Frage an Stefan Urbat bezüglich Familie

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Stefan Urbat
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Frage von Uwe M. •

Frage an Stefan Urbat von Uwe M. bezüglich Familie

Sehr geehrter Herr Urbat,

Sie beantworten alles hier mit sehr viel Akribie. Oft kann ich zustimmen. Ich widerspreche Ihnen jedoch beim Thema: Entlohnung von Frauen.

1. In D bekommen Frauen idR für gleiche Arbeit auch das gleiche Geld (im gesamten öD und in allen gewerkschaftlich organisierten Branchen ist auch nichts anderes vorstellbar). Selbst das Familienministerium hat diese Behauptung der Lohndiskriminierung von seiner HP genommen. (Ausnahmen davon sind sicher möglich, aber selten, warum sollte ein Unternehmen dann nicht nur Frauen einstellen und viel Geld sparen?), trotzdem ist diese "LEgende" immer noch in vielen Köpfen, leider ja auch in Ihrem.

2. Mittlerweile existieren in fast schon inflationärem Rahmen diverse Projekte / Referate /Lehrstühle zur Förderung von Frauen, Gründerinnen, Wissenschaftlerinnen usw. Der wissenschaftl. BEweis der Wirksamkeit steht aus. Hier sind idR ausschließlich Frauen aktiv. Die Nichtwählbarkeit eines Mannes zum Gleichstellungsbeauftragten ist m.E. Diskrminierung pur (einfach mal andersherum vorstellen).
3. Trotz aller dieser Fördermaßnahmen verdienen Frauen im Durchschnitt etwas weniger als Männer. Es ist bekannt, daß das Selbstverständnis vieler Frauen nicht auf Karriere, Geld und Familienunterhalt abzielt und fast alle Frauen einen ökonomisch potenteren Partner suchen (nach oben schauen). Dies erklärt m.E. sehr gut die derzeitigen Verhältnisse.
4. Speziell Jungen sind in der Schule und Bildungssystem mittlerweile die Verlierer, s. Abgänger ohen Abschluß und Studienbeginner. Männliche Vorbilder fehlen, jungenhaftes Verhalten wird sanktionniert, Girls-days u.ä. sprechen eine deutliche Sprache, welches GEschlecht gewünscht ist.

Meine Fragen:
1. Will Ihre Partei derartige Diskrminierungen von Jungen und Männern weiter fördern und hinnehmen?
2. Will die Piratenpartei die idR ideologisch motivierten Frauen-Fördermaßnahmen im Sinne von sparsamer Mittelverwendung überprüfen und evtl. einschränken?

Vielen Dank

Uwe Meier

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Antwort von
PIRATEN

Sehr geehrter Herr Meier,

mir ist inzwischen bewusst geworden, dass von außerhalb der Piratenpartei unserem parteiinternen Verständnis von Gleichberechtigung der Geschlechter wenig Verständnis entgegen gebracht wird: deswegen möchte ich nochmals betonen, dass wir die Gleichberechtigung der Geschlechter einerseits für im Wesentlichen vollzogen halten und andererseits auch deswegen auf die Adressierung dieses Themas verzichten, weil wir einen weitgehenden Konsens in der Gesellschaft zu sehen glauben, dass diese Fragen im Großen und Ganzen sinnvoll behandelt werden, und zwar von allen im Bundestag derzeit vertretenen Parteien.

Ich persönlich wollte nur feststellen, dass wir in mancher Hinsicht noch nicht an diesem Ziel in der realen Gesellschaft angekommen sind, das las sich vielleicht drastischer, als es gemeint war (ich bin i.a. sehr deutlich in meinen Aussagen). Was nun folgt, ist also wieder meine persönliche Meinung dazu, die aber nicht ohne Fakten gebildet wurde.

Zunächst möchte ich nochmals etwas zum Unterschied im Einkommen in der Bundesrepublik Deutschland speziell im Vergleich zum europäischen Ausland anmerken:

diese Unterschiede liegen insgesamt und in verschiedenen Branchen, wie der, in der ich arbeite (Informationstechnik), immer noch weit höher als im europäischen Ausland.

Trotzdem haben Sie natürlich Recht, dass es keine solchen Unterschiede im öffentlichen Dienst und in strikt tarifvertraglich geregelten Bereichen der Wirtschaft gibt.

Diese Unterschiede kommen meiner Meinung nach nur zum kleinsten Teil durch den Umstand, den Sie nannten, zu Stande: dass Frauen meist weniger hart um Ihr Gehalt verhandeln, ist sicher überwiegend zutreffend, und es ist (evolutions-)biologisch bedingt, dass sie in Zeiten der Schwangerschaft und des Aufziehens kleiner Kinder eine gewisse Unterstützung durch andere Menschen, i.a. ihre männlichen Partner,bedürfen.

Letzteres hat aber ebenso für die Frauen und ihr Einkommen negative Folgen wie diese beiden Punkte: 1. Berufe, die nach wie vor überwiegend von Frauen bzw. Männern ausgeübt werden, haben unterschiedliche Entlohnungsniveaus, hier sind die mehrheitlich von Frauen ausgeübten Berufe üblicherweise gegenüber denen, die überwiegend von Männern ausgeübt werden, aber deutlich im Nachteil (Pflegeberufe, Kindergärtnerinnen etc. gegenüber Ingenieuren z.B.). Ich finde es keineswegs überzeugend, dass solche Unterschiede den Unterschieden im Anspruch des Berufs entsprechen, zumindest nicht proportional.

Zum Anderen werden gerade besser bezahlte Akademiker, die ihren Vertrag selbst individuell ohne jede Tarifbindung aushandeln, was heute recht häufig geworden ist, sehr unterschiedlich entlohnt, wobei die genannten Schwangerschafts- und Erziehungspausen bei Frauen auch eine große Rolle spielen. Hier sind bei gleichen Stellen Einkommensunterschiede von 10 bis 15% keine Seltenheit, teils liegen sie sogar noch deutlich höher. Das wird regelmäßig bei anonymen Umfragen in solchen Branchen festgestellt, in denen das Einkommen der Mitarbeiter oft das am Besten gehütete Firmengeheimnis darstellt - das wird in der Tat offenbar massiv zur finanziellen Benachteiligung insbesondere der Frauen von den Arbeitgebern genutzt.

Auf der anderen Seite haben Sie völlig Recht, dass neuerdings in den Schulen die Jungs gegenüber den Mädchen mittlerweile im Unterricht deutlich benachteiligt sind. Und es kann in meinen Augen nicht eine Diskriminierung durch eine andere ersetzt werden: dieses bekannte Problem muss diesmal von der ungewohnten anderen Seite angegangen werden, alle Schulkinder, unabhängig vom Geschlecht, verdienen natürlich dieselben Chancen.

Zu Ihren Fragen konkreter:

1. nein, wir wollen natürlich, dass Jungs dieselben Chancen in der Schule haben wie Mädchen. Wenn dazu erneut Unterrichtsformen und -inhalte angepasst werden müssen, dann sollte das getan werden; von der Trennung von Jungs und Mädchen wie früher in reine Geschlechterschulen halte ich schon wegen der persönlichen Entwicklung auch in Bezug auf das andere Geschlecht dagegen überhaupt nichts.

2. Überschwang gibt es immer wieder einmal im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungen. Wo Gleichstellungsmaßnahmen für Frauen über das Ziel hinausschießen, sollten sie auch wieder auf ein normales, sachlich zu rechtfertigendes Maß zurück genommen werden, was in der Tat gelegentlich Geld sparen kann. So ist es keineswegs sicher, dass sich die Studenten- und Professorenzahlen in allen Studienfächern bei diskrimierungsfreier Bildung und offener, nicht mehr geschlechterlastiger Entwicklung und Höhe der Chancen in der Gesellschaft wirklich angleichen lassen.

Zu Gleichstellungsbeauftragten hatte ich schon in einer anderen Frage erwähnt, dass hier mittlerweile ein hinsichtlich Geschlechtern symmetrischerer Ansatz bei der Auswahl angewendet werden kann und wohl auch oft werden sollte, diese reine Frauenauswahl auf der aktiven und passiven Seite ist häufig nur noch historisch bedingt (war früher sicher einmal sinnvoll).

Mit freundlichen Grüßen,

Stefan Urbat