Frage an Andrea Krueger von Arthur S. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte
Ver.di streikt gegen die Arbeitszeitverlängerung, durch welche Stellenabbau durch Nichtbesetzung von auslaufenden Stellen, ergo also durch die Nichtübernahme von Ausbildungsplätzen erfolgt. Das ganze bei dem Hintergrund, eine hohe Arbeitslosenzahl zu haben, insbesondere bei der Schwierigkeit älterer Menschen einen Arbeitsplatz zu finden, aber auch Jugendliche haben das Problem eine Stelle zu „ergattern“, vor allem aber ist bei Ihnen das Risiko größer Extremen Ideologien zu verfallen. Weiterhin gehört zum Kontext das höhere Rentenbeitrittsalter, welches die Situation wieder für Ältere verschärft. Zusätzlich dazu betrachtet man die Nullrunden bei den Renten, welche bei steigenden Lebenshaltungskosten faktisch also Minusrunden sind. Man erfährt Lohndumping indem Arbeitnehmer unter Druck gesetzt werden, Arbeitszeitverlängerungen, Lohnkürungen etc. zuzustimmen, oftmals mit der Begründung, dass zahllose Arbeitslose gerne diese Stelle hätten. Passend dazu entstanden die 1-Euro-Jobs und Leiharbeitsfirmen, welche den Preisdruck nochmals erhöhen bzw. „normale“ Arbeitsplätze bedrohen. Dagegen feiern im speziellen Großunternehmen Rekordgewinne und –umsätze, schlagen sich Vorstände die Bäuche voll. Deutschland ist Nr. 1 der Exportnationen, allerdings stagniert der Binnenhandel. Es ist schwierig vorzustellen, dass mit sinkenden Löhne, also sinkende Einnahmen für die Haushalte bei gleichzeitig steigenden Lebenskosten der Binnenhandel in Schwung gebracht wird. Trotz allem fährt Ihre Partei diese Linie. Wie sind diese Faktoren in Einklang zu bringen?
Mit freundlichen Grüßen
Arthur Schiwon
Sehr geehrter Herr Schiwon,
die demografische Entwicklung in Deutschland ist ohne Zweifel mit großen Herausforderungen für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft verbunden. Es geht dabei vor allem darum, den erreichten wirtschaftlichen Wohlstand für breite Bevölkerungskreise langfristig zu sichern und weiter zu entwickeln, die Arbeitslosigkeit abzubauen, die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt zu erhöhen und damit auch die sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren.
Da wir immer älter werden, können wir die zusätzlich gewonnene Lebenszeit schon aus Gründen der Finanzierung der Alterssicherung nicht nur der Zeitspanne des Ruhestandes zuschlagen. Vielmehr müssen wir auch unsere Lebensarbeitszeit entsprechend verlängern. Dies kann einerseits dadurch erfolgen, dass junge Menschen früher ins Berufsleben eintreten (Schul- und Studienzeitverkürzung), andererseits dadurch, dass ältere Beschäftigte später in Rente gehen.
Schon heute ist absehbar, dass etwa die Altersgruppe der 30- bis 40-Jährigen in Baden-Württemberg zwischen 2002 und 2010 um mehr als zwanzig Prozent schrumpfen wird, während die Altersgruppe der 50- bis 60-Jährigen im selben Zeitraum um mehr als zwanzig Prozent wachsen wird. Daran wird deutlich, dass unsere Wirtschaft künftig sehr viel stärker als bisher auch auf ältere Arbeitnehmer setzen muss, um ihren Fachkräftebedarf decken zu können.Die Unternehmen werden sich daher im Sinne einer vorausschauenden, generationenübergreifenden Personalpolitik frühzeitig auf die demografischen Veränderungen einstellen und entsprechende Instrumente zum Beispiel der Personalentwicklung und Weiterbildung älter werdender Belegschaften (Stichwort "lebenslanges Lernen") entwickeln müssen. Eine flexible Arbeitsorganisation kann eine höhere Erwerbsbeteiligung Älterer erleichtern. Gedacht werden kann auch an altersangepasste Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitsorganisation und Arbeitszeitgestaltung, Arbeitsschutz und präventive Gesundheitsförderung, wodurch Belastungsprobleme umgangen werden können, ebenso wie an neue Formen eines sanfteren Übergangs in den Ruhestand, z.B. durch stärkere Nutzung von Lebensarbeitszeitkonten.
Im übrigen bin ichpersönlich der Auffassung, dass die Tarifpartner angesichts der Lebenshaltungskosten auf eine nominale Einkommensabsenkung, die für den weit überwiegenden Teil der Beschäftigten nur schwer verkraftbar wäre, eher verzichten sollten. Eine Anhebung der Arbeitszeit halte ich hingegen zur Erhöhung der Produktivität und Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft für durchaus zumutbar.
Zu dem von Ihnen angesprochenen Ver.di-Streik soviel: ich hätte eine gewisse Streikbereitschaft für Einkommensverbesserungen, insbesondere im Hinblick auf die unteren Lohn- und Gehaltsgruppen, ehernachvollziehen können. Wegen 18 Minuten Mehrarbeit pro Tag trotz Arbeitgeberangebot (mit Ausbildungsplatzsicherung und zusätzlichem zweckgebundenen Urlaub) aber nun in der sechsten (!) Woche Krankenhäuser und Kindergärten mehr oder weniger lahm zu legen und den Bürgerinnen und Bürgern riesige Müllberge zuzumuten, dafür fehlt mir das Verständnis.
Mit freundlichen Grüßen
Andrea Krueger