Frage an Ulrich Kelber bezüglich Recht

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Ulrich Kelber
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Frage von Jörg B. •

Frage an Ulrich Kelber von Jörg B. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Ulrich Kelber!

Laut eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1976 hat der Staat die Entschädigung der Conterganopfer aus dem Privatrecht herausgenommen. Müsste der Bundestag nicht die Lebenswirklichkeit der Opfer prüfen um die Renten so anzupassen, dass ein menschenwürdiges Leben gewährleistet ist? Die ursprüngliche Versorgung war ja zunächst für Kinder ausgelegt und nicht für Erwachsene, die sie nun mal heute sind.

Im Jahr 2008 wurde die Contergan-Rente verdoppelt und zur Zeit ist der Gesetzentwurf zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes von den Fraktionen CDU/CSU und SPD in den Deutschen Bundestag eingebracht worden. Erfreuliche erste Bemühungen die Lebenssituation der Conterganopfer zu verbessern. Aber reichen diese Hilfen aus ein Leben ohne Arme (und/oder Beine) menschenwürdig zu bewältigen?

Viele Conterganopfer konnten nie einen Beruf ausüben und sind auf ständige Hilfe angewiesen. Andere haben einen Beruf ausgeübt, sind aber aufgrund schwerwiegender Folgeschäden erwerbsunfähig oder Frührentner. Viele leben mit chronischen Schmerzen. Viele haben nie einen Partner gefunden, konnten keine Familie gründen und leben mehr oder weniger vereinsamt bei ihren immer älter werdenden Eltern.

Nun ist dieses Lebensschicksal kein bedauerliches Unglück, was aus heiterem Himmel über sie gekommen ist, sondern es gibt einen Verursacher. Dieser Verursacher ist für die Betroffen juristisch nicht mehr zu belangen. Der Staat hat mit dem Stiftungsgesetzt die Verantwortung übernommen.

In Großbritannien, Schweden und Italien gibt es weit aus höhere Entschädigungen für die dortigen Conterganopfer. Kann es sein, dass Deutschland, das Herkunftsland des Medikamentes Contergan, seine Conterganopfer mit einer minimal Entschädigung abfindet und ihnen die juristische Möglichkeit nimmt, gegen den Verursacher zu klagen?

Mit freundlichen Grüßen

Jörg Bruchmüller (selbst Conterganopfer)

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Bruchmüller,

vielen Dank für Ihre Anfrage zu Conterganopfern.
Das Erinnern an 50 Jahre Contergan Ende 2007 hat der Öffentlichkeit vor Augen geführt, wie schwer es für die contergangeschädigten Menschen ist, ihr tägliches Leben zu meistern und dass sie mit zunehmenden Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Hierauf hat die große Koalition reagiert. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, mit einem Maßnahmenmix die Lebenssituation der contergangeschädigten Menschen zu verbessern und ihnen bessere Hilfen an die Hand zu geben.
Seit mehr als einem Jahr stehen Politikerinnen von SPD und CDU/CSU in Verhandlungen mit Betroffenen und deren Verbänden, der Verursacherfirma Grünenthal, der Contergan-Stiftung für behinderte Menschen und der Bundesregierung. Vieles ist bereits umgesetzt oder in der Umsetzung begriffen.

- Die monatliche finanzielle Unterstützung (früher "Rente") ist nicht - wie noch Anfang 2008 vorgesehen - nur um 5% angehoben, sondern verdoppelt worden. Der Höchstsatz beträgt seit dem 01. Juli 2008 1.090 Euro (früher: 545 Euro).

- Gleichzeitig wurde neu geregelt, dass diese monatliche Unterstützung nicht auf andere Zahlungen wie Erwerbsminderungsrenten, SGB-II-Zahlungen oder Sozialgeld angerechnet wird.

- Wir haben das Straßenverkehrsgesetz geändert, so dass es jetzt für die Geschädigten einen - längst überfälligen - Anspruch auf einen Behindertenparkplatz gibt.

- Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat mit einem Rundschreiben zur Verordnung und Bewilligung von Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen deutlich gemacht, dass im Sinne der contergangeschädigten Menschen bei der Verordnung von medizinischen Heil- und Hilfsmitteln der Rahmen voll ausgeschöpft und Ausnahmetatbestände genutzt werden sollten.

- Wir haben einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, mit dem wir mehr Forschung über die Lebenssituation der Betroffenen erreichen und hieraus Schlüsse für wirkungsvollere Hilfen und Hilfsmittel ziehen wollen.

Jetzt steht der nächste große Schritt an. Die Koalition hat sich auf weitere Verbesserungen für contergangeschädigte Menschen geeinigt. Das entsprechende Zweite Gesetz zur Änderung des Contergan-Stiftungsgesetzes ist Ende März in den Deutschen Bundestag eingebracht worden. Es soll noch am 01. Juli 2009 in Kraft treten.

Im Mittelpunkt dieses Gesetzes steht eine jährliche Sonderzahlung, die noch in diesem Jahr zum ersten Mal an die Betroffenen fließen soll. Diese neue Leistung wird über einen Zeitraum von 25 Jahren jeweils einmal jährlich ausgezahlt. In ihrer Höhe wird sie sich am Grad der Behinderung orientieren. Mit der Sonderzahlung wollen wir dauerhaft und nachhaltig helfen. Wir wollen den Betroffenen damit einen größeren finanziellen Spielraum verschaffen, den sie ganz nach ihren eigenen Bedürfnissen nutzen können.

Diese Sonderzahlung wird einerseits finanziert durch eine Zahlung in Höhe von 50 Millionen Euro, zu der sich die Firma Grünenthal verpflichtet hat. Diese Mittel sollen in die Conterganstiftung für behinderte Menschen eingezahlt werden. Zum anderen kommen für die Sonderzahlung 50 Millionen Euro aus dem bestehenden Vermögen der Conterganstiftung hinzu. Die dann insgesamt zur Verfügung stehenden 100 Millionen Euro werden nebst Erträgen im Laufe der nächsten 25 Jahre an alle Leistungsberechtigten ausgezahlt.

Das Zweite Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes kann voraussichtlich bereits zum 01. Juli in Kraft treten. Daran haben viele Personen, vor allem auch viele Betroffene mitgewirkt. Auf ausdrücklichen Wunsch der Betroffenen haben wir dafür gesorgt, dass die monatliche Unterstützung künftig dynamisiert und somit automatisch an die Steigerung der gesetzlichen Renten angepasst wird. Außerdem wurde der zunächst geplante Auszahlungszeitraum der jährlichen Sonderzahlung - ebenfalls auf Wunsch der Betroffen - auf 25 Jahre reduziert. Mit diesen Gesetzesänderungen und den bereits beschlossenen Maßnahmen können wir einen Beitrag dazu leisten, die Lebenssituation der contergangeschädigten Menschen zu verbessern.

Ob es nach den gesetzlichen und vertraglichen Vereinbarungen und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1976 möglich wäre, den Opfern den Klageweg gegen den Verursacher wieder zu eröffnen, kann ich als Nichtjurist nicht beurteilen. Ich bin aber überzeugt, dass wir mit dem eingeschlagenem Weg den deutschen Conterganopfern dauerhafter und nachhaltiger helfen als es eine Schadensersatzklage könnte.

Mit freundlichem Gruß
Ulrich Kelber