Lucke, Sonneborn, McAllister - das verdienen EU-Abgeordnete nebenbei

Lukrative Nebentätigkeiten, ein Millionen-Darlehnen und eine doppelte Parlamentarierin: Was die deutschen Europaabgeordneten in ihrer "Erklärung der finanziellen Interessen" mitteilen - und was nicht.

von Martin Reyher, 27.08.2014

Nein, Nebeneinkünfte eines Abgeordneten in Millionenhöhe wie im Deutschen Bundestag gibt es im Europäischen Parlament nicht. Dennoch sind die Angaben zu den "finanziellen Interessen", die die 96 deutschen Parlamentarier kürzlich veröffentlicht haben, äußerst aufschlussreich.

Zunächst: Mehr als jeder dritte Volksvertreter (35 von 96) geht aktuell keiner Nebentätigkeit nach. Bei den übrigen sind hohe Einkünfte äußerst selten, aber es gibt sie. Was außerdem auffällt: Einige Parlamentarier lassen für die Öffentlichkeit wichtige Informationen einfach unter den Tisch fallen.

Das sind die zentralen Erkenntnisse aus den "Erklärungen der finanziellen Interessen" deutscher Europaabgeordneter:

Prominente Europaabgeordnete und ihre Nebentätigkeiten:

  • David McAllister (CDU): Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Niedersachsens Ministerpräsident a.D. zuletzt ein neues Betätigungsfeld gefunden: in der Baubranche. In seiner "Erklärung der finanziellen Interessen" listet McAllister Tätigkeiten für die Unternehmen Matthäi Verwaltungs GmbH (Vergütung: 1.000 bis 5.000 Euro/Monat) und Grontmij GmbH (als Beiratsmitglied, aktuell keine meldepflichtigen Einkünfte) auf. Der Deutschlandableger des niederländischen Grontmij-Konzerns ist nach Recherchen der Wochenzeitung Kontext ein großer Auftragnehmer beim umstrittenen Bahnprojekt  Stuttgart 21. Neben McAllister gehört mit der verkehrspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion in Baden-Würrtemberg, Nicole Razavi, eine weitere Unionspolitikerin dem Council (Beirat) an. Die Matthäi-Unternehemnsgruppe ist u.a. im Straßen- und Wasserbau sowie im Bereich Flughafen- und Hafeninfrastruktur tätig und war in der Vergangenheit u.a. Auftragnehmerin bei öffentlichen Bauprojekten.
  • Hans-Olaf Henkel (AfD): Der frühere BDI-Chef führt auf der Parlamentshomepage zwei bezahlte Nebentätigkeiten auf (jeweils 1.000 bis 5.000 Euro pro Monat): Er gehört dem Verwaltungsrat der Firma "Used Soft" an, die mit gebrauchter Software handelt, und sitzt außerdem im Beirat der SMS Group, zu der Unternehmen des Anlagen- und Maschinenbaus gehören. Unter dem Posten "Verschiedene Honorartätigkeiten" führt Henkel monatliche Einkünfte zwischen 1.000 und 5.000 Euro auf. Fast alle Tätigkeiten aus der Zeit vor seiner Mitgliedschaft im EU-Parlament hat der AfD-Politiker inzwischen aufgegeben (s. Punkt "Tätigkeiten der Abgeordneten vor ihrer Wahl ins Parlament")
  • Martin Sonneborn (Die Partei): Als Autor kassiert der Neu-Parlamentarier monatlich zwischen 1.000 und 5.000 Euro. Für die Tätigkeit als Vorsitzender von Die Partei erhält er keine meldepflichtigen Einkünfte. (Eigentlich wollte Sonneborn als Europaabgeordneter zunächst "die EU melken". Warum sich dies als nicht umsetzbar erwies, lesen Sie hier.)
     

Der Abgeordnete mit den höchsten Nebeneinkünften*:

Neben seiner Parteisprechertätigkeit für die AfD (Monatseinkünfte: 5.000 bis 10.000 Euro/Monat) führt Bernd Lucke auf der Parlamentshomepage eine Reihe weiterer Nebenjobs auf. Heraus sticht dabei die Forschungstätigkeit für das Netzwerk von euro-mediterranen Wirtschaftsforschungsinstituten namens FEMISE, die laut Lucke mit über 10.000 Euro (Stufe 4) im Monat vergütet wird. Unter dem Strich kommt der AfD-Politiker danach auf Jahreseinkünfte von mindestens 180.000 Euro zusätzlich zu seiner Abgeordnetendiät.

(Nachtrag 12.9.2014: Inzwischen hat Bernd Lucke diese Angaben korrigiert, s. Update)


Anwälte und Unternehmensberater unter den Europaabgeordneten:
Nebentätigkeiten als Rechtsanwalt oder Unternehmensberater sind unter Transparenzgesichtspunkten eine problematische Angelegen. Bei diesen Berufsgruppen wird nicht ersichtlich, wer die Mandanten und Kunden sind - deswegen sind auch mögliche Interessenkonflikte nicht nachzuvollziehen. Mehrere Parlamentarier melden auf der Parlamentshomepage derartige Nebenjobs. Die CSU-Politikerin Angelika Niebler arbeitet freiberuflich für die international tätige Kanzlei Bird&Bird, ihr Unionskollege Andreas Schwab (CDU) steht als og. Of Counsel in Diensten der Wirtschaftskanzlei CMS Hasche Sigle. Beide kassieren dafür nach eigenen Angaben monatlich zwischen 1.000 und 5.000 Euro brutto.

Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber ist als Berater für die Schweizer K&S Consultants AG tätig, Werner Kuhn (CDU) leitet eine Unternehmensberatung. Beide geben Monatseinkünfte in Höhe von jeweils 1.000 bis 5.000 Euro an.


Tätigkeiten der Abgeordneten vor ihrer Wahl ins Parlament:

Für den Flughafenverband ADV dürfte die Wahl von Jens Gieseke (Foto) ins Europäische Parlament eine erfreuliche Nachricht gewesen sein. Denn mit dem CDU-Abgeordneten hat die Lobbyorganisation, die die Interessen Dutzender Flughäfen in Deutschland vertritt, nun einen guten Bekannten in Brüssel und Straßburg: Gieseke war, so teilt er auf der Parlamentshomepage mit, vor der Europawahl Berater des ADV - für 5.000 bis 10.000 Euro pro Monat.

Auch in dem AfD-Politiker Hans-Olaf Henkel haben zahlreiche Unternehmen einen direkten Ansprechpartner im Europäischen Parlament. Zuvor saß Henkel u.a. im Aufsichtsrat bei Conti und Bayer sowie im Verwaltungsrat des Schweizer Ringier-Verlags und war Berater für die Bank of America Merrill Lynch (BOAML). Diese Tätigkeiten brachten dem früheren BDI-Präsidenten jeweils über 120.000 Euro pro Jahr ein. Darüber hinaus listet Henkel noch weitere bezahlte Tätigkeiten für die Zeit vor seinem Mandatsantritt auf, u.a. im Beirat der Allianz-Versicherung (1.000 bis 5.000 Euro im Monat). Diese und andere Funktionen tauchen unter Henkels aktuellen Nebentätigkeiten nicht mehr auf.


Was die Abgeordneten nicht sagen:
Jahrelang stand der CDU-Abgeordnete Elmar Brok als Berater auf der Gehaltsliste des Bertelsmann-Konzerns. Die mit monatlich 5.000 bis 10.000 Euro vergütete Tätigkeit hat Brok inzwischen zwar aufgegeben, den Namen seines früheren Arbeitgebers nennen möchte er allerdings nicht: Unter "Berufstätigkeit(en) während des Dreijahreszeitraums vor Antritt meines Mandats" führt der CDU-Politiker lediglich einen Beraterjob bei einem "Unternehmen" an.


(Zu seiner Tätigkeit für Bertelsmann nahm Brok 2012 auf abgeordnetenwatch.de Stellung.)

Transparenz vermissen lassen auch die Abgeordneten Werner Langen1), Herbert Reul2) (beide CDU), Angelika Niebler (CSU)5) und Jo Leinen (SPD). Sie gehören dem European Energy Forum (EEF), ein informeller Zusammenschluss von EU-Abgeordneten und großen europäischen Energiekonzernen, als aktive Mitglieder bzw. als Direktor (Reul) an. In den Angaben der Volksvertreter erfährt man von dieser lobbyrelevanten Tätigkeit allerdings nichts.4)

Über das European Energy Forum, zu dessen Mitgliedern auch die deutschen AKW-Betreiber Vattenfall, e-on, EnBw und RWE gehören, heißt es in der Lobbypedia:

Dieser institutionalisierte Kontakt eröffnet der Energiewirtschaft die Möglichkeit, Abgeordnete in Schlüsselstellungen in ihrem Sinne zu beraten und dadurch die energiepolitischen Entscheidungen des Europäischen Parlaments zu beeinflussen. Besonders aktiv ist dabei die Atomwirtschaft.

Der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary3) gibt seine Tätigkeit beim EEF zwar an, wenngleich gut versteckt zwischen seiner Mitgliedschaft im Karnevalsverein "Die Piraten" und einer Schirmherr bei den Weingartner Musiktagen:

Die doppelte Abgeordnete:

Ulrike Müller von den Freien Wählern sitzt als Volksvertreterin gleich in zwei Parlamenten. Als Nebentätigkeit führt die frisch gewählte EU-Abgeordnete ihr Mandat im bayerischen Landtag auf (in Müllers Abgeordnetenprofil auf der Landtagshomepage taucht eine "Nebentätigkeit" als Europaabgeordnete dagegen bislang nicht auf).

Ein Sprecher des bayerischen Landtags erklärte gegenüber abgeordnetenwatch.de, es gebe keine Inkompatibilitätsvorschrift, die die Doppelmitgliedschaft im Bayerischen Landtag und im Europäischen Parlament regle. Allerdings erhielten Landtagsabgeordnete keine Diäten, wenn sie gleichzeitig dem EU-Parlament oder dem Deutschen Bundestag angehörten. Dies gilt allerdings nicht für die steuerfreie Kostenpauschale. "Die Kostenpauschale von derzeit monatlich 3341 Euro wird für die gesamte Zeit der Landtagsmitgliedschaft weiter gewährt," so der Landtagssprecher. "Diese Kostenpauschale wird gemäß Artikel 7 des Abgeordnetenrechts gekürzt, wenn das Mitglied an Sitzungen des Plenums, der Ausschüsse beziehungsweise der Fraktionen nicht teilnimmt."

Die Europa- und Landtagsabgeordnete der Freien Wählerin ist übrigens sogar dreifache Mandatsträgerin: Sie sitzt außerdem im Kreistag Oberallgäu.


Der Millionenkredit:
In seiner "Erklärung der finanziellen Interessen" führt der AfD-Abgeordnete Hans-Olaf Henkel einen Kredit von 1 Million Euro auf, den er seiner Partei gewährt. Das Darlehen hat demnach eine Laufzeit bis Mai 2015 und ist mit 2 Prozent verzinst.

Bereits in der Vergangenheit war der Kredit Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Lange Zeit war beispielsweise der Name des Darlehensgebers nicht bekannt.


Update 09.09.2014:

1) Der Abgeordnete Dr. Werner Langen erklärte heute per E-Mail:

Ich bin Gründungsmitglied des EEF, bin dort aber nicht aktiv, bezahle dafür einen Jahresbeitrag und habe aus meiner Mitgliedschaft keinerlei finanzielle Einnahmen. Der Vorwurf der mangelnden Transparenz ist daher völlig aus der Luft gegriffen. Ich bin insgesamt zahlendes Mitglied in über 30 Vereinen und Verbänden, unter anderem im Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz, im Eifelverein, in der Weinbruderschaft Mosel-Saar-Ruwer und im Theater- und Musikverein Müden (TME), meinem Geburtsort.

2) Herbert Reul erklärt:

Ich bin aktives Mitglied des European Energy Forums und bezahle für meine Mitgliedschaft einen Jahresbeitrag. Ich beziehe aus meiner Mitgliedschaft keinerlei finanzielle Vorteile. Das European Energy Forum ist eine überparteiliche Plattform, um sich zu energiepolitischen Fragen auszutauschen. Eine Lobbytätigkeit ist das nicht.

3) Auch Daniel Caspary äußert sich per E-Mail:

Ich bin Mitglied im Verein EEF, zahle einen Mitgliedsbeitrag und beziehe keinerlei finanzielle Vergütungen oder Vorteile aus meiner Mitgliedschaft. Nach unseren gültigen Parlamentsregeln müßte ich diese Mitgliedschaft - wie auch die Mitgliedschaft in anderen Vereinen - gar nicht angeben. Das EEF bietet Politikern aller Parteien eine Plattform, sich untereinander und mit externen Vertretern aller Energieerzeugungsarten über verschiedene Energiethemen ergebnisoffen auszutauschen. Eine Lobbytätigkeit ist das sicherlich nicht.

Update 10.09.2014:

4) Der Abgeordnete Dr. Werner Langen weist darauf hin, dass die reine Mitgliedschaft in einer Organisation wie dem EEF laut Verhaltens-Codex nicht veröffentlichungspflichtig ist.

 

Update 11.09.2014

5) Dr. Angelika Niebler schreibt:

Lassen Sie mich folgendes klarstellen:

-          Es gibt m.E. kaum einen Abgeordneten, der so viel Transparenz an den Tag legt, wie ich. Dafür müssen Sie nur einen Blick auf meine Homepage werfen, auf der ich detailliert aufliste, wie viel ich verdiene.

-          Ich gehöre dem EEF in der Tat als einfaches Mitglied an, habe aber bereits seit Jahren nicht mehr an deren Veranstaltungen teilgenommen.

-          Ich gehöre ebenfalls der European Internet Foundation (EIF) an, das sich rund um das Thema Wachstumsmarkt Internet und Potenziale der neuen Technologien beschäftigt – so etwas dürfte eine kreative Internetplattform wie Sie es sind sicherlich freuen und daher wurde es in Ihrem Blog vielleicht auch nicht angeprangert.

-          Sie selber kritisieren mangelnde Transparenz – eine konkrete Liste Ihrer "Förderer" und "Spender", die durch ihre Gelder laut Ihrer Aussage Ihre Unabhängigkeit sicherstellen, ist auf Ihrer Internetseite auch nicht zu finden (oder zu versteckt, um sie auf Anhieb zu finden).

-          In meiner Funktion als Abgeordnete des Europäischen Parlaments hoste ich darüber hinaus regelmäßig verschiedene Veranstaltung im Europäischen Parlament – sind auch dies in Ihren Augen versteckte Lobbyaktivitäten? Erst gestern Morgen hatte ich den Normenkontrollrat zu Gast in Brüssel, um über das Thema bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau zu diskutieren – vielleicht sollte ich derartige Aktivitäten in Zukunft ebenfalls angeben...

Update 12.9.2014:

Bernd Lucke hat seine persönliche Erklärung inzwischen aktualisiert und die missverständlichen Angaben zu seiner Forschungstätigkeit korrigiert. Unter dem Punkt "(I) Sonstige Informationen, die ich angeben möchte", schreibt er:

In meiner am 27.05.2014 unterzeichneten Erklärung finanzieller Interessen habe ich warhrheitsgemäβ meine Bezüge als AfD-Parteisprecher angegeben, weil ich diese zum Zeitpunkt der Unterzeichnung noch bezog. Seit Antritt meines Mandates erhalte ich keine finanzielle Entschädigung für meine Tätigkeit als Parteisprecher der AfD mehr. Ferner habe ich in meiner damaligen Erklärung Einkommen aus Forschungstätigkeiten für den Forschungsverbund FEMISE angegeben. Dieses Einkommen, das mir einmalig gezahlt worden war, habe ich als eine einmalige monatliche Zahlung deklariert, da in Rubrik E nach gelegentlichen Einkünften gefragt wird. Durch Berichterstattung in den Medien ist fälschlich der Eindruck erweckt worden, es handele sich um ein regelmäβiges monatliches Gehalt. Das ist nicht so. Vielmehr bezog sich die Summe auf eine während eines Zeitraums von zwölf Monaten durchgeführte Forschungsarbeit, die ich 2012/2013 ausgeführt habe. Seit Februar 2013 erhalte ich keinerlei Gelder mehr von FEMISE und übe keine Forschungsaktivitäten für FEMISE mehr aus.

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Abgeordnete des Europäischen Parlaments müssen ihre Nebeneinkünfte in vier Einkommensstufen melden und auf der Parlamentshomepage veröffentlichen: 500 bis 1.000 Euro / 1.000 bis 5.000 Euro / 5.000 bis 10.000 Euro / über 10.000 Euro. Alle Einkünfte sind auf Monatsbasis und in brutto anzugeben. Sämtliche Angaben im Text beziehen sich auf die jeweils aktuellste "Erklärung der finanziellen Interessen" eines Europaabgeordneten. Sofern Änderungen eintreten, müssen diese vom MdEP "innerhalb einer Frist von 30 Tagen" gemeldet und veröffentlicht werden. Die Angaben im Text bilden also den Stand von Ende Juli ab.


Foto: EU-Parlament: inyucho / flickr / CC BY 2.0