Frage an Sven-Christian Kindler bezüglich Gesundheit

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Sven-Christian Kindler
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Frage von Florian S. •

Frage an Sven-Christian Kindler von Florian S. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Kindler,

im Rahmen einer über change.org gestarteten Initiative i. S. "Wiederspruchslösung bei Organspenden" (https://www.change.org/p/%C3%A4nderung-des-transplantationsgesetzes-einf%C3%BChrung-der-widerspruchsl%C3%B6sung-jensspahn-bmg-bund-organspende) bin ich (neben vielen anderern Aktiven) aktuell bemüht, die Haltung "meiner" Wahlkreisabgeordneten zu eruieren.

Der zuständige CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn entzieht sich leider seiner Verantwortung und weigert sich, die bislang > 80.000 gesammelten Unterschriften unserer Petition entgegen zu nehmen und sich einem Gespräch zu stellen.

Daher nun meine direkte Frage an Sie: Befürworten Sie die Einführung einer Widerspruchslösung i. S. Organspende (so wie es sie auch schon in zig anderen Ländern gibt) oder lehnen Sie diese ab?

Vielen Dank für eine Rückmeldung im voraus.

Mit freundlichen Grüßen

F. S.

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Lieber F. S.,

Wir brauchen in Deutschland dringend mehr Organspenden. Ich habe selbst seit vielen Jahren einen Organspendeausweis. Allerdings lehne ich die Widerspruchsregelung sowohl aus ethischen als auch aus versorgungspraktischen Gründen ab.

1. Die Widerspruchsregelung hilft nicht, die Zahl der Organspenden zu erhöhen.

• Die Organspendebereitschaft in der Bevölkerung und die Zahl der Organspende-Ausweise sind in den letzten Jahren gestiegen. Zeitgleich ist die Zahl der realisierten Spenden gesunken. Das Problem einer zu geringer Anzahl von Spendeorganen lässt sich also nicht auf eine mangelnde Spendenbereitschaft in der Bevölkerung zurückführen.

• Für die Höhe der Spenderaten sind die strukturellen Rahmenbedingungen entscheidend. Eine aktuelle Studie der Universität Kiel zeigt klar, dass der Hauptgrund für die sinkenden Organspende-Zahlen die Tatsache ist, dass in deutschen Kliniken potentielle Organspender*innen zu selten identifiziert und gemeldet werden. Das liegt u.a. daran, dass Transplantationsbeauftragte oft nur sporadisch von den Kliniken freigestellt werden und Organentnahmen für die Kliniken finanziell unrentabel sind. Dazu kommt, dass nicht überall Neurolog*innen vorhanden sind, die die Expertise für eine Hirntodfeststellung haben und dass ärztliches und pflegerisches Personal mancherorts prinzipielle Bedenken gegenüber Organspenden haben. An diesen Ursachen würde sich auch mit der Widerspruchsregelung nichts ändern. Daher brauchen wir strukturelle und organisatorische Reformen wie eine angemessene Freistellung der Transplantationsbeauftragten, eine ausreichende Refinanzierung von Organentnahmen und eine stärkere Verankerung der Organspende in der Aus- und Weiterbildung der Gesundheitsberufe.

• Dass die Widerspruchsregelung nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Organspenden führt, zeigt sich auch in unseren europäischen Nachbarländern. In Spanien, das aufgrund seiner hohen Organspenderaten weltweit als Vorbild gilt, wurde die Widerspruchsregelung 1979 eingeführt. Aber erst 20 Jahre später stiegen die Spendezahlen erheblich an – dank einer umfassenden Strukturreform des Transplantationssystems. Ähnlich war es in Österreich. In Lettland und Frankreich sind die Spenderaten nach Einführung der Widerspruchsregelung sogar gesunken. In Italien gab es einen Anstieg der Spenderaten bereits vor Einführung der Widerspruchsregelung – ebenfalls ausgelöst durch eine Strukturreform. Auch Brandenburg konnte die Zahl der Organspenden im ersten Halbjahr 2018 verdoppeln – ganz ohne Widerspruchsregelung.

• Die hohen Spendezahlen in einigen europäischen Nachbarländern (Spanien, Niederlande, Belgien, UK) sind zudem darauf zurückzuführen, dass dort vermehrt Organe auch nach Herzstillstand entnommen werden. Dabei handelt es sich um ein ethisch höchst fragwürdiges Verfahren, das in Deutschland nicht zugelassen ist.

2. Aus meiner Sicht sprechen zudem folgende ethische Gründe gegen die Widerspruchsregelung:

• Die Widerspruchsregelung ist ein erheblicher Eingriff ist das Selbstbestimmungs- und (postmortale) Persönlichkeitsrecht. Gerade in Deutschland sollte uns auch aus historischen Gründen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung besonders wichtig sein.

• Für den Datenschutz befürworten wir Opt-in-Lösungen, da sie die Bürgerrechte besser schützen als eine Opt-out-Lösung. Das muss umso mehr auch in einer so existenziellen Frage wie der Organspende gelten.

• Wenn alle Menschen automatisch als Organspender*innen gelten, solange sie nicht aktiv widersprechen, haben Staat und Transplantationsmedizin zudem keinen Anreiz mehr, eine aufgeklärte und bewusste Entscheidung der Bürger*innen zu fördern. Die Widerspruchslösung wird also gerade nicht zu mehr Selbstbestimmung führen.

Herzliche Grüße

Sven-Christian Kindler

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