Frage an Agnes Krumwiede bezüglich Wirtschaft

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Agnes Krumwiede
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Levent Ö. •

Frage an Agnes Krumwiede von Levent Ö. bezüglich Wirtschaft

Hallo ich bewundere ihre Arbeit obwohl ich nicht mit allen Inhalten einverstanden bin und hoffe sie werden diese fortsetzen wie gehabt.

Meine Frage bezieht sich auf unsere Demokratie :

Ist schon klar wir wählen "irgendwen" aus unserer Mitte um für uns als Staat aufzutreten.So weit so gut. Aber inzwischen hat die Wirtschaft auch ein enormes Mitspracherecht und diese Entscheidungsträger können wir leider nicht wählen :( Was kann man gegen diese verrückten und "teilweise" Demokratiefeindlichen Organe unternehmen?

P.s.: Könnten Sie mir bitte verraten was genau die deutsche Kultur darstellt an die ich mich anzupassen haben sollte? auf mich wirkte diese bisher immer recht facettenreich. Falls aber damit das Auftreten der Cdu/Csuler welche dies am lautesten fordern gemeint ist... NEIN DANKE!!

Zum Abschluss wüsste ich gerne wann endlich das Lügen in der Politik strafbar wird? Man darf sich doch niergends unter falschen Angaben Vorteile verschaffen... Nur in diesem Mileu scheint sich dieses eingebürgert zu haben... (z.B.:"Vor der Wahl ist nicht nach der Wahl"(Merkel))... Lohnt es sich unter diesen Aspekten überhaupt wählen zu gehen?

Mfg selbstkritischer Integrationsverweigerer

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Özkiran,

Sie sind bestimmt kein Integrationsverweigerer. Sie stellen Fragen bei Abgeordnetenwatch, kümmern sich um die Politik und wünschen sich mehr und bessere Demokratie. Das ist die Teilnahme, die ich mir von MigrantInnen wünsche und es ist Aufgabe der Politik, ihnen auch Teilhabe zu ermöglichen. Und wenn teilnehmen für Sie bedeutet, dass Sie diesen komischen konservativen Integrationsbegriff kritisieren, sind Sie deshalb noch lange kein Integrationsverweigerer, sondern tun etwas dringend Notwendiges.

Was genau die deutsche Kultur ist? Sie ist in der Tat sehr facettenreich. Und sie verändert sich ständig. Die Veränderung der Kultur sind für uns Grüne selbstverständliche Prozesse, die immer ablaufen. Die Kultur ist ständig im Fluss und gerade diese Veränderlichkeit und Hybridität, ihre Fähigkeit, Neues aufzunehmen und mit Alten zu wieder Neuem zu wandeln macht ihre Stärke und Schönheit mit aus. Viele Kontroversen in der Debatte um die Signalworte „Leitkultur“ und „Multi-Kulti“, zwischen Grünen und Konservativen gehen darauf zurück, dass letztere eine Ideologie von einer konstanten, unveränderlichen deutschen Kultur gegen die Realität einer Kultur im ständigen Wandel stellen wollen.
Also: Passen Sie sich nicht an, nehmen sie teil!

Deshalb ist es auch wichtig, dass Sie wählen gehen. Außerdem macht es doch einen Unterschied, ob Leute regieren, die an eine stahlharte deutsche Leitkultur glauben oder ob Leute regieren, die Veränderung in der Gesellschaft zulassen können. Es macht doch einen Unterschied, wie lange die Atomkraftwerke in Deutschland noch laufen, ob es eine Zweiklassenmedizin oder eine Bürgerversicherung für alle gibt, ob Geld in Sozialarbeit oder in Straßenbau investiert wird.

Es ist verständlich, dass Sie ob des offenbaren und großen Einflusses von Lobbyverbänden, wie zum Beispiel der Pharma-, Atom- oder Agrarindustrie auf die schwarz-gelbe Bundesregierung frustriert sind über die parlamentarische Demokratie. Und es gibt da einigen Veränderungsbedarf und auch einige Handlungsmöglichkeiten.

Es mag sich recht kleinteilig anhören, aber ich glaube tatsächlich, dass man durch klare und strenge Regeln was Transparenz und Verfahren angeht, einiges Verbessern könnte. Konkret könnte man zum Beispiel folgendes tun:
- Parteispenden von Unternehmen begrenzen
- Veröffentlichungsregeln für Abgeordnete verschärfen
- Ein Lobbyregister einführen
- Karenzzeiten für PolitikerInnen einführen, die aus Ministerien in die Wirtschaft wechsel
- Keine von Unternehmen bezahlten externen MitarbeiterInnen in Ministerien

Und immer wieder: Transparenz, Transparenz, Transparenz!
Denn nur was transparent ist kann kontrolliert werden. Von der Öffentlichkeit und vom Parlament. Das Parlament müsste gegenüber der Regierung gestärkt werden. Es bräuchte mehr Kapazitäten, denn solange man in der Regierungsfraktion sitzt kann man sich auf die Kapazitäten der Regierung mitverlassen. Die Regierungsfraktionen nehmen die Funktion, die Regierung zu kontrollieren, logischerweise nur mäßig war. Die Opposition aber ist von Information zu oft abgeschnitten.

Und die BürgerInnen - egal ob sie Özdemir heißen oder Stahl, egal ob sie Abitur gemacht haben oder eine Zimmererlehre - müssen in die Lage versetzt werden, die Politik stärker zu beeinflussen und zu kontrollieren. Wir brauchen endlich Direkte Demokratie auf Bundesebene. Und die Informationsflüsse aus der Verwaltung an die BürgerInnen müssen besser funktionieren. Das Informationsfreiheitsgesetz, das unter Rot-Grün gemacht wurde ist da nur ein Anfang. Es kann doch nicht sein, dass wir in einem demokratischen Staat Wikileaks bräuchten, um herauszufinden, nach welchen Kriterien die Polizei ihre Statistiken macht, die Grundlage von öffentlichen Diskussionen und politischen Entscheidungen sind.

Wenn Sie mir nicht glauben wollen, dass diese Dinge helfen können, dann nehmen sie doch die Kämpfe, die LobbyistInnen und einzelne PolitikerInnen gegen diese Gesetze und Regelungen führen als Beweis dafür, dass sie tatsächlich ihren Interessen im Weg stehen könnten.

Das Lügen kann nicht verboten werden. Aber es wird aufhören, wenn es nicht mehr honoriert wird. Anstatt sich ständig abstrakt über mangelnde Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit zu beschweren, müssten die BürgerInnen die PolitikerInnen mehr fordern. Denn Authentizität ist stets eine konstruierte Sache und die Forderung nach Authentizität führt oft zu ihrem Gegenteil: Heuchelei und eine gefühlte Verbundenheit zwischen Menschen, deren Interessen sich widersprechen. Fordern Sie von der Politik nicht Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit, sondern Intelligenz. Die lässt sie schwieriger Heucheln. In der Praxis ist Unbestechlichkeit wertlos, wenn sie nicht von der Fähigkeit begleitet wird, Wissenschaft von Werbung zu unterscheiden und interessengeleitete Informationen statt zu Gesetzesvorlagen zu Recyclingpapier werden zu lassen.

In meinem Büro in Berlin füllt sich jeden Tag ein ganzer Papierkorb mit Hochglanzbroschüren von Interessenverbänden und Einladungen zu "parlamentarischen Abenden" von Unternehmen. Auch diese politische Werbung kann und muss man nicht verbieten. Aber man sollte es nicht lesen, sondern entsorgen.

Mit freundlichen Grüßen

Agnes Krumwiede