Wie will Ihre Partei und wie wollen Sie persönlich die Demokratie stärken und Nichtwähler überzeugen, ihr Wahlrecht wieder wahrzunehmen?

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Volker Bauer
CSU
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Frage von Marc S. •

Wie will Ihre Partei und wie wollen Sie persönlich die Demokratie stärken und Nichtwähler überzeugen, ihr Wahlrecht wieder wahrzunehmen?

Wir erleben Wahlen mit Wahlbeteiligungen unter 50% und "Wahlsieger" im Bereich von 30% der abgegebenen Stimmen, also weniger als ein Fünftel der Wahlberechtigten. Von einem "klaren Wählerauftrag" und einer funktionierenden Demokratie kann nicht mehr die Rede sein. Wer gewählt werden will, muss auch nachvollziehbare, glaubhaft zukunftsfähige Angebote machen.

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Sehr geehrter Herr S.

Sie sprechen mit Ihrer Frage eine wichtige Herausforderung des politischen sowie medialen Systems an; also Parteien, gewählte Abgeordnete, Verwaltungen, Medien etc. Denn rein rational betrachtet ist die eine Stimme, die jeder volljährige Bürger besitzt, sehr unwahrscheinlich wahlentscheidend. Der Bürger beteiligt sich also an Wahlen zu allerest, weil er ein System - die Demokratie - das auf der Teilhabe möglichst vieler beruht, anderen Formen der Staatsführung überlegen sieht UND weil er der Partei bzw. dem Abgeordneten, die/den er wählt, für am fähigsten hält aktuelle und zukünftige (jetzt noch nicht ersichtliche) Herausforderungen zu lösen. Wählen hat daher - so die Politikwissenschaft - neben aller Kontrollfunktion gleichermaßen etwas Rituelles und etwas Mytisches. 

Die repräsentative Demokratie mit nicht-absolutem Mehrheitswahlrecht, wie wir sie in Deutschland finden, ist historisch gesehen die reifeste oder zumindest eine der reifesten Formen der Demokratie, da sie im Wahlrecht (bei dem sich die Bundestagswahl in Nuancen von der Landtagswahl unterscheidet) die Verantwortung eines Stimm-/Wahlkreissiegers für die Menschen einer Region (in überparteilicher Mandatsausübung) und die möglichst genaue Abbildung des Wählerwillens durch die prozentuale Berücksichtigung auch derjenigen Parteien, die keine Stimmkreise gewinnen konnten, verbindet.

"Parteiabgeordnete" mit z.B. 10% Zuspruch der Wählenden ziehen über ihre Parteilisten in Parlamente ein. Folglich unterscheidet sich das Agieren von Politikern auch aufgrund verschiedener "Wahllogiken" bzw. Logiken in Selektionsprozessen der vom Grundgesetz privilegierten Parteien zwischen Stimmkreisabgeordneten und Listenabgeordneten der Parteien.

Daher ist das Wahlrechtsreformvorschlag der Ampel auch parteipolitisch motivierter grandioser Mist, weil er die von Ihnen angesprochene Bindung zwischen den Menschen einer Region und ihrem ersten (oftmals einzigen) parlamentarischen Vertreter zerschneidet. Mit Blick etwa auf die Europawahl bräuchte es hier eher mehr als weniger Bindung, um Politik und Verantwortung für diese klarer zuordenbar zu machen - und den Menschen daher zu zeigen, dass ihre Teilhabe am mythischen Ritual der Wahl sinnvoll ist. 

Da Sie "kritisieren", dass in einer Demokratie ohne absolutes Mehrheitswahlrecht Abgeordnete gewählt werden, die "nur" z.B. 42% der z.B. 70% Wählenden auf sich vereinen, also effektiv nur die Stimme jedes dritten Wahlberechtigten auf sich vereinen, gilt es zu sagen: Stimmt. Das ist aber immer noch bedeutend mehr als Mitbewerber (die zum Teil trotzdem noch über Parteilisten einziehen um den Willen der Wählenden (darum macht es ja Sinn zu wählen) abzubilden). 

Ihrer Kritik kann allerdings trotzdem nicht gefolgt werden, da immer nur diejenigen die sich an einer Wahl beteiligen darüber entscheiden, wie Parlamente zusammengesetzt sind. Eine Wahlpflicht besteht nicht, da staatlich und gesellschaftlich in einem demokratischen Staat auch die Verweigerung an der Mitwirkung der Politikerkontrolle durch Wahl zu akzeptieren ist - genauso wie aus dieser Position des Nichtwählers heraus jedoch rational geschlossen auch der Verzicht auf Kritik an aus der persönlichen Wahrnehmung heraus "falscher Politik" in den nächsten Jahren unterbleiben müsste, da einem selbst die Besetzung des Parlaments ja "egal" war. 

Auch in Demokratien, die sich aufgrund von absolutem Mehrheitswahlrecht eher in Richtung eines Zweiparteiensystems (siehe England, siehe USA) entwickelt haben und in denen ein Parlament nur aus den Gewinnern der Stimmkreise besetzt wird (Wille des Wählers wird also "schwächer" abgebildet) ziehen Stimmkreisgewinner allerdings nur mit 51-60 Prozent der ABGEGEBENEN Stimmen ein. Da auch hier keine Wahlpflicht besteht, vereinen selbst in einem Zweiparteiensystem die Stimmkreisgewinner, bei  erneut angenommenen 70% Wahlbeteiligung, keine Mehrheit der Menschen hinter sich.

Nochmal ganz deutlich: Demokratie als Staatsform wird gerade dadurch gekennzeichnet, dass auch die passive Nichtmitwirkung an Wahlen (sanktionslos) akzeptiert wird und in der Konsequenz Volksvertretung durch mehrheitliches Vereinen von Wählerzuspruch auf sich als Abgeordnete/r erfolgt, nicht durch eine Abbildung aller Bürger, die sich dazu entscheiden, nicht an der Wahl teilzunehmen. Diese Entscheidung ist jedem Bürger freigestellt. 

In den genauen Wahlmodalitäten unterscheiden sich darüber hinaus die Wahl von Parlamenten von Direktwahlen von Leitungspositionen auf Verwaltungsebene wie der Wahl des Landrates oder (Ober-)Bürgermeisters, die in mehreren Wahlgängen erfolgt. Theoretisch wäre dies zwar auch zur Parlamentsbesetzung möglich, jedoch nur in einem System des "the winner takes it all", sprich in dem lediglich Stimmkreisgewinner ins Parlament einziehen. Am nähesten an ihre Forderung kommt vermutlich die Wahl der Nationalversammlung in Frankreich. Deren Abgeordnete werden entweder mit absoluter Mehrheit im 1. Wahlgang gewählt oder durch relative Mehrheit im zweiten Wahlgang, sollte dieser notwendig werden. Ein System, in dem "solange gewählt wird, bis einer von vielen Kandidaten am ein Abgeordnetenmandat eine absolute Mehrheit (der abgegebenen!) Stimmen in einem Stimmkreis erhält, ist mir nicht bekannt. Ein solches Wahlrecht würde Demokratie, verstanden als Abbildung des Willens des Souveräns, sprich des wählenden (!) Bürgers, auch nicht stärken, sondern eher schwächen.

Das Dargelegte vor Augen, kann der These, dass Demokratie (als Staatsform) nicht funktioniert, weil 30-40 Prozent der Bürger/innen aus verschiedenen Gründen (von: "die Einarbeitung für eine valide Wahlentscheidung ist mir die zeitlichen Kosten nicht wert" bis "ich halte alle für unfähig (ohne es genau begründen zu können/wollen)") nicht an Wahlen teilnehmen nicht gefolgt werden. 

Es ist Ihnen jedoch insofern zuzustimmen, dass die rückläufige Beteiligung an Wahlen als Symptom problematisch ist; als Symptom dafür, dass eine zunehmende Zahl der Menschen offenbar "der Politik" (parteiunabhängig) angesichts in ungesundem Maße wachsender Bürokratie (nicht aus den Parlamenten heraus, sondern aus der Verwaltung via EU-Gesetzgebung bzw. aus einem fehlerhaften Verständnis eines alle Eventualitäten risikomindernd durch Regelung absichern zu können/müssen) keine effektive Gestaltungsfähigkeit mehr zutraut bzw. sie - etwa bei "dem Bürger auf der Straße" auch nicht mehr zu vermittelnden Regeln bei Datenschutz und Co. als handlungsschwach erlebt.

Das Problem berührt jedoch das Verhältnis der Gewalten und politischen Ebenen zueinander bzw. ist auch eine Frage direkt in die Gesellschaft und ihre Erwartung an "den Staat" (siehe zunehmendes Anspruchsdenken entgegen Eigenverantwortung) und ist eine, wenn nicht die größte Herausforderung, wenn es darum geht, die Wahlbeteiligung wieder zu erhöhen. Es berührt aber nicht die Frage der Demokratie als - Zitat Churchill - "schlechteste aller Staats formen, ausgenommen alle anderen, die jemals erfolglos versucht wurden". 

Ich hoffe, Ihre Frage damit umfänglich beantwortet zu haben und freue mich, wenn Sie Ihr Umfeld dazu auffordern, an den kommenden Wahlen teilzunehmen; ungeachtet von der Parteipräferenz.
 

 

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