Angebliche Sicherheitsbedenken

Kanzleramt verweigert Herausgabe von Kalendereinträgen zu Schröder-Gesprächen mit Merkel

Wenige Tage nach der Bundestagswahl 2021 führte Gerhard Schröder ein vertrauliches Gespräch mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Inhalt ist unbekannt. Einen Kalendereintrag zu dem pikanten Termin will das Kanzleramt nicht herausgeben – wegen angeblich „nachteiliger Auswirkungen auf die innere oder äußere Sicherheit“. Auch Olaf Scholz könne sonst in Gefahr geraten.

von Martin Reyher, 08.03.2022

In den Tagen nach der Bundestagswahl im vergangenen September hatte Gerhard Schröder einige wichtige Termine im Kalender stehen. Für den darauffolgenden Donnerstag stand ein Telefonat mit dem frisch gewählten Bundeskanzler Olaf Scholz an, sechs Tage später ein Gespräch in Scholz' Dienstzimmer im Bundesfinanzministerium.

Wichtiges zu bereden hatte Schröder offenbar auch mit der amtierenden Bundeskanzlerin. Am 4. Oktober 2021 hatte der Lobbyist und Altkanzler einen Gesprächstermin mit Angela Merkel vereinbart. Bekannt ist dies durch eine Anfrage des früheren Linken-Abgeordneten Fabio de Masi an die Bundesregierung.

Worum ging es bei Schröders Unterhaltung mit der Kanzlerin? Um Energielieferungen aus Russland? Um andere Lobbyaktivitäten Schröders wie seiner damaligen Tätigkeit für einen Interessenverband aus der Versicherungsbranche? Abschiedsworte zum Dienstende?

Das ist bis heute unbekannt. Zum Inhalt vertraulicher Gespräche nehme man grundsätzlich keine Stellung, erklärte ein Regierungssprecher Ende vergangenen Jahres auf Anfrage. Damals hatten abgeordnetenwatch.de und die ZEIT auf Grundlage von internen Dokumenten über Schröders diskrete Lobbykontakte zu Regierungsmitgliedern berichtet

"Keine Unterlagen im Aktenbestand"

Liste mit Kontakten von Gerhard Schröder zu Regierungsmitgliedern (werden im Artikel aufgegriffen)
Kontakte von Gerhard Schröder zu Mitgliedern der Bundesregierung

Angeblich gibt es zu der pikanten Besprechung auch keine offiziellen Dokumente, etwa Aktenvermerke oder Notizen. Einen entsprechenden Auskunftsantrag von abgeordnetenwatch.de auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) lehnte das Kanzleramt im Oktober ab. Begründung: Im Aktenbestand lägen „keine Unterlagen vor“ – auch nicht zu einem weiteren Gespräch zwischen Schröder und Merkel im Juni 2020. 

Offenbar existieren aber Kalendereinträge, zumindest wird dies vom Kanzleramt nicht bestritten. Doch die sollen nach dem Willen der Bundesregierung unter Verschluss bleiben.

Auch der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz könne in Gefahr geraten, behauptet das Kanzleramt

Ende vergangener Woche lehnte das Bundeskanzleramt die Herausgabe der Kalendereinträge an abgeordnetenwatch.de ab. Das Bekanntwerden der Information könne „nachteilige Auswirkungen auf Belange der inneren oder äußeren Sicherheit haben“, heißt es in einem Bescheid des Bundeskanzleramts vom 2. März 2022. Aus dem Terminkalender könne sich „eine Art Bewegungsprofil der Bundeskanzlerin“ erstellen lassen. Dies sei auch nach deren Amtszeit von Relevanz: Auch außer Dienst erhalte Merkel weiterhin Personenschutz. 

Das Bundeskanzleramt argumentiert außerdem, dass durch die Herausgabe von Merkels Kalendereinträgen auch der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz in Gefahr geraten könne. Termine einer Bundeskanzlerin bzw. eines Bundeskanzlers ständen „eng mit ihrem Amtsverhältnis in Verbindung“, sodass auch „Rückschlüsse auf die Terminplanung des jetzigen Bundeskanzlers gezogen werden könnten und daher auch dessen Sicherheit gefährdet wäre.“

Gerhard Schröder und Olaf Scholz
Gemeinsames Mittagessen im Berliner Edel-Restaurant "Entrecôte" am 20. August 2020, Gesprächsthema unbekannt: Olaf Scholz und Gerhard Schröder (hier 2015)

Die Begründung wirkt vorgeschoben. Denn bei dem Auskunftsantrag geht es nicht um eine umfassende Abfrage von Merkels Terminkalender über einen längeren Zeitraum, sondern lediglich um zwei ohnehin bekannte Termine. Ein sicherheitsrelevantes Bewegungsprofil ließe sich aus den Kalendereinträgen zu Merkels Gesprächen mit Gerhard Schröder ganz sicher nicht erstellen.

Kalendereinträge enthalten mitunter aufschlussreiche Angaben zu Ort und Thema

abgeordnetenwatch.de hatte die Kalendereinträge beim Bundeskanzleramt angefordert, weil sich aus diesen unter Umständen Informationen zu den Gesprächsinhalten ergeben könnten. Auch enthalten solche Einträge mitunter aufschlussreiche Angaben zum Ort eines Treffens. So hatte das Bundesverteidigungsministerium vor einiger Zeit einen Kalendereintrag an abgeordnetenwatch.de herausgegeben, der eine Verabredung des Rheinmetall-Lobbyisten und früheren Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) mit zwei Verteidigungsstaatssekretären in einem Restaurant am Berliner Kurfürstendamm belegt.

Auch Altkanzler Schröder hatte sich in den vergangenen Jahren mehrfach mit Regierungsmitgliedern für Lobbygespräche in Restaurants verabredet, wie Recherchen von abgeordnetenwatch.de und ZEIT aus dem vergangenen Jahr zeigen. Für ein Gespräch mit SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil („Thema: Rente“) schlug Schröder im Februar 2020 das vornehme Restaurant Entrecôte im Berliner Stadtteil Mitte vor. Der Altkanzler war damals als Vorstand des Lobbyverbandes „Betriebliche Versorgungswerke für Unternehmen und Kommunen“ tätig. Hinter diesem steht der Versicherungsmakler BVUK, der für Konzerne wie Airbus und Henkel die betriebliche Altersvorsorge organisiert.

Schröders Mittagessen mit Olaf Scholz, Gesprächsthema: unbekannt

Einige Monate später, im August 2020, verabredete Schröder sich für ein Mittagessen mit dem damaligen Finanzminister Olaf Scholz (SPD), auch hier wählte er die französische Brasserie unweit des Gendarmenmarktes. Anlass und Thema dieser Unterhaltung sind unbekannt.

Belegt ist aber, dass Schröder für die Organisation von Lobbyterminen sein mit Steuergeld finanziertes Büro im Deutschen Bundestag einspannte. Dies geht aus internen Unterlagen wie Terminanfragen hervor, die abgeordnetenwatch.de und ZEIT über das Informationsfreiheitsgesetz erhalten haben. Ausgestattet ist das Altkanzler-Büro mit fünf Stellen, von denen zuletzt vier besetzt waren. Kosten für die Steuerzahler:innen: mehr als 400.000 Euro jährlich. 

Vermerk des Finanzministeriums zu Scholz-Mittagessen mit Gerhard Schröder am 20. August 2020
"Tisch für M und BKA wird vom Büro Schröder gebucht": Vermerk des Bundesfinanzministeriums zum Mittagessen von Minister Olaf Scholz mit Gerhard Schröder

Inzwischen muss Schröder auf die Unterstützung wohl verzichten. Vergangene Woche teilte sein langjähriger Büroleiter mit, dass die vier Mitarbeiter:innen nicht länger für den Altkanzler arbeiten wollten und um Versetzung gebeten hätten. Hintergrund sind offenbar Differenzen im Zusammenhang mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Schröder übt mehrere Posten bei Energiekonzernen mit Verbindungen zum russischen Staat aus. Der Kanzler a.D. ist unter anderem Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Nord Stream AG, die mehrheitlich Gazprom gehört. Jüngst wurde er für den Aufsichtsrat des staatlichen Gaskonzerns nominiert.

Update April 2022:

Mit Datum vom 1. April 2022 haben wir auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) Klage beim Verwaltungsgericht Berlin gegen das Bundeskanzleramt eingereicht. Mit der Klage verlangen wir vom Kanzleramt, uns Zugang durch Übersendung von Kopien, Ablichtungen oder Ausdrucken zu folgenden amtlichen Informationen zu gewähren:

  • sämtliche Aufzeichnungen wie Vorlagen, Korrespondenzen, Notizen, Vermerke, Protokolle und Ähnliches zu den Kontakten am 23. Juni 2020 und 4. Oktober 2021 zwischen der Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gerhard Schröder.
  • sämtliche Aufzeichnungen wie Vorlagen, Korrespondenzen, Notizen, Vermerke, Protokolle und Ähnliches zu Kontakten zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gerhard Schröder im Zeitraum von März 2018 bis Juni 2020.

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