Frage an Willi Brase bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Willi Brase
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Frage von Christoph B. •

Frage an Willi Brase von Christoph B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Brase,

auf die Frage von Herrn Siebel haben sie zwar geantwortet, jedoch nur auf den offensichtlichen Frageteil. Eine Stellungnahme zu den implizit geäußerten Befürchtungen, dass die vom Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble geforderten Präventivmaßnahmen die Unschuldsvermutung umkehren und dieses Land auf den direkten Weg in einen Überwachungsstaat bringt, liegt sicher nicht nur mir am Herzen.

Wenn künftig die alltägliche Kommunikation von über 80 Millionen Menschen in diesem Land präventiv gespeichert wird, um möglicherweise Terroristen dadurch zu finden, dann frage ich mich, wo hier die Verhältnismäßigkeit liegt. Wie fühlen Sie sich damit, Herr Brase, dass künftig gespeichert sechs Monate lang wird, wann ihre Kinder mit wem telefoniert haben?

Und machen wir uns doch nichts vor. Dem Maut-Gesetz wurde zugestimmt, weil die Maut-Daten ausschließlich zweckgebunden benutzt werden sollten. Das sieht jetzt schon wieder anders aus. Daten wecken Begehrlichkeiten. Begehrlichkeiten, die dazu führen können, dass Ihre Kinder in Daten markiert auftauchen, weil sie Kontakt zu Menschen mit islamischen Hintergrund hatten. Wollen sie das?

Bitte nehmen Sie detailliert Stellung zu den Befürchtungen derer, die Sie doch repräsentieren sollen.

Mit freundlichem Gruß

Christoph Brüning

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Brüning,

vielen Dank für Ihre Anfrage, in der Sie Bedenken gegenüber der gesetzgeberischen Umsetzung der europäischen Richtlinie zur „Vorratsdatenspeicherung“ formuliert haben. Die grundsätzlich bis Herbst 2007 umzusetzende Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten und damit auch Deutschland zur Einführung von Speicherungspflichten für bestimmte Telefon- und Internetdaten zu Zwecken der Terror- und Verbrechensbekämpfung für eine Dauer von mindestens sechs und höchstens 24 Monaten.

Als Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion nehme ich meine Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung als auch die Verpflichtun zur Wahrung der Bürgerrechte sehr ernst. Seien Sie gewiss, die Ängste der Bürgerinnen und Bürger sind mir bekannt.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat ihren Vorbehalt gegen die EU-Regelung zur „Vorratsdatenspeicherung“ erst aufgegeben, nachdem die Bundesregierung in Brüssel einen zufriedenstellenden Kompromiss erzielt hat, dem letztlich auch das Europäische Parlament zustimmte. Der deutschen Regierung ist es auf europäischer Ebene gelungen, die „Vorratsdatenspeicherung“ auf das zu reduzieren, was zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität tatsächlich erforderlich und angemessen ist.

Dabei hatten die Initiatoren der „Vorratsdatenspeicherung“ auf EU-Ebene mit den anfänglichen Entwürfen weitergehendes vorgesehen: So sollte die Mindestspeicherfrist zwölf Monate betragen. Durch lange und intensive Verhandlung ist erreicht worden, dass es jetzt nur noch sechs Monate sind. In der Praxis bedeutet das, dass die Unternehmen, die die relevanten Daten heute bereits für erhebliche Zeiträume zu geschäftlichen Zwecken aufbewahren, keine wesentlich längeren Speicherungen vornehmen müssen als bisher. Ursprünglich sollten auch sog. „erfolglose Anrufversuche“ gespeichert werden. Damit konnten wir nicht einverstanden sein, denn die Speicherung dieser Daten wäre für die Telekommunikationsunternehmen sehr teuer geworden. Zudem gibt es keinen Bedarf für die Speicherung einer solchen Flut von Daten. Auch dieses Thema ist vom Tisch: „erfolglose Anrufversuche“ müssen grundsätzlich nicht gespeichert werden. Ebenfalls gespeichert werden sollten Standortdaten am Ende von Mobilfunkverbindungen. Der Vorschlag wurde gekippt und somit verhindert, dass durch das Anlegen von engmaschigen Bewegungsprofilen in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger eingegriffen wird.

Beim Internet wird schließlich lediglich gespeichert, dass sich der Nutzer online befindet. Es werden ebenfalls Daten zur Internettelefonie und bezüglich der E-Mail-Dienste gespeichert. Inhalte, wie immer behauptet wird, also auch Informationen, welche Websites benutzt werden, werden auch hier nicht gespeichert. Denn Daten, die Aufschluss über den Inhalt einer Kommunikation (z.B. E-Mail oder Telefongespräch oder Seiten, die ein Nutzer aufgerufen hat) geben, dürfen nach der Richtlinie nicht gespeichert werden.
Die Richtlinie enthält Vorgaben für Regelungen zum Datenschutz und zur Datensicherheit, die mit Sanktionen bewehrt werden müssen. Die Sanktionen sollen insbesondere einen unbefugten Zugriff oder Umgang mit den Daten verhindern und die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen sichern.

Keine Alternative zur „Vorratsdatenspeicherung“ ist das sog. „quick freeze“-Verfahren. So können mit diesem Verfahren etwa „Phishing-Mail“-Fälle zumeist nicht verfolgt werden. Phishing-Mails sind fingierte E-Mails, welche als vermeintliche Absender z.B. Deutsche Bank, Commerzbank und Raiffeisen-Volksbank ausweisen. Mit diesen E-Mails wird nach den persönlichen Daten wie PIN und TAN gefragt. Darauf fallen Leute rein. Die Täter sind nicht identifizierbar, weil sie dynamische IP-Adressen und Pauschaltarife benutzen, bei denen die wichtigen Verkehrsdaten heute nicht gespeichert werden dürfen. Richtig ist, dass die Frage strittig war und ist, ob die Richtlinie oder ein Rahmenbeschluss das richtige Rechtsinstrument zur Regelung der „Vorratsdatenspeicherung“ ist. Richtig ist auch, dass wir Bedenken hatten, die „Vorratsdatenspeicherung“ auf eine Richtlinie zu stützen. Rechtsgutachten der Kommission und des Rates sprachen jedoch für eine Richtlinie.
Irland hält die Richtlinie nicht für die richtige Grundlage und hat beim Europäischen Gerichtshof Klage erhoben. Die Slowakei teilt wohl die Auffassung Irlands, hat sich der Klage allerdings bislang nicht angeschlossen. Ob die Klageerhebung zum Schutz von Bürgerrechten erfolgte, darf bezweifelt werden: Irland hat derzeit bereits eine Vorratsdatenspeicherfrist von 36 Monaten.
Wie schon auf europäischer Ebene werden wir auch auf nationaler Ebene bei der Umsetzung der Richtlinie den sachgerechten Interessenausgleich zwischen den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger und dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung im Blick behalten und für eine Speicherung mit Augenmaß sorgen.

Mit freundlichen Grüßen

Willi Brase