Frage an Stefan Ruppert bezüglich Wirtschaft

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Stefan Ruppert
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Frage von Birgit M. •

Frage an Stefan Ruppert von Birgit M. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Dr. Ruppert,

vielen Dank für Ihre ausführliche Begründung dazu, dass Sie der Einführung des EFSF zugestimmt haben. Ich hätte es nicht getan, bin damit ich in guter Gesellschaft mit vielen Bürgern um mich herum und bewundere den Mut z.B. von H. Bosbach und H.Schäffler.

Ihre Antwort trifft allerdings nur zum Teil meine Fragen zur juristischen Bewertung dieser "Problematik", die ich speziell Ihnen stellte, weil Sie Jurist und eben nicht zum Beispiel Lehrer oder Sozialpädagoge sind.
Sie haben in Ihrer Antwort ausführlich die aus Ihrer Sicht bestehende Vereinbarkeit des EFSF mit dem GG - insbesondere nach dem jüngsten Urteil des BVerfG - dargestellt.

Offen bleibt meine Frage, um deren Beantwortung ich Sie bitten möchte:

Sind die Euro Rettungsmaßnahmen (besser: Bankenrettungsmaßnahmen) wie der EFSF und andere - mit Sicherheit nahende Maßnahmen wie der geplante ESM mit den EG Verträgen und dem dort nieder gelegten "bailout-Verbot" JURISTISCH vereinbar?

Und ich möchte meine Fragen wie folgt ergänzen:

Falls der Fond, der jetzt wahrscheinlich auch die (französischen !!!- bitte nicht lachen ) Banken rekapitalisieren soll, nicht EG-Vertragskonform beurteilt wird - wie kann ein solcher kollektiver Vertragsbruch quer durch Europa den Bürgern verständlich und akzeptabel gemacht werden - ohne dass man sich vom Rechtsverständnis dieser eigenartigen EU-Gestalter angewidert abwenden muss?
Gelten Verträge/Gesetze in diesem Europa nur für Bürger, nicht für Politiker?
Warum findet dieses Europa Regelungen, die Strafen für Geschwindigkeitsüberschreitungen eines Bürgers in einem anderen Mitgliedsstaat verfolgbar bzw. beitreibbar machen - findet aber keine rechtliche Handhabe gegen Staaten, die falsche Zahlen bei Eurostat abliefern und keine rechtliche Handhabe gegen Kontrolleure, die sich Augenklappen bei Auswertung dieser Zahlen auf die Augen binden? Kehren wir in Europa zurück in Zeiten des Absolutismus?

Mit freundlichen Grüßen
B. Mohr

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Sehr geehrte Frau Mohr,

vielen Dank für Ihre Nachfrage zur Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF). Ich möchte Ihnen im Folgenden kurz erläutern, warum ich die vertragliche Ausgestaltung der EFSF mit dem geltenden Unionsrecht für vereinbar halte.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die EFSF auf einer zwischenstaatlichen Vereinbarung der Mitgliedstaaten der Eurozone beruht. Die teilnehmenden Mitgliedstaaten haben eine private Zweckgesellschaft gegründet, die durch Gewährung von Krediten von bis zu 440 Milliarden Euro eine drohende Zahlungsunfähigkeit von Mitgliedstaaten verhindern soll. Grundsätzlich sind die Mitgliedstaaten frei, miteinander Verträge zu schließen und auch Gesellschaften zu gründen. Rechtliche Bedenken gegen einen solchen Schritt sind demnach nicht erkennbar. Der Rahmenvertrag der EFSF beruht nicht auf einer Ermächtigungsnorm in den grundlegenden Verträgen der EU. Dennoch muss sich die EFSF an den Bestimmungen der EU-Verträge zu finanziellen Hilfen für die Mitgliedstaaten messen lassen. Ein Blick auf den oben genannten Art. 125 AEUV ist also berechtigt.

Die Bestimmungen des Art. 125 AEUV sehen vor, dass keine Beistandspflicht der Mitgliedstaaten füreinander besteht. Diese Norm soll das Erreichen zweier grundlegender Ziele ermöglichen. Zum einen sollen die Mitgliedstaaten zu solider Haushaltspolitik angehalten werden, die eine zu hohe Staatsverschuldung vermeidet. Zum anderen und zuvorderst soll die Norm aber auch das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion sicherstellen. Im Normalfall können beide Ziele gleichzeitig verfolgt werden. Im Falle einer im EU-Recht nicht vorgesehenen und damit auch nicht geregelten Insolvenz eines Mitgliedstaates kann es aber sein, dass eine strikte Anwendung der No-Bail-Out-Klausel dazu führt, dass das zweite und wichtigste Ziel, das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion, vollkommen verfehlt wird. In Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit eines Mitgliedstaates muss die Norm des Art. 125 AEUV also einschränkend ausgelegt werden. Diese Situation trifft für die Hilfsinstrumente der EFSF zu. Eine strenge Anwendung von Art. 125 AEUV im Sinne eines Verbots von Hilfsmaßnahmen für zahlungsunfähige Mitgliedstaaten könnte die Wirtschafts- und Währungsunion akut gefährden. In einem solchen Fall, bei dem es um eine Abwendung einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für die Finanzstabilität des gesamten Euroraums geht, kann Art. 125 AEUV nicht streng anwendbar sein. Denn aus einer strickten Anwendung der Norm würde sich in dieser Situation als Rechtsfolge Handlungsunfähigkeit ergeben. Das kann von allen Beteiligten so nicht gewünscht sein.

Nach meinem Verständnis ist die Norm des Art. 125 AEUV lückenhaft, da sie im Hinblick auf ihren wichtigsten Zweck, das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion, keinerlei erforderliche Einschränkungen ihres Anwendungsbereichs enthält. Eine Einschränkung wäre aber geboten, wenn erhebliche Gefahren für den Euroraum abzuwenden sind. In der Summe kommt man daher zu dem Ergebnis, dass die Regelungen der EFSF mit geltendem Unionsrecht vereinbar sind.

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich die vertragliche Ausgestaltung des zukünftigen ESM derzeit nicht kommentieren kann. Ein offizieller Vertragsentwurf in deutscher Sprache liegt dem Deutschen Bundestag derzeit noch nicht vor.

In der Hoffnung, Ihre Frage zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben, verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Dr. Stefan Ruppert, MdB