Frage an Wolfgang Tiefensee bezüglich Finanzen

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Wolfgang Tiefensee
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Frage von Rene U. •

Frage an Wolfgang Tiefensee von Rene U. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Tiefensee,

haben Sie als Abgeordneter dem ESM-Vertrag und Fiskalpakt zugestimmt?

und damit...

•der Vergemeinschaftung der Schulden, welche die Reichen immer reicher macht?
•die Haushaltshoheit der Bundesregierung schwächt um dem ESM vollen Zugriff auf unsere Steuergelder zu ermöglichen, einem Konstrukt welcher nicht wählbar und abwählbar ist?

•einem Zutritt zum ESM-Vertrag zugestimmt, aus welchem es keine Austrittsklausel gibt?

Wo ist unsere Freiheit für die wir 1989 auf die Straße gegangen sind?

Auch wenn hier kein externen Links erwünscht sind, so kann ich nicht mit eigenen Worten die Vielzahl der Kritikpunkte am ESM wiedergeben.

Daher anbei ein Link zu einem Video bei youtube, in welchem in 17 Minuten einige Paragraphen des ESM und einige wichtige EU-Akteure zititert werden und die Funktion des ESM erklärt wird.
Auch das das Direktorat des ESM ernannt wird und keinerlei parlamentarische Kontrolle existiert und dass diese ebenfalls vor Gesetz immun sind und keinerlei Rechenschaft über ihre Forderungen und Entscheidungen ablegen müssen.
Ich halte dieses Video für notwendig, um den Grund meiner Anfrage zu verstehen.
Wurden diese Punkte im Parlement oder in der Fraktion besprochen. Was ist die Haltung dazu?

Vielleicht ist der Inhalt des Videos auch völlig falsch, aber dann sollten sich diese Argumente widerlegen lassen.

http://www.youtube.com/watch?v=h_9iKlnqU6Y&feature=related

Was sind Ihre Argumente für den ESM oder besser ihre Sichtweise gegenüber den Argumenten dagegen?

Mit freundlichen Grüßen

Rene Urbanski

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Urbanski,

vielen Dank für Ihre Mail vom 20. September 2012!

Der ESM-Vertrag ist innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion ausgiebig und zum Teil sehr kontrovers diskutiert worden. Wir haben uns die Entscheidung nicht leichtgemacht, denn wir sind uns der finanziellen Risiken bewusst, die mit dem ESM-Vertrag einhergehen.

Die SPD hat durchgesetzt, dass wichtige Ergänzungen, wie die Vorverlegung des ESM auf Juli 2012, aufgenommen wurden. Die Materie ist komplex und Details der Stabilisierung des Euro ändern sich fast täglich. Jedoch habe ich mich nach Abwägung der mir bekannten Fakten entschlossen, meine Zustimmung zu geben.

Insbesondere die deutsche Bundesregierung hat jedoch auf europäischer Ebene immer wieder blockiert, gezögert und die Krise damit nicht einzudämmen vermocht. Die Vorschläge von Bundeskanzlerin Merkel und dem ehemaligen französischen Präsidenten Sarkozy zielen einseitig auf Kürzungen in den öffentlichen Haushalten ab und stellen keine nachhaltige Lösung der Krise dar, auch andere Länder mit eigentlich soliden Haushalten sind in der Vergangenheit von den Märkten abgestraft worden. Einseitige Ausgabenkürzungen führen nicht zu wirtschaftlicher Erholung und verschärfen zusätzlich die soziale Schieflage in vielen Ländern.

Der Rettungsschirm ESM ist Ausdruck der innereuropäischen Solidarität. Diese Solidarität ist selbstredend keine Einbahnstraße. Die betroffenen Staaten müssen ihrer Verantwortung gerecht werden und Schulden abbauen. Klare und strikte Bedingungen für Hilfsmaßnahmen, die Haushalte zu konsolidieren, sind unerlässlich. Aber ebenso wichtig ist es jedoch, Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Die notwendige Konsolidierung kann ohne wirtschaftliche Belebung nicht gelingen.

Wir lehnen es ab, in erster Linie die Steuerzahler und nicht die Krisenverursacher die Zeche zahlen zu lassen. Deshalb fordern wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit geraumer Zeit die Einführung einer Steuer auf Spekulationen (Finanztransaktionssteuer). Diese würde auch die Banken an der Bezahlung der Krise beteiligen und neue Mittel generieren, um gezielt Wachstumsimpulse zu setzen. Mit der kürzlich erfolgten Zustimmung Bundesregierung zu diesem Projekt, konnte ein erster Erfolg erzielt werden.

Der ESM kann harte Auflagen und Bedingungen für die betroffenen Länder vereinbaren, aber auch Wachstum befördern. Der ESM kann notleidenden Staaten Darlehen gewähren oder deren Staatsanleihen aufkaufen. Hierfür stehen dem Rettungsschirm Garantien und Eigenkapital zur Verfügung.

Aus Sicht der SPD soll der ESM zu einem schlagkräftigen Krisenreaktionsmechanismus ausgebaut werden, um die Währungsunion dauerhaft zu stabilisieren. Eine gemeinschaftliche Lösung in Form eines "Europäischen Währungsfonds" ist unser Ziel. Nicht alleine die Staats- und Regierungschefs sollen über Hilfsmaßnahmen und Anpassungsprogramme entscheiden. Die Gemeinschaftsinstitutionen, insbesondere das Europäische Parlament, aber auch die nationalen Parlamente sind zu stärken, um die demokratische Legitimation zu erreichen.
Der ESM kann natürlich nicht das einzige Mittel sein; er ist der übergeordnete Schutzschirm der verschuldete Staaten davor bewahren soll, noch tiefer in die Krise zu gleiten.
Zusätzlich fordern wir ein Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit. Außerdem darf nicht nur einseitig gespart werden, stattdessen müssen zusätzlich Wachstumsimpulse durch Investitionen gesetzt werden. Hierzu soll beispielsweise die europäische Investitionsbank mit mindestens 10 Mrd. Euro mehr Eigenkapital ausgestattet und damit ein Vielfaches an Kreditvolumen mobilisiert werden. Wozu einseitiges sparen führen kann, sieht man am Beispiel Griechenlands, dessen Wirtschaft in eine bedrohliche Rezension gestürzt ist.

Auch wenn diese Lösung nicht innerhalb weniger Wochen umsetzbar ist, ist dieser Weg ein nachhaltiger Beitrag zur Krisenbewältigung und eine europäische Antwort. Und insbesondere um die derzeitigen Probleme zu meistern, brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Europa. Nur mit einer starken Europäischen Union wird Deutschland in einer immer stärker globalisierten Welt auch in Zukunft wirtschaftlich und politisch eine Rolle spielen.
Klar ist: Klar ist: Deutschland geht durch die Gewährung von Bürgschaften für notleidende Staaten im Rahmen der europäischen Rettungsschirme erhebliche finanzielle Risiken ein. Allerdings wären die Risiken, die von einem Auseinanderfallen der Eurozone ausgehen würden, noch erheblich größer. Daher sind die Risiken, die durch die Gewährung der Bürgschaften entstehen, vertretbar.
Richtig ist, dass der Gouverneursrat des ESM sehr frei ist, welche Instrumente er den Staaten zur Verfügung gestellt. Möglich sind neben direkten Darlehen vorsorgliche Finanzhilfen, spezielle Finanzhilfen zur Rekapitalisierung von Finanzinstituten, aber auch der Ankauf von Staatsanleihen auf dem Primär- und auf dem Sekundärmarkt. Zudem regelt Art. 19 des ESM-Vertrages, dass der Gouverneursrat die Liste der Finanzhilfsinstrumente überprüfen und ändern kann. Bevor ein Instrument angewendet wird, bedarf es einer einstimmigen Entscheidung im Gouverneursrat. Gemäß Paragraph 4 Abs. 1 muss grundsätzlich der deutsche Bundestag zustimmen, wenn ein Land Finanzhilfen begehrt, gemäß Paragraph 5 Abs. 2 Nr. 1 muss der Haushaltsausschuss zustimmen, wenn zusätzliche Instrumente ohne Änderung des Gesamtfinanzierungsvolumens beschlossen werden sollen. Will der Gouverneursrat ganz neue Instrumente einführen, braucht es dazu nach Art. 2 des ESM-Ratifizierungsgesetzes sogar eine Ermächtigung durch Bundesgesetz.

In der aktuellen Debatte über die mit der Euro-Rettung verbundenen Kosten rückt der Mehrwert der Euro-Mitgliedschaft für die Bürgerinnen und Bürger leider immer weiter in den Hintergrund.

Zu einer ehrlichen Bilanz gehört aber, Belastungen und Vorteile gleichermaßen in den Blick zu nehmen. Wer das beherzigt, erkennt, dass Deutschland nicht der "Zahlmeister Europas", sondern der größte Gewinner der Währungsunion ist.

Etwa 40 Prozent der deutschen Exporte gehen in die Eurozone, wodurch in Deutschland mehr als drei Millionen Arbeitsplätze gesichert werden. Im Jahr 2010 belief sich der positive Effekt der Währungsunion für die deutsche Wirtschaft auf 165 Milliarden Euro, das entspricht 6,4 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Die Stabilität des Euro und unserer Partnerländer liegt deswegen vor allem im deutschen Interesse, denn ein Zusammenbruch der Währungsunion würde uns am härtesten treffen. Deutschland als Exportnation kann es langfristig nicht gut gehen, wenn der Rest Europas am Boden liegt.

Wenn es uns nicht gelingt, unsere Nachbarländer dauerhaft zu stabilisieren, dann droht die Krise auch auf Deutschland überzugreifen. Wir retten nicht nur Griechenland oder Spanien, sondern wir retten letztlich auch den Wohlstand und die Arbeitsplätze in Deutschland.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Tiefensee