Frage an Wolfgang Schäuble bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Wolfgang Schäuble
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Frage an Wolfgang Schäuble von Daniel C. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble,

ich habe soeben in unserer Universitätsbibliothek Erwin Teufels Buch "Was hält die moderne Gesellschaft zusammen?" (1996) entdeckt, in der Ihr Beitrag "Bürgertugenden und Gemeinsinn in der liberalen Gesellschaft" erschienen ist. Darin sagen Sie unter Anderem auf Seite 67:

a) "Wenn Ladendiebstähle oder Steuerhinterziehung nur noch unterbleiben, weil man die Entdeckung konkret fürchten muss, aber nicht mehr, weil einen das eigene Gewissen - jedenfalls in der Regel - daran hindert, zu stehlen, zu betrügen und dergleichen mehr, dann ist der Weg in den Orwellschen Überwachungsstaat vorgezeichnet."

b) "Die Alternative [zur freiheitlichen Rechtsordnung] ist in jenem Lenin oft nachgeplapperten Satz ´Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser´ beschrieben, in dem der Weg in den Totalitarismus zwangsläufig angelegt ist."

Ich möchte Sie fragen, ob Sie

1.) immer noch zu diesen Aussagen stehen, und wenn ja, wie Sie

2.) vor diesem Hintergrund die Vorratsdatenspeicherung, die seit dem 01.01.2008 in Kraft ist und für die sie gestimmt haben, und die zunehmende Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen begründen, und

3.) wo Sie den Unterschied bei diesen Methoden zum Orwellschen Überwachungsstaat sehen.

Wenn die verfassungskonforme Formulierung dieser Gesetze und das Vertrauen, dass wir als Bürger deshalb in die zukünftige korrekte Anwendung seitens der Exekutive in diesselbe haben sollten, ein Teil ihrer Antwort ist, möchte ich Sie

4.) fragen, warum wir einer Exekutive Vertrauen schenken sollten, die in uns Bürger offenbar keinerlei Vertrauen hat.

Mit freundlichen Grüßen

Daniel Constein
Student

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CDU

Sehr geehrter Herr Constein,

ich freue mich über Ihr Interesse an meinem Beitrag in dem vor einigen Jahren erschienenen Band "Was hält die moderne Gesellschaft zusammen?". Selbstverständlich stehe ich noch zu den von Ihnen zitierten Aussagen.

Die von Ihnen angesprochene Vorratsdatenspeicherung geht auf eine europäische Richtlinie zurück. In Deutschland wurde das daraus folgende "Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG" im Übrigen nicht von mir, sondern von der Bundesministerin der Justiz federführend erarbeitet.

Die Richtlinie beruht auf der Erwägung, dass die Möglichkeit, auf bei den Telekommunikationsunternehmen vorhandenen Verkehrsdaten innerhalb einer Mindestspeicherungsfrist zugreifen zu können, für die erfolgreiche Arbeit der Sicherheitsbehörden unverzichtbar ist. Bestimmte Ermittlungen, etwa im Bereich der Internetkriminalität, aber auch in Fällen mit Terrorismusbezug, sind ohne diese Daten schwerlich erfolgreich zu führen. Aus diesem Grunde habe auch ich seinerzeit für die Umsetzung dieser Richtlinie in deutsches Recht gestimmt. Ein eng umgrenzter Katalog an zu speichernden Daten, die Speicherungsfrist von nur sechs Monaten und enge Voraussetzungen, unter denen die Sicherheitsbehörden Zugang zu den Daten erhalten können, stellen sicher, dass dieser Eingriff in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf das Notwendigste beschränkt bleibt.

Auch die von Ihnen angesprochene Videoüberwachung bedarf meiner Auffassung nach einer differenzierten Betrachtungsweise. Eine Videoüberwachung öffentlicher Plätze, die übrigens im Verantwortungsbereich der Länder liegt, ist in Deutschland an enge Voraussetzungen geknüpft, die sich insbesondere aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung ergeben. Erforderlich ist stets eine Abwägung zwischen dem mit der Videoüberwachung verfolgten Zweck und dem Interesse des Einzelnen an der Wahrung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Die Videoüberwachung öffentlicher Plätze durch die Polizei beschränkt sich in Deutschland daher in der Regel auf Kriminalitätsbrennpunkte.

Die von Ihnen angeführten Mindestspeicherungsfristen und Videoüberwachung bedeuten also mitnichten die Verwirklichung eines totalitären Überwachungsstaates wie ihn George Orwell in seinem Buch "1984" beschrieben hat. Auch sind diese Maßnahmen keineswegs als Ausdruck eines wie auch immer gearteten Misstrauens des Staates gegenüber seinen Bürgern zu verstehen. Die Bürger unseres Landes haben einen Anspruch darauf, dass der Staat die notwendigen Maßnahmen trifft, um die Sicherheit und damit letztlich auch immer die Freiheit seiner Bürger zu gewährleisten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Wolfgang Schäuble