Frage an Wolfgang Wieland bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Wolfgang Wieland
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Jürgen H. •

Frage an Wolfgang Wieland von Jürgen H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

seit vielen Jahren bemühen sich die ehemaligen DDR-Flüchtlinge und -Übersiedler darum, bei den Politikern Gehör zu finden. Es geht um den Umstand, daß ihre Rentenanwartschaften durch die ungerechtfertigte Anwendung von Gesetzen, die exklusiv für das Ereignis "Beitritt der DDR" und die Überleitung der Renten auf das Beitrittsgebiet geschaffen worden sind, rückwirkend beschnitten werden. Die Rentenversicherer haben unter aktiver Mitwirkung des BMAS einen Paradigmenwechsel vorgenommen, der für die meisten der Betroffenen einen sozialen Absturz bedeutet.
Angesichts der großzügigen Gestaltung der Rentengesetze für die Versicherten des Beitrittsgebietes müssen das die DDR-Flüchtlinge als einen politische und soziale Herabwürdigung empfinden.
Über diese Plattform haben sich zahlreiche Betroffene an etliche Abgeordnete gewandt. Sofern überhaupt eine Antwort gegeben wird, läßt diese in der Regel einen unzureichenden Informationsstand erkennen. Die Historie, die ausgehend vom Fall der Mauer zum Beitritt der DDR geführt hat, ist uns allen geläufig. Sie ist mit der Schaffung von Gesetzen einhergegangen, die die Überleitung von Bundesrecht auf das Beitrittsgebiet zu regeln hatte.
Es gibt keine gesetzliche Vorschrift, die zuläßt, daß das Gesetzespaket RÜG/AAÜG auf Versicherte der alten Bundesländer anzuwenden ist.
Die Abgeordneten wissen das erstaunlicherweise in der Regel nicht. Oder sie wollen es nicht wahrhaben. Oder es gibt eine Art Denkverbot in dieser Richtung.
Bemerkenswerterweise hat sich kürzlich doch ein Abgeordneter des Problems angenommen. Der Abgeordnete Ottmar Schreiner, der seit den damaligen Geschehnissen ununterbrochen dem Bundestag angehörte, hat erkannt, daß hier offensichtlich ein Unrechtszustand zementiert worden ist. Er hat das nicht nur erkannt, sondern er hat es auch gewagt, das offen zu sagen, indem er seine Aussage in dieser Plattform eingestellt hat.
Wären Sie bereit, ihn zu unterstützen?

Es wäre zu wünschen. MfG, J.H.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Holdefleiß,

Ihre Frage wirft ein Schlaglicht darauf, dass immer noch viele Probleme bei der Herstellung der Inneren Einheit ungelöst sind. Ich habe mich intensiv mit dem Problem der Überleitung der Renten beschäftigt, das viele Personen betrifft, die die DDR teils unter Lebensgefahr teils unter großen Repressalien vor 1989 verlassen haben. Meiner Rechtsauffassung nach durften DDR-Flüchtlinge darauf vertrauen, dass ihnen aus der Flucht keine Nachteile im Rentenrecht entstehen. Die Anwendung des RÜG an Stelle des Fremdrentenrechts führt aber nun zu merklichen finanziellen Nachteilen. Wie der Kollege Schreiner in seiner Antwort richtigerweise ausführt, sollte das RÜG die Rentenbelange der in der DDR lebenden Bürgerinnen und Bürger regeln. Mit diesem Zweck verträgt es sich nicht, dass § 259a SGB VI die Anwendung des Fremdrentenrechts auf Jahrgänge ab dem 1.1.1937 ausschließt und Sie und viele andere Betroffene nunmehr schlechter gestellt sind, als wenn Sie in der DDR verblieben wären und dort Ihre Beiträge entrichtet hätten.

Das die Deutsche Rentenversicherung mit Rückendeckung des BMAS unter Berufung auf die veränderte Rechtslage nur die faktischen Einzahlungen in das Rentensystem der DDR berücksichtigt, verletzt das Vertrauen der Flüchtlinge in den Bestand der Gesetzeslage, wie sie bis zur Friedlichen Revolution berechtigterweise bestand und wird der politischen Wirklichkeit der SED-Diktatur nicht gerecht. Leider haben die Gerichte diesen Sachverhalt anders beurteilt. Die formale Anwendung des RÜG mag juristisch vertretbar sein. Sie enttäuscht aber die berechtigte Erwartung der ehemaligen Flüchtlinge auf Anerkennung ihrer Rentenanwartschaften und schafft neue Ungerechtigkeiten, weil ob unbeabsichtigt oder nicht diejenigen privilegiert werden, die das System der DDR sogar noch aktiv unterstützt haben.

Richtig war die Entscheidung Übersiedler, die mit Beginn der Friedlichen Revolution die DDR zu Hundertausenden verlassen haben, nicht nach dem Fremdrentenrecht zu bewerten. Das hätte die Auswanderung aus dem Beitrittsgebiet noch weiter verschärft. Die daraus folgende Gleichmachung der Neu- und der Bestandsaussiedler vermengt aber zwei Gruppen, die individuell hätten behandelt werden müssen. Die Bundesregierung, die zu einer Vereinheitlichung des Rentenrechts kommen will und das Prinzip der Selbstverantwortung für die Zahlung in die Freiwillige Zusatzrentenversicherung betont, argumentiert statt dessen formal und angesichts von Politischer Verfolgung und Schiessbefehl lebensfremd. In der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP wird erkennbar, dass die Haltung des Bundes ausschließlich von finanziellen Interessen geprägt ist und man nur deshalb das Kapitel von Flucht und Ausreise nicht wieder öffnen möchte. Für die faktische Kürzung der Rentenanwartschaften sehe ich keine Rechtfertigung.

Seien Sie gewiss, dass ich mich in diesem Sinne für Ihr Anliegen und die dafür erforderliche gesetzliche Neuregelung in der Opposition einsetzen werde. Wie bei der Schaffung der Opferpension werden wir dafür im Sinne der Betroffenen fraktionsübergreifend nach einer Lösung suchen. Dieser Erkenntnisprozess kann aber erfahrungsgemäß Zeit beanspruchen. Ich kann Sie daher nur ermuntern, Ihr berechtigtes Anliegen beharrlich weiterzuverfolgen und sich von ersten Ablehnungen nicht entmutigen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen,

Wolfgang Wieland