Frage an Sylvia Kotting-Uhl bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Sylvia Kotting-Uhl
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Leonhard Dr. B. •

Frage an Sylvia Kotting-Uhl von Leonhard Dr. B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Farau Kotting-Uhl,

erlauben Sie mir bitte, Ihnen mehrere Fagen zu stellen. Ich bedanke mich im Voraus für Ihre Antworten.

1. Abschaffung aller Atomwaffen

- Wie stehen Sie zur Frage der US-Atomwaffen in Deutschland und zur nuklearen Teilhabe Deutschlands? Welchen Sinn haben diese Waffen aus Ihrer Sicht nach dem Ende des Kalten Kriegs?
- Wird Ihre Partei im Falle von Koalitionsverhandlungen den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland im Koalitionsvertrag festschreiben?

2. Ausstieg aus der Atomenergie/Erneuerbare Energien

- Wird Ihre Partei den Atomausstieg nach dem derzeit geltenden Atomgesetz fortsetzen?
- Werden Sie sich dafür einsetzen, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) so fortzuschreiben, dass insbesondere der dezentrale Ausbau der Photovoltaik und der Windenergie "in Bürgerhand" beschleunigt wird?

3. Beendigung des Afghanistan-Krieges

- Würden Sie Ende des Jahres für oder gegen die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan stimmen?
- Angesichts der Lage in Afghanistan, wie stehen Sie zur zivil-militärischen Zusammenarbeit (CIMIC)?

4. Schutz von Flüchtlingen und Bekämpfung von Flucht-Ursachen

- Wie stehen Sie zu einem Bleiberecht für besonders schutzbedürftige, traumatisierte Flüchtlinge?
- Wo sehen Sie Deutschland in der Verantwortung für wichtige Flucht-Ursachen (Krieg, Verelendung, Umweltzerstörung) und was wollen Sie als Abgeordnete/r diesbezüglich tun?

Freundliche Grüße
Ihr Dr. Leonhard Braun

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Dr. Braun,

ich bitte Sie um Nachsicht, dass ich versuche diese doch umfangreichen Fragen so kurz wie möglich zu beantworten. Auf Wunsch schicken wir Ihnen gern unser Wahlprogramm zu (das wie üblich das umfangreichste aller Parteien ist). Für Karlsruher ist die Adresse sylvia.kotting-uhl@wk.bundestag.de

1.
Die Grünen wollen, dass die in Deutschland und Europa verbliebenen Atomwaffen endlich abgezogen werden und unsere nukleare Teilhabe beendet wird. Unser Ziel ist dir Entnuklearisierung der NATO-Strategie. Gerade die Atomwaffenstaaten müssen allen Verpflichtungen aus dem Nichtweiterverbreitungsvertrag (NVV) und den vereinbarten Schritten zur nuklearen Abrüstung nachkommen. Den nuklearen Abrüstungsprozess muss Deutschland bzw. Europa auch mit einseitigen Abrüstungsschritten voranbringen. Die 2010 anstehende Überprüfungskonferenz für den Atomwaffensperrvertrag muss eine positive Botschaft haben. Unser Ziel war und bleibt eine Welt ohne Atomwaffen. Ich bin für Anfang August nach Japan eingeladen um in Hiroshima und Nagasaki zum Jahrestag der Atombombenabwürfe zu reden. Ich werde sicher mit Eindrücken zurückkommen, die mich in dieser Grünen Grundhaltung noch einmal massiv bestärken.

Der "Sinn" von Atomwaffen liegt auch nach dem Kalten Krieg in Machtdemonstration und Drohgebärde. In der Biologie nennt man das "schimpansoides Dominanzverhalten".

Wie das mit Koalitionsverträgen ist, wissen Sie vermutlich: Sie werden in langen Tagen und Nächten ausgehandelt, jede - vor allem aber die kleinere - Partei muss Zugeständnisse machen und am Ende entscheidet die Partei darüber, ob die Plus- die Minus-Punkte ausreichend überwiegen. Der Abzug aller Atomwaffen ist ein wichtiger Punkt, aber es macht keinen Sinn, wenn einzelne Abgeordnete im Vorfeld verkünden was unabdingbarer Bestandteil eines eventuellen Koalitionsvertrages sein muss. Ich bitte da um Ihr Verständnis.

2.
Der Atomausstieg ist für uns nicht verhandelbar - darauf hat sich die Gesamtpartei bei ihrem Programmparteitag festgelegt. Er ist Kern unserer Energiepolitik und ein Stück Sicherheit das wir für unsere Kinder und Kindeskinder organisiert haben. Das Risiko der Atomkraft gegen den Klimawandel ausspielen zu wollen - wie es derzeit von den Energiekonzernen und ihren politischen VertreterInnen versucht wird - zeugt von Unkenntnis oder bewusster Irreführung. Nachhaltiger Klimaschutz gelingt nur mit Erneuerbaren und Effizienz. Die geforderte Laufzeitverlängerung für die schwerfälligen nicht regelbaren Atomkraftwerke fördert nicht den Ausbau der EE, sondern behindert ihn. Flexibilität ist die Forderung an Kraftwerke, die den Windstrom ausgleichen und damit sein ungeheures Potential nutzbar machen sollen.

Das EEG als das bisher weltweit beste Instrument zur Förderung der Erneuerbaren Energien wird von uns im Sinn des dezentralen Ausbaus fortgeschrieben werden. Ein Projekt wie Desertec, das solaren Wüstenstrom und Windstrom von den Küsten Marokkos nach Europa transportieren sollen, ist eine wunderbare Vision dafür was mit Eneuerbarer Energie alles möglich ist. Es im Sinn einer energetischen Weichenstellung für Afrika anzugehen ist richtig. Wenn dann aus Überkapazitäten ein gewisser Anteil nach Europa exportiert werden kann - gut. Aber darauf unsere Vorstellung zukünftiger Energieversorgung zu konzentrieren, ist so unsinnig wie unnötig. Europa hat das Potential sich zu 100% aus Erneuerbaren Energien selbst zu versorgen. Das Wachstum der Energie aus Erneuerbaren in Deutschland übersteigt alle Erwartungen. Sie werden uns 2030 zu 100% mit Strom versorgen - wenn wir ihnen keine Hindernisse wie lange am Netz bleibende Großkraftwerke in den Weg stellen. Darum geht der Kampf mit den Energiekonzernen in den nächsten Jahren und in diesem Bundestagswahlkampf. Unsere Energieversorgung ist in Bürgerhand am besten aufgehoben, davon bin ich inzwischen absolut überzeugt!

3.
Ich werde Ende des Jahres gegen die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan stimmen, wie ich es jedes Jahr getan habe - und zwar sowohl bei OEF wie bei ISAF. Diese beiden Mandate sind nicht ehrlich voneinander zu trennen, weil sie ineinander greifen und sich gegenseitig brauchen. Die Strategie in Afghanistan ist gescheitert. Ich habe die militärischen Einsätze von Anfang an für nicht zielführend und nicht verantwortbar gehalten. Es gab aber Phasen, in denen auch ich die Hoffnung hatte, ich hätte mich geirrt. Inzwischen sind wir in einer Situation, die immer eindeutiger darauf hinweist, dass die Einsätze in Afghanistan ohne gewaltige Aufstockung von Finanzmitteln und Soldaten zu keinem - wie immer dann gearteten - Ende kommen werden. Dazu sind die beteiligten Länder aber offensichtlich nicht bereit. Auf der anderen Seite scheint auch der Abzug nicht möglich, da dann das Land nach Einschätzung der Einsatz-Befürworter sofort wieder unter die Herrschaft der Taliban geraten würde. Ein Dilemma reinsten Wassers!

In dieser Gemengelage scheint mir die praktizierte zivil-militärische Zusammenarbeit ganz offensichtlich nicht die Lösung zu sein. Was immer die Lösung sein könnte - an ihrem Anfang müsste das Eingeständnis der westlichen Welt stehen, dass man sich mit dem Eingreifen in Afghanistan überschätzt und übernommen hat.

4.
Die derzeitige Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik hat mit dem ursprünglichen Recht auf Asyl in unserem Grundgesetz nichts mehr zu tun. Flüchtlinge werden in Länder abgeschoben, in denen Menschenrechte systematisch verletzt werden und in denen sie an Leib, Leben und Freiheit bedroht sind. Wir Grüne wollen zurück zu einer Flüchtlingspolitik, die auf der Genfer Konvention und der europäischen Menschenrechtskonvention beruht. Wir wollen großzügige Bleiberechtsregelungen, vor allem für besonders schutzbedürftige und/oder traumatisierte Flüchtlinge. Solche Menschen dürfen nicht in Abschiebehaft genommen werden. Flüchtlingskinder, die gar keine andere Heimat kennen als Deutschland, abzuschieben - wie es immer wieder praktiziert wird - ist ein unglaublicher Skandal (vor allem auf der Folie unserer eigenen Geschichte!).

Deutschland als Ressourcen verbrauchende, Umwelt schädigende und Klima zerstörende Gesellschaft trägt natürlich Verantwortung dafür, dass Lebensgrundlagen in der Welt zerstört werden und Menschen flüchten. Eine Milliarde Menschen sind chronisch unterernährt. Konkurrenzen um die Ressourcen Fisch, Holz, Wasser, Land oder Energie; Finanzkrise, Klimawandel oder Aufrüstung - an all dem sind wir auf irgendeine Weise beteiligt, und all das treibt Menschen in die Flucht. Das Flüchtlingshilfswerk der UN schätzt, dass allein in der Folge von Umweltkatastrophen derzeit rund 25 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Diese Zahl wird sich mit stärker werdenden Auswirkungen des Klimawandels vervielfachen. Unsere ganze Programmatik - ob Umwelt-, Energie- oder Außenpolitik - ist auf den globalen Blick, auf globale Gerechtigkeit ausgelegt. Deshalb zeigt unser Haupt-Bundestagswahlplakat genauso wie das Cover des Wahlprogramms auch die Weltkugel. Um es etwas übergeordnet zusammenzufassen: Wir setzen auf Kooperation, Dialog und fairen Interessenausgleich zwischen Nord und Süd. Ein solcher "kooperativer Multilateralismus" braucht stärkere, mächtigere Institutionen unter dem Dach der UN als wir sie heute haben. Dafür setzen wir uns ein.

Na ja, "kurz" ist etwas anderes - nun ist meine Antwort doch länger als beabsichtigt ausgefallen. Ich empfehle Ihnen trotzdem zur vertiefenden Einsicht unser Wahlprogramm ;-)

Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl