Frage an Ulrich Goll bezüglich Jugend

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Frage von Marco K. •

Frage an Ulrich Goll von Marco K. bezüglich Jugend

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Goll,

gestern konnte ich die Podiumsdiskussion mit Ihnen in Bad Schönborn ( http://www.fdp-bw.de/regional/home.php?kvid=Vorderer-Kraichgau ) aufmerksam verfolgen.

Einige Fragen wurden m. E. unzureichend beantwortet.
1) Zu welchem Zeitpunkt beginnt der "Altfall"?
Schon beim Verstoß gegen Art. 6 GG oder gegen das EMR? Am Tag des Urteils des BVerG am 21.07.10? Bei bereits vor dem 21.07.10 geb. Kindern od. gezeugten Kindern seit dem 21.07.10
2) Werden "Altfälle" anders behandelt als Neugeburten? Wenn ja, wie und warum? Das jur. Kindesrecht besteht ja schon mindestens seit der UN-Menschenrechtskonvention.
3) Ist es vorteilig bei der Diskussionsführung bei Elternkonsensbildung vorher das gem. Sorgerecht unter strenger Beobachtung der zuständigen Behörden zu erteilen, damit sich die Parteien "auf Augenhöhe" (neutral) miteinander unterhalten müssen, um keine "faulen" Kompromisse auszuhandeln. Bei Geburt ab 2011 ist dies sicher besser.
4) Können die Schlichtungsgesetze angewendet werden? Wie muß ein Mediator/Schlichter (notfalls mit Entscheidungsbefugnissen für das Kind) eingebunden werden?
5) Wie kann ein Elternteil, das per Dekret/Gesetz gegenüber einem Verdienst/Leistung (außer der Geburt) ermächtigt wurde über das Kindeswohl zu wachen/es zu fördern/ihm zu dienen/es zu erhalten dazu gebracht werden, kooperieren zu müssen? Totale und subtile Verweigerungen sowie Kommunikationslosigkeit sind die Ursachen, dass Konflikte nicht stressfrei ausgetragen werden.
Wie kann eine Verweigerungshaltung "bestraft" werden?
6) Bei Behandlung von "Altfällen" wird es im Allgemeinen so sein, dass die/der alleinig Sorgeberechtigte bequeme, gewohnte Pfründe aufgeben muß. Wie kann den betr. Personen am "Konsenstisch" klar gemacht werden, dass nur die Kinder die Gewinner sein können/müssen, und dass es der Anstrengung beider Elternteile dazu bedarf.
8) Kann ein Kind (bis 18) auf Schadensersatz gegen seine Mutter/seinen Vater klagen?

Mit freundlichen Grüßen
M. K.

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Kühn,

vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch.de. Ihre Fragen beziehen sich auf einzelne Aspekte der aktuellen Problematik der elterlichen Sorge für nichteheliche Kinder, die unter anderem auch Thema bei der Veranstaltung "Familienrecht im Wandel" am 26. Oktober 2010 in Bad Schönborn war, an der wir beide teilgenommen haben.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 21. Juli 2010 (NJW 2010, S. 3008 ff.) entschieden, dass die Regelungen der §§ 1626 a Abs. 1 Nr. 1, 1672 BGB verfassungswidrig sind, da dem Vater eines nichtehelichen Kindes durch die Regelungen die Möglichkeit verwehrt wird, die alleinige Zuordnung des Sorgerechts zur Mutter - wenn diese einem gemeinsamen Sorgerecht widerspricht - gerichtlich überprüfen zu lassen. Nicht beanstandet hat das Bundesverfassungsgericht (und auch nicht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 3. Dezember 2009) die grundsätzliche gesetzgeberische Entscheidung, dass das Sorgerecht nichtehelicher Kinder zunächst einmal allein der Mutter zusteht. Der Gesetzgeber ist durch die Entscheidung gehalten, die Regelungen zum Sorgerecht nichtehelicher Kinder zu reformieren; ein Entwurf wird derzeit erarbeitet. Für die Übergangszeit bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung hat das Bundesverfassungsgericht die Anwendung von § 1626 a BGB mit der Maßgabe vorgegeben, dass das Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil davon überträgt, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht. Dies ist die Regelung für die Übergangszeit unabhängig vom Geburtsdatum des Kindes.

Der Begriff des "Altfalls", nach dem Sie fragen, ist in diesem Zusammenhang gebräuchlich für die Fälle, in denen sich die nicht miteinander verheirateten Eltern eines Kindes bereits vor 1998 trennten. Hier hat der Gesetzgeber aus Anlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 2003 (NJW 2003, 955) in Art. 224 § 2 Abs. 3 und 4 EGBGB folgende Übergangsregelung getroffen: Haben nicht miteinander verheiratete Eltern längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft die elterliche Verantwortung getragen und sich vor dem 1. Juli 1998 getrennt, so kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Sorgeerklärung des anderen Teils ersetzen, wenn die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl dient. Diese Regelung ist wieder aktuell, da auch sie als Vorbild für die nunmehr zu treffende gesetzliche Neuregelung im Hinblick auf die Entscheidung vom 21. Juli 2010 diskutiert wird.

Ihre weiteren Fragen betreffen im weiteren Sinn das Projekt Elternkonsens. In Baden-Württemberg bestehen bereits an vielen Familiengerichten Modelle, die sich aus der sog. "Cochemer Praxis" fortentwickelt haben und die - immer das Kindeswohl im Blick - auf eine möglichst einvernehmliche und tragfähige Lösung der Sorge- und Umgangsrechtsstreitigkeiten abzielen. Aspekte sind eine fächerübergreifende Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen beteiligten Professionen (Gericht, Jugendamt, Beratungsstellen, Anwaltschaft) und eine möglichst frühe Terminierung aufgrund einer beschränkten Antragsschrift. Unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht, und unabhängig davon, ob ein gemeinsames Sorgerecht eingetragen worden ist, soll das Kindeswohl im Vordergrund stehen. Dem Kindeswohl ist meist durch eine Regelung, die beide Elternteile mittragen können und wollen, am meisten gedient. Vor diesem Hintergrund sollen Wege angeboten werden, mit Hilfe derer gerade die von Ihnen angesprochene Kommunikationslosigkeit und Verweigerungshaltung einzelner Elternteile überwunden werden können. Im Juni dieses Jahres ist in diesem Zusammenhang auch das gemeinsam vom Justiz- und Sozialministerium vorgeschlagene Projekt "Kindeswohl bei Trennung und Scheidung" in die Nachhaltigkeitsstrategie des Landes Baden-Württemberg aufgenommen worden; unter Federführung des Justizministeriums soll eine Konzeption für ein flächendeckendes Netz von nachhaltigen Kooperationen der an Sorge- und Umgangsrechtsstreitigkeiten beteiligten Berufsträger etabliert werden.

Ich hoffe, Ihnen mit meinen Ausführungen weitergeholfen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Ulrich Goll MdL