Frage an Anna Lührmann bezüglich Familie

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Anna Lührmann
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Christoph M. •

Frage an Anna Lührmann von Christoph M. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau Lührmann,

als Wahlberechtigter in dem Wahlkreis in dem Sie kandidieren möchte ich Ihnen Fragen zu einem für meine Stimmenabgabe entscheidenden Thema stellen: Die Situation von durch Trennung/Scheidung von ihren Kindern getrenntlebenden Elternteilen.
Anläßlich der Geburt meines unehlichen Kindes und der sich abzeichnenden Trennung von der Kindesmutter war ich fassungslos über die rechtliche Situation in diesem Land.
Schlimm genug, daß Vätern unehlicher Kinder nicht grundsätzlich ebenfalls das Sorgerecht zugesprochen wird. Dies allein halte ich schon für verfassungswidrig da geschlechtsspezifisch diskriminierend. Diese Auffassung vertritt das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 29.1.2003 nicht, macht allerdings dem Gesetzgeber zur Auflage die im o.g. Urteil geannten Annahmen der Realität anzupassen.
Hier nun meine erste Fragen: Inwieweit haben Sie sich mit diesem Thema im Sinne der Aufforderung des Verfassungsgerichts beschäfftigt (werden Sie sich damit beschäfftigen)? Wie ist Ihr Standpunkt zu der Frage der grundsätzlichen gemeinsamen Sorge für beide Elternteile eines Kindes?

Wesentlich schlimmer als die oben beschriebene Diskriminierung von Männern ist, daß eine Mutter eines unehlichen Kindes (und bei den meisten strittigen Scheidungen auch im Falle eines ehelichen Kindes) den Umgang zwischen Vater und Kind unterbinden kann, ohne irgendwelche Gründe angeben oder gar rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen.
Dies führt regelmäßig zu Verurteilungen der Bundesrepublik durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Meine Fragen: Was haben Sie getan (werden sie tun), um dieser Form des Kindesmißbrauchs entsprechend den Kinderschutzkonventionen der UN entgegenzutreten? Wäre das generelle gemeinsame Sorgerecht beider Elternteile in Ihren Augen ein Mittel den zurzeit weitverbreiteten Kindesmißbrauch durch sogenannten Kindesentzug einzuschränken?

Abschließende Frage: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den oben beschriebenen Benachteiligungen von Vätern mit allen ihren Folgen und der in Deutschland weiter sinkenden Geburtenrate?

Vielen Dank für eine Antwort
Mit freundlichen Grüßen

Christoph Maass

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Maass,

entschuldigen Sie bitte, dass Sie so lange auf eine Antwort warten mussten. Aber es handelt sich um eine äußerst komplexe Materie und ich musste mich erst bei den Fachleuten in unserer Fraktion über den Sachverhalt informieren. Bisher war ich mit dem Thema nicht vertraut, da wir in der Fraktion die Themen aufteilen und ich für Haushalt/Europa zuständig bin. Ich habe großes Vertrauen darin, dass die Kollegen auch in den anderen Themengebieten entsprechend meiner Wertvorstellungen agieren.

Selbstverständlich ist die derzeitige rechtliche Situation für Väter oftmals misslich. Bündnis 90 / Die Grünen sehen das Problem und haben es in entsprechenden Arbeitsgruppen mit dem Koalitionspartner immer wieder zum Thema gemacht.

Augenblicklich ist die gemeinsame Sorge nur möglich durch Abgabe einer gemeinsamen Sorgeerklärung und zwar unabhängig vom Zusammenleben der Eltern und gemeinsamer Pflichtenübernahme. Gegen die Zustimmung der Mutter ist hingegen eine gemeinsame Sorge beider Elternteile nicht möglich.

Gegen dieses „Vetorecht der Mütter“ waren mehrere Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 29. Januar 2003 die geltende gesetzliche Regelung zum Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern im Wesentlichen für verfassungskonform erklärt.

In seiner Urteilsbegründung führt das Gericht unter anderem aus, dass trotz der Tatsache, dass beide Eltern Träger der Elternrechte aus Artikel 6 Abs. 2 Grundgesetz sind, die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraussetzt und ein Mindestmaß an Übereinstimmung erfordert sowie sich am Kindeswohl auszurichten hat. "Fehlen die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung, darf der Gesetzgeber einem Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind zuordnen." Dieses Mindestmaß an Übereinstimmung, das die Verfassungsrichter für die gemeinsame Sorge anführen, spricht aus meiner Sicht gegen eine generelle gemeinsame Sorge auch bei Nichtverheirateten.

Es ist unzweifelhaft, dass auch Väter ein Elternrecht haben. Wegen der vorgezogenen Wahlen konnten wir die Frage, ob das unangetastete Vetorecht der Mutter einzuschränken sei, nicht mehr abschließend klären. Klar ist, es geht vor allem um das Wohl des Kindes. Innerhalb der Fraktion gibt es starke Stimmen, die sich für die Möglichkeit einer so genannten Einzelfallentscheidung aussprechen. Die geltende Übergangsregelung für das Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern (Altfälle) könnte Modellcharakter für die Zukunft des Sorgrechts bei nicht miteinander verheirateten Eltern haben, in denen sich die allein sorgeberechtigte Mutter weigert, eine Mitsorge des Kindsvaters zuzulassen. Wenn der nicht mit der Mutter verheiratete Vater willens und in der Lage ist, die elterliche Verantwortung für das gemeinsame Kind in gleicher Weise wie die Mutter zu tragen und dies auch tatsächlich tut, sollte eine gerichtliche Einzelfallentscheidung zugunsten der gemeinsamen Sorge auch gegen den ausdrücklichen Willen der Mutter möglich sein. Diese gerichtliche Prüfung sollte allerdings nicht, wie in der Übergangsregelung festgelegt, an das gemeinsame Familienleben im Sinne einer tatsächlichen gemeinsamen elterlichen Sorge gebunden sein, sondern auch für Fälle gelten, in denen der Vater seinen Anteil an elterlicher Fürsorge erfüllt und vornehmlich am Willen der Mutter gescheitert ist. Sollte die Mutter die gemeinsame Sorge, wie vom Gesetzgeber in der bestehenden Regelung unterstellt, aus schwerwiegenden Gründen nicht befürworten, werden diese Gründe auch in der Einzelfallprüfung Bestand haben.

Die von Ihnen angesprochene Umgangsvereitelung ist wirklich ein schwer lösbares Problem: zum einen gerichtsfest schwer nachweisbar und dann ordnungspolitisch schlecht durchzusetzen, denn niemand möchte die Kinder mit der Polizei fürs Wochenende abholen lassen. Die juristischen Möglichkeiten sind eher „theoretische Optionen“, sie sind in der Praxis nur selten erfolgreich. Im Einzelfall kann aber die Verhängung von Ordungsgeldern sehr hilfreich sein. Hinzu kommt, dass die Dauer solcher Verfahren den Absichten des boykottierenden Elternteils entgegenkommt. Im Zuge der Reform der Freiwilligen Gerichtsbarkeit planen wir daher Änderungen, welche im Interesse des Kindeswohls Verfahren beschleunigen und – deutlicher und offensiver als jetzt - auf einvernehmliche Lösungen abzielen. Das ‚Cochemer Modell’ hat sich als außerordentlich erfolgreich etabliert. Ein entsprechender Gesetzentwurf der Bundesregierung ist bereits in Ausarbeitung begriffen. Darüber hinaus muss ein besonderer Wert auf entsprechende Elemente in der Aus- und Fortbildung von Juristen sowie entsprechende Aufklärungs- und Unterstützungsangebote für die Betroffenen gelegt werden.

Ich glaube, die Benachteiligung von Vätern, wie sie eben bei Sorge- und Umgangsrecht beschrieben wurden, haben wenig Einfluss auf die Geburtenrate, denn diese treten erst dann ein, wenn Beziehungen nicht (mehr) funktionieren. Das heißt nicht, dass wir in Deutschland nicht viel mehr tun könnten und sollten, um moderne Väter zu unterstützen, die sich um ihre Kinder kümmern. Das gilt jedoch für beide Geschlechter. Bezüglich der Einkommens- und Karriereeinbußen tragen Frauen meistens die überwiegende Last der Benachteiligungen, Väter dagegen tragen die zu einem großen Maße Verantwortung ohne Zeit mit ihren Kinder verbringen zu können – egal ob als Wochenendpapi oder als Berufstätiger mit endlosen Überstunden. Das Thema, um das es hier geht ist eher die Benachteiligung von Eltern. Insofern gibt es einen Zusammenhang, bei der Benachteiligung von Vätern und Müttern bezüglich der Geburtenrate, jedoch nicht beim Sorgerecht.

Mit freundlichen Grüßen

Anna Lührmann

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