wie schon im Fall des Stuttgarter Bürgerbegehrens halte ich eine Volksabstimmung zum Thema Stuttgart 21 auf Landesebene insbesondere aufgrund von Art. 60 Abs. 6 (Eingriff ins Staatshaushaltsgesetz) für verfassungsrechtlich problematisch. Weiter will ich bei dieser Frage nicht spekulieren. Hierzu fehlt noch das konkrete Gesetz, das zur Abstimmung gebracht werden soll.
Sollten ein Volksbegehren auf Landesebene im Zusammenhang mit Stuttgart 21 gestartet werden, möchte ich dringend warnen, nicht dieselben Fehler wie schon beim Stuttgarter Bürgerbegehren zu machen. Es war von vornherein für nahezu jeden Rechtsexperten der Gemeindeordnung absehbar, dass dieses Bürgerbegehren rechtlich unzulässig ist. Für dessen unzulässige Formulierung kann man nicht die Projektbefürworter verantwortlich machen. Im Nachhinein wurde dann sogar teilweise die Unabhängigkeit unserer Justiz in Frage gestellt. Dies ist sehr gefährlich, weil sich Demokratie und Rechtstaat gegenseitig bedingen.
Ich hoffe, Ihnen meine inhaltliche Position und meine Einschätzung zu einem Volksbegehren im Zusammenhang mit Stuttgart 21 hinreichend erläutert zu haben.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr Stefan Kaufmann