Frage an Ulrich Kelber bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Ulrich Kelber
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Frage von Fred S. •

Frage an Ulrich Kelber von Fred S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kelber,

wir erleben zurzeit eine Flüchtlingskrise in Europa.

Bis zu einer Million Flüchtlinge werden in diesem Jahr in Deutschland erwartet. Warum wurde der Bundestag nicht aus der Sommerpause zurückgerufen, um über adäquate Maßnahmen zu beraten?

Insgesamt sind über vier Millionen Menschen aus Syrien allein auf der Flucht. Die Bundesregierung hat angekündigt, Flüchtlinge aus Syrien nicht (in sichere Drittländer) zurückzuschicken. Wo liegt Ihrer Meinung nach die Belastungsgrenze für Deutschland? Wie viele Menschen kann Deutschland dauerhaft und in sehr kurzer Zeit aufnehmen und integrieren? Eine Million, zehn Millionen, hundert Millionen?

Warum wird nicht versucht, sich mit aller Macht für das Ende des Konfliktes in Syrien einzusetzen bzw. die Situation für die Flüchtlinge in den Nachbarländern zu verbessern?

Warum findet nicht eine klare Trennung zwischen Einwanderung (dazu bräuchte man ein Einwanderungsgesetz und Kriterien für Einwanderer) und dem Recht auf Asyl statt?
Europäische Partnerländer wie Großbritannien, Dänemark, Ungarn, Polen, Italien und die Slowakei haben alle Maßnahmen ergriffen, um ihr Land für die Flüchtlinge weniger attraktiv zu gestalten, die primär aus wirtschaftlichen Gründen einwandern. Warum hat Deutschland nicht ähnliche Maßnahmen ergriffen?
Welche Auswirkungen erwarten Sie auf die Bundesstadt Bonn? Wo sollen die Neubürger wohnen? Kommt es zu einer Nachverdichtung in Tannenbusch?

Wie beurteilen Sie die Gefahr, dass eine Parallelgesellschaft entsteht?

Freundliche Grüße,

Fred Schmidt

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Schmidt,

vielen Dank für Ihre Fragen. Ich werde versuchen, der Reihe nach darauf einzugehen.

In der Tat kann man sich fragen, wieso eine Krise von nationaler Tragweite nicht sofort im Bundestag behandelt wird. Nun haben uns die Ereignisse der letzten ein, zwei Wochen allerdings alle überrollt, wenn ich es einmal so formulieren darf. Gestern (6.9.2015) hat sich der Koalitionsausschuss auf eine gemeinsame Position für das weitere Vorgehen und die anstehenden Gespräche und Entscheidungen auf Ebene der EU und mit den Bundesländern verständigt. Natürlich steht die Stabilisierung der Herkunftsländer und damit die Bekämpfung der Fluchtursachen ganz oben auf unserer Agenda. Nur ist Papier geduldig und die letzten 15 Jahre sollten uns gezeigt haben, dass Militärinterventionen ein zweischneidiges Schwert sind.

Deutschland kann, gemessen an seiner Einwohnerzahl, jetzt auf jeden Fall noch mehr Flüchtlinge aufnehmen, aber die Zahlen dieser Tage sind sicherlich nicht jahrelang verkraftbar. In meinen Augen bedeutet das gelebte Solidarität, "jeder so, wie er kann". Das Dublin-Abkommen halte ich für höchst problematisch, da es die Mittelmeeranrainer ganz klar benachteiligt. Davon abgesehen müssen die direkten Nachbarländer wie etwa die Türkei und der Libanon die ganz überwiegende Zahl von Flüchtlingen unterbringen. Dazu steht in besagtem Beschluss des Koalitionsausschusses: Deutschland wird seine internationale Verantwortung wahrnehmen und sein Engagement für die Krisenbewältigung- und -prävention ausbauen. Dafür werden die entsprechenden Mittel im Haushalt des Auswärtigen Amtes um jährlich 400 Mio. Euro aufgestockt. Dies dient der Unterstützung bei der Versorgung und Betreuung von Flüchtlingslagern in den Krisenregionen und der Stabilisierung von Herkunfts- und Transitländern durch die Festigung von Staatlichkeit und den Aufbau von institutionellen Strukturen sowie die Verstärkung unseres Engagements in den Bereichen Konfliktlösung und Mediation. Auch die Kommunikationsarbeit im migrationspolitischen Umfeld soll intensiviert werden.

Wie Sie sicher wissen, fordert die SPD seit langem ein Einwanderungsgesetz. Trotzdem verwahre ich mich gegen die Einteilung in „Guter Einwanderer – schlechter Flüchtling“. Wir nehmen jeden auf, der bei uns Schutz sucht und schauen nicht nach einer potentiellen Nützlichkeit auf dem Arbeitsmarkt – wenngleich die bei vielen syrischen Flüchtlingen im Schnitt sehr hoch sein dürfte! Wenn es nicht gleichzeitig einen nicht zu verkraftenden Brain Drain für Syrien bedeuten würde, könnte ich vollen Herzens sagen, ich bin dankbar für all die Ärzte, Ingenieure, Lehrerinnen und andere gut Ausgebildete, die zu uns kommen. So denke ich aber auch an das verwüstete Land, das sie zurücklassen und wo sie eines Tages bitter fehlen werden. Aber haben wir als Deutsche tatsächlich nichts Besseres zu tun, als uns auf eine mitleidlose „Das Boot ist voll“ – Haltung zurückzuziehen?

Ob Sie wirklich Ungarn als gutes Beispiel hernehmen wollen, bitte ich Sie noch einmal zu überdenken. Ich habe für das Verhalten von Orban und seiner Regierung wirklich gar nichts übrig. Nichts desto trotz hat der Koalitionsausschuss sich darauf verständigt, Fehlanreize (für Asylsuchende vom Westbalkan) einzudämmen: So werden Kosovo, Albanien und Montenegro durch Gesetzesänderung zu sicheren Herkunftsstaaten bestimmt. Bargeld wird weitestgehend durch Sachleistungen ersetzt. Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten sollen bis zum Ende des Verfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben. Die Höchstdauer zur Aussetzung von Abschiebungen wird von 6 auf 3 Monate reduziert.

Darüber hinaus empfehle ich Ihnen folgendes zur Lektüre:

http://www.spd.de/aktuelles/130146/20150826_argumente_vorurteile_fluechtlinge.html

Was Bonn betrifft: Wir müssen schon aufgrund des bisherigen Wohnungsmangels in den nächsten zehn Jahren 10.000 Wohnungen in Bonn bauen. Neu-Tannenbusch fällt mir dabei aber - angesichts der dortigen Herausforderungen - als letzter Stadtteil ein, der nachverdichtet werden sollte.

mit freundlichen Grüßen
Ulrich Kelber