Frage an Willi Brase bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Willi Brase
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Frage von Christoph B. •

Frage an Willi Brase von Christoph B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo Herr Brase,

vielen Dank noch einmal für die Zeit, die Sie sich am 19.10. für meine Bedenken genommen haben.

Nun soll der Bundestag am Freitag über die Vorratsdatenspeicherung entscheiden. Wieder einmal haben mehrere tausend Menschen heute in verschiedenen Städten ihren Protest gegen diese Spitzelmaßnahme zum Ausdruck gebracht, die u. a. Mandanten-, Informanten- und Patientenschutz untergraben und de facto abschaffen würde.

In unserem Gespräch am 19.10. wollten Sie noch nicht eindeutig Stellung beziehen, haben aber Ihrerseits durchaus Vorbehalte zum Ausdruck gebracht. Da der entscheidende Termin nun näher rückt, möchte ich Sie fragen, ob Sie in der Zwischenzeit in Ihren Überlegungen zu einem Ergebnis gekommen sind und ob Sie die Vorratsdatenspeicherung am Freitag ablehnen werden oder nicht.

Mit freundlichen Grüßen
Christoph Brüning

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Sehr geehrter Herr Brüning,

vielen Dank für Ihre erneute Email vom 8. November 2007 zur Umsetzung der europäischen Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung.

Das Gesetz
· novelliert die geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung zur Telekommunikationsüberwachung und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen,
· setzt die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht um
· und sorgt für grundrechtswahrende Verfahrenssicherungen bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen.

Das Gesetz hat einerseits im Auge zu behalten, dass der Staat für die Sicherheit zu sorgen hat und daher die berechtigten Strafverfolgungsinteressen des Staates angemessen berücksichtigt werden müssen.

Andererseits greifen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen aber regelmäßig in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, so dass für ihre Anordnung strenge Voraussetzungen gelten und der Rechtsschutz wirksam ausgestaltet sein muss. Deshalb wurde das Telekommunikationsüberwachungsrecht weiter rechtsstaatlich eingegrenzt. Dadurch liegen die Hürden für die Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung in Zukunft noch höher als jetzt. Dabei gilt künftig wie bisher, dass sie – wie künftig bei jeder eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahme auch – grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden darf.

Hürde Nr. 1: Vorliegen einer schweren Straftat

Neu ist dabei, dass Straftaten grundsätzlich nicht in Frage kommen, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Tat muss – auch diese ausdrückliche Regelung ist neu – auch im konkreten Einzelfall schwer wiegen.

Hürde Nr. 2: Kernbereichsschutz

Eine Telekommunikationsüberwachung ist unzulässig und hat zu unterbleiben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden.

Hürde 3: Berufsgeheimnisträgerschutz

Soll ein Berufsgeheimnisträger wegen des Ermittlungsverfahrens gegen einen Dritten, an dem er selbst in keiner Weise beteiligt ist, überwacht werden, gilt Folgendes:

Das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten wird absolut geschützt. Sie haben eine besondere verfassungsrechtliche Stellung. Deshalb sind sie von allen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die Informationen beziehen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger anvertraut wurden.

Bei Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und allen anderen zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen künftig nur nach einer sehr sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen. Für die Abwägung wird es zudem einen ausdrücklichen Maßstab im Gesetz geben: Betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht vom Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Eine Straftat ist nur dann von erheblicher Bedeutung, wenn sie

- mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden kann,

- den Rechtsfrieden empfindlich stört und

- dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.

Ergibt die Prüfung also, dass es bei der Ermittlung nicht um eine erhebliche Straftat geht, sind jegliche Ermittlungsmaßnahmen gegen den Berufsgeheimnisträger regelmäßig unzulässig, weil unverhältnismäßig.

Hürde Nr. 4: Berufsgeheimnisträgerschutz bei Verstrickung* *

Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können nach geltendem Recht zum Beispiel Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn diese für die Aufklärung einer Straftat relevant sind. Künftig muss sich die Annahme des Verstrickungsverdachts auf bestimmte Tatsachen gründen, so dass eine sorgfältige, sich auf konkrete Tatsachen stützende Prüfung erforderlich werden wird.

Hürde Nr. 5: Beweisverwertungsverbot bei Zufallsfunden

Ein Zufallsfund ist Material, das auf eine Straftat hindeutet, aber nichts mit der Untersuchung zu tun hat, wegen derer eine Durchsuchung angeordnet wurde. Bei Journalisten dürfen solche Zufallsfunde künftig nicht als Beweise in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats oder wegen sonstiger Straftaten, die mit einem Höchstmaß von unter fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, verwertet werden.

Das neue Gesetz enthält darüber hinaus Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) in deutsches Recht umzusetzen. Auch hier wurde im Bewusstsein der Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung die Verpflichtung für Bürgerrechte ernst genommen und dafür Sorge getragen, dass die EU-Vorgaben so grundrechtsschonend wie möglich gestaltet wurden. So ist es Deutschland gegen den Widerstand vieler anderer Mitgliedstaaten gelungen, dass die Mindestspeicherungsdauer auf sechs Monate (statt der ursprünglich auf EU-Ebene diskutierten 36 Monate) beschränkt wurde.

Die wegen der Umsetzung künftig zu speichernden Daten sind im Wesentlichen die Verkehrsdaten, die von den Telekommunikationsunternehmen schon heute üblicherweise zu Abrechnungszwecken gespeichert werden. Das sind insbesondere die genutzten Rufnummern und Kennungen sowie Uhrzeit und Datum der Verbindungen. Neu hinzu kommt nur, dass bei der Mobilfunktelefonie auch der Standort (Funkzelle) bei Beginn der Mobilfunkverbindung gespeichert wird. Daten, die Aufschluss über den Inhalt der Kommunikation geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden.

Zu den Telekommunikationsverkehrsdaten gehören neben den Daten über Telefonverbindungen auch solche Daten, die bei der Kommunikation über das Internet anfallen. Diese müssen nach der EU-Richtlinie künftig ebenfalls gespeichert werden. Auch in diesem Bereich werden nur Daten über den Internetzugang und die E-Mail-Kommunikation gespeichert. Dabei speichert das TK-Unternehmen lediglich, welchem Teilnehmeranschluss eine bestimmte Internetprotokoll-Adresse (IP-Adresse) zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war sowie die Daten über die E-Mail-Versendung, nicht dagegen, welche Internetseiten besucht wurden oder welchen Inhalt eine E-Mail hatte.

Die Daten werden – wie bisher – nur bei den TK-Unternehmen gespeichert. Wie bisher schon können Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur dann auf die Daten zugreifen, wenn dies zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. In diesem Beschluss legt der Richter genau fest, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss.

Ich habe allerdings erhebliche Zweifel, ob vor dem Hintergrund des Urteils der Karlsruher Verfassungsrichter vom April 2006 zur sogenannten Rasterfahndung – „Außerhalb statistischer Zwecke besteht ein striktes Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat.“ – sowie der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Volkszählung (BVerfGE 65,1) – Verbot der Sammlung nicht anonymisierter Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken – das geplante Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung Bestand hat. Mit der Vorratsdatenspeicherung wird ein Paradigmenwechsel eingeleitet. Bisher galt der Grundsatz, dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch darauf haben, dass sich Staat und Polizei von ihnen fernhalten. Jetzt werden zum ersten Mal die Daten der Bürger für die Polizei gespeichert. Elementare Grundrechte wie das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Meinungsfreiheit sind betroffen. Es ist nicht erkennbar, weshalb es für eine effektive Strafverfolgung unerlässlich ist, Telekommunikationsverbindungsdaten und den Standort bei Beginn einer Mobilfunkverbindung sämtlicher Bürgerinnen und Bürger für sechs Monate zu speichern. Die Speicherung erfolgt ohne jeglichen Verdacht, ein intensiver Grundrechtseingriff wie dieser bedarf jedoch einer bestimmten Verdachts- und Gefahrenstufe. Meine Sorge ist, dass hiermit ein Damm gebrochen wird und möglicherweise ganz andere Formen der Kontrolle der Bürgerinnen und Bürger auf den Weg gebracht werden könnte.

Den Medienpolitikern meiner Fraktion ist es leider nur teilweise gelungen im Rahmen der Beratungen Sachverhalte grundlegender Bedeutung bezüglich des Presse- und Informationsschutzes zu verändern. Allerdings waren Verbesserungen weder mit den Mitgliedern der AG Recht noch den Innenpolitikern der CDU/CSU möglich.

Meine ablehnende Haltung beruht im Wesentlichen auf der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung.

Ich bin sicher, dass das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beim Bundesverfassungsgericht im Sinne des oben erwähnten Urteils nicht akzeptabel sein wird.

Mit freundlichen Grüßen
Willi Brase MdB