Frage an Agnes Krumwiede bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Agnes Krumwiede
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Cara A. •

Frage an Agnes Krumwiede von Cara A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Betrifft die Sendung "Wieviel Islam verträgt das Land?" am 12.10.2010
Hallo, Frau Krumwiede,
Könnten Sie sich vorstellen, dass bei einem bisschen Interesse am Erlernen der Sprache des Aufnahmelandes auch die Mögklichkeit besteht,dass Migranten Eigenleistung zu erbringen haben.
Eine Möglichkeit besteht darin, dass diejenigen die die deutsche Sprache schon gut erlernt haben, kostenlosen Sprachunterricht für ihre Schwestern und Brüder im Glauben anbieten.
Auch Integrationskurse können in Eigenregie angeboten werden. Da gibt es viele Möglichkeiten, man muss es nur wollen. Der Zusammenhalt der musl. Sippen wird doch sonst immer so hervorgehoben. Warum warten diese Leute immer nur darauf, dass ihnen mit viel Geld geholfen wird? Ich verallgemeinere nicht ! Ich meine nur diejenigen die es betrifft.
Integration ist Bringschuld. WIR müssen garnichts tun, wir können tun!

C.A.

Nachwort: die anderen Teilnehmer/innen der Diskussionsrunde aussprechen zu lassen, würde einen besseren Eindruck machen.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Anam,

Die Diskussion um die Integrationsfähigkeit des Islam wird stellenweise sehr hitzig geführt. Wichtig ist mir dabei allerdings, dass beide Extreme – Islamfeindlichkeit und Verharmlosung der Probleme – vermieden werden.
Ein wichtiges Anliegen der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen ist eine weitgehende rechtliche Gleichstellung des Islam mit der christlichen und der jüdischen Religion.

Hier lebende Muslime sind keine einheitliche Gruppe, auch wenn dies in der Debatte über den Islam in Deutschland immer wieder behauptet wird. Sie unterscheiden sich in vielfacher Hinsicht, vor allem durch ethnische, soziale und konfessionelle Herkunft.
Neben der großen Mehrheit der Sunniten (74 %) leben in Deutschland ca. 7 % Schiiten und 13 % Aleviten.

Die Integration der Muslime ist im eigenen Interesse des Staates: Auf dem Nährboden sozialer Probleme sind auch in Deutschland fundamentalistische Strömungen entstanden, denen maximal ein Prozent der Muslime zuzurechnen sind. Ich bin überzeugt, dass diesen Gruppierungen der Boden entzogen werden kann, indem wir die Herausbildung eines europäischen Islam mit demokratischen Werten ermöglichen und fördern. Bildung im Glauben fördert einen selbstbewussten Umgang mit der religiösen Tradition und ein kritisches Bewusstsein dafür, dass Religion instrumentalisierbar ist, um bestimmte soziale, ethische und kulturelle Traditionen zu begründen und zu rechtfertigen.
Wir Grüne setzen uns deshalb dafür ein, dass muslimische Schüler konfessionellen Religionsunterricht erhalten, wie er in Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz vorgesehen ist. Dies ist eine Konsequenz aus der Forderung nach rechtlicher Gleichstellung des Islam. Nur so können Kinder und Jugendliche aus wissenschaftlich verantworteter Perspektive ihre Religion kennenlernen und religiös sprachfähig werden. Zudem ist ein solcher Religionsunterricht – anders als in den Koranschulen – an verfassungsrechtlichen Mindeststandards ausgerichtet und staatlich kontrolliert. Dies sorgt dafür, dass ein toleranter, weltoffener und demokratischer Islam gelehrt wird.

Politik benötigt verlässliche Ansprechpartner. Daher wollen wir gemeinsam mit den Muslimen und muslimischen Gemeinschaften nach Wegen suchen, eine legitimierte Repräsentanz der Muslime in Deutschland zu schaffen. Dies ist keine einfache Aufgabe und erfordert auf Seiten der Muslime noch einige Anstrengungen. Zu diesem Zweck ist aber auch der Dialog mit der Zivilgesellschaft nötig, um die Wünsche der Muslime als legitime Anliegen in einer demokratischen Gesellschaft verständlich zu machen. Unwissenheit und Angst vor dem Islam sind leider sehr weit verbreitet. Wir sehen uns Grüne und alle demokratischen Parteien in der Verantwortung, in der Gesellschaft zur Aufklärung über Ziele und Inhalte des Islam beizutragen. Dazu gehört es aber auch, kritische Punkte klar anzusprechen und auf muslimischer Seite auf Veränderungen zu drängen. Von allen religiösen Organisationen, die eine vertiefte Kooperation mit dem Staat anstreben, erwarten wir, dass sie sich für die Verwirklichung der Menschenrechte einsetzen. Dazu zählt der Einsatz für die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Frauen, ein aktives Eintreten gegen Antisemitismus sowie die Verurteilung der Diskriminierung von Lesben und Schwulen.
Repressionen und Drohungen helfen nicht weiter. Die Zukunft unserer Gesellschaft hängt in erheblichem Maße davon ab, wie es uns gelingen wird, den Islam und die Muslime in Deutschland zu integrieren. Ein Schlüssel auf diesem Weg ist die rechtliche Gleichstellung.

Wir können von Einwanderern nur dann erwarten, dass sie sich als Teil der deutschen Gesellschaft begreifen, wenn wir ihnen das Gefühl geben, dass sie dazugehören. Integration und Gleichberechtigung gehen Hand in Hand. Die Forderungen nach Erlernen der deutschen Sprache, nach Anerkennung der Rechtsordnung, nach Vermittlung unserer Geschichte und kulturellen Traditionen
sind selbstverständlich. Ihre ständige Wiederholung löst jedoch keine Integrationsdefizite. Natürlich sind hier verschiedene Modelle denkbar.
Eine umfassende Sprachförderung muss so früh wie möglich erfolgen. Das Erlernen der deutschen Sprache muss im Rahmen der Kinderbetreuung beginnen und sollte durch alle Bildungsbereiche fortgeführt werden.

Mit freundlichen Grüßen

Agnes Krumwiede