Frage an Angelika Graf bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Angelika Graf
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Frage von Victor M. •

Frage an Angelika Graf von Victor M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sie haben wie alle aus ihrer Partei für den Lissabon Vertrag gestimmt. Es heisst immer, dass durch den Vertrag von Lissabon die Demokratie gesträrkt wird, was offenkundig nicht so ist.

Oder wie können sie mir ein fehlendes Initialrecht des europäischen Parlaments erklären, welchen Zweck bitte erfüllt ein Parlament, dass nicht mal Gesetze einbringen darf.

Wieso dürfen wir als Volk darüber eigentlich nicht abstimmen? Der Vertrag ist zu 95% deckungsgleich mit der gescheiterten Verfassung, die von den Franzosen und Niederländern abgelehnt wurde.
Danach dürfen diese Staaten nicht mehr abstimmen, das einzige Land, das dies durfte stimmte auch wieder dagegen. Aber ein Nein des Volkes wird nicht akzeptiert. Da wird einfach nochmal abgestimmt.

Es is eine Schande sich unter diesen Umständen Volksvertreter zu nennen, ausser man deutet es ähnlich wie den Versicherungs- oder Staubsaugervertreter.

Es interessiert mich nicht wie sie zu dem Vertrag stehen, mich interessiert nur mit welchem Recht man den Willen eines Volkes chronisch umgehen kann und gleichzeitig das Wort Demokratie dafür benutzt?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Märten,

vielen Dank für Ihre Abgeordnetenwatch-E-Mail vom 10. September 2009.

Das sogenannte Initiativmonopol der EU-Kommission hat den Hintergrund, dass damit sichergestellt werden soll, dass nur Entscheidungen zugunsten der Gemeinschaft auf den Weg gebracht werden und keine länderspezifischen Einzelinteressen. Mehrheiten aus der Größe der jeweiligen Mitgliedstaaten sollen nicht die Möglichkeit erhalten, gezielt Einzelinteressen gegen kleinere Mitgliedstaaten durchzusetzen. Deswegen können auch die Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten keine Gesetzesinitiativen einbringen.

Die vom Parlament gewählte EU-Kommission soll sozusagen als neutrale, oberste Instanz zu Gunsten der ganzen EU handeln und prüft deswegen bereits zu Beginn eines Gesetzgebungsprozesses, ob ein Vorschlag der EU insgesamt und nicht nur einzelnen Mitgliedstaaten nützt. Inwiefern diese Struktur weiter Bestand haben wird, ist aber die Frage. Denn aktuell hatte das Europäische Parlament eine Zustimmung zu EU-Kommissions-Präsident Barroso auch von Zugeständnissen beim Initiativmonopol abhängig gemacht. Insofern sind die Dinge derzeit in Entwicklung. Das ist auch nicht unbedingt etwas Schlechtes, so lange dabei am Ende eine Regelung herauskommt, die sich am Gesamtwohl der EU orientiert.

Direkte Demokratie auf Bundesebene ist in der deutschen Verfassung nicht vorgesehen. Um das zu ändern brauchen wir eine verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit, die bisher nicht da war. CDU und CSU sprechen sich auch weiter gegen mehr direkte Demokratie auf Bundesebene aus. Während sich die SPD in ihrem Wahlprogramm für Volksbegehren und Volksentscheide auch auf Bundesebene ausgesprochen hat, gibt es diese Vorschläge im gemeinsamen Programm von CDU/CSU nicht. Eine Abstimmung über den EU-Vertrag müsste aber auf Bundesebene stattfinden - das ist etwas, was die CSU gerne verschweigt. Die CSU verhindert also in Berlin etwas, das sie in Bayern fordert.

Klar beim Thema direkte Demokratie ist aus meiner Perspektive, dass absurde Sonderregelungen - wie der Vorschlag der CSU, nur zu selbst ausgewählten Themen Abstimmungen zuzulassen - ohnehin nicht in Frage kommen. Entweder ist man für mehr direkte Demokratie oder eben nicht. Den Gedanken, dass die Regierung wenn sie dazu Lust hat mal eben eine Abstimmung zu einem Thema ihrer Wahl genehmigt, halte ich für weit entfernt von echter direkter Demokratie. Es würde auch dem Missbrauch von direkter Demokratie Tür und Tor öffnen, wenn Parteien entscheiden dürften, wann über welches Thema abgestimmt werden darf und über was nicht.

Undemokratisch war das Verfahren zur Verabschiedung des Lissabon-Vertrags aber nicht. Schließlich ist der Deutsche Bundestag vom Volk gewählt worden. Die meisten Themen über die der Bundestag zu entscheiden hat, sind vielschichtig und komplex. In der repräsentativen Demokratie beauftragen die Bürgerinnen und Bürger ihre Abgeordneten, sich in diese komplexen Themen einzuarbeiten und in ihrem Sinne zu entscheiden. Es ist deshalb richtig, dass die Bundestagsabgeordneten über Bundesgesetze entscheiden, denn dies gehört zu ihren Aufgaben.

Die direkte Demokratie kann und sollte dazu, allerdings innerhalb gewisser Grenzen und mit bestimmten Voraussetzungen (Minderheitenschutz, Transparenz darüber, wer eine Kampagne mit wie viel Geld unterstützt; Aufbau einer Beteiligungskultur als Unterbau) eine wichtige Ergänzung sein. Sie darf, soll und kann die repräsentative Demokratie jedoch nicht ersetzen.

Der Fairness halber muss noch erwähnt werden, dass der ursprünglich abgelehnte und dann überarbeitete Vertrag zunächst keineswegs nur auf Ablehnung gestoßen war sondern beispielsweise bei Volksabstimmungen in Spanien und Luxemburg eine Mehrheit erhalten hatte. Man könnte also bei einem von Ihnen geforderten Stopp der Ratifizierung ebenso sagen „Ein Ja des Volkes wird nicht akzeptiert“.

Mit freundlichen Grüßen
Angelika Graf