Frage an Antje Tillmann bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Antje Tillmann
CDU
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Frage von Jolana P. •

Frage an Antje Tillmann von Jolana P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Tillmann,

als meine Bundestagsabgeordnete, möchte ich Ihnen meine große Sorge über die am Freitag anstehende Bundestagsabstimmung zum deutschen Militäreinsatz in Syrien zum Ausdruck bringen und Sie auffordern die Abstimmung zu verschieben.

Wie kann es sein, dass eines der größten deutschen Auslandseinsätze im Eilverfahren durch das Parlament gewinkt wird, ohne gesellschaftliche Debatte und Aufklärung? Ich kann mich dem Eindruck nicht verwehren, dass die Bundesregierung den politischen Entscheidungsprozess zum Syrieneinsatz so schnell, leise und unbemerkt wie möglich abwickeln möchte, um eine gesellschaftliche Debatte zu vermeiden. Das verfälscht den Demokratiebegriff. Der Bundestag wird am Freitag gefragt einem Kriegseinsatz zuzustimmen, der meines Erachtens keine klare Rechtsgrundlage, kein politisches Konzept und keine militärische Strategie hat. Er ist zudem Teil einer „Koalition“, die von widersprüchlichen Interessen geprägt ist, welche das Erstarken des IS überhaupt erst begünstigt haben. Sogar der deutsche Bundeswehrverband beklagt, dass es keine Strategie gibt und dass dieser Krieg mehr als zehn Jahre dauern wird.

Eine solche weitreichende Entscheidung, die Deutschland potenziell in einen jahrelangen Krieg verwickelt, sollte nicht einfach durch einen Mehrheitsbeschluss der Koalition getragen werden.

Bitte verweigern Sie am Freitag die Abstimmung und fordern Sie eine ehrliche und umfassende gesellschaftliche Debatte zu diesem Kriegseinsatz ein. Es ist die Verantwortung der Parteien, an der politischen Willensbildung des deutschen Volkes mitzuwirken. So will es Artikel 21 des Grundgesetzes. Ich fordere Sie und Ihre Partei auf, Ihrer politischen Verantwortung nachzukommen. Eine solche Debatte erfordert Zeit und weniger als drei Tage zwischen Kabinettsbeschluss und Abstimmung ist kein akzeptabler Zeitrahmen für einen politischen Meinungsfindungsprozess.

Mit freundlichen Grüßen

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Antwort von
CDU

Sehr geehrte Frau Pons,

haben Sie vielen Dank für Ihre E-Mail zur Abstimmung über den Bundeswehreinsatz gegen den sogenannten „Islamischen Staat“.

Entscheidung nicht leichtfertig getroffen

Ich bin davon überzeugt, dass sich alle Mitglieder des Deutschen Bundestages die Entscheidung nicht leicht gemacht haben. Wir haben im Vorfeld der Entscheidung eine breite und intensive Debatte geführt. Gemeinsam mit meinen Bundestagskolleginnen und Kollegen aller Fraktionen habe ich in Sondersitzungen der beteiligten Bundestagsausschüsse sowie in den Plenardebatten sorgfältig abgewogen, welche Argumente gegen und für den Einsatz sprechen. Insbesondere hatten wir eine ausführliche und intensive Diskussion in unserer Fraktionssitzung und auch innerhalb der Landesgruppe der Thüringer CDU-Abgeordneten.
Als Resultat dieser Diskussionen habe ich für den „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS“ gestimmt.

Gerne erläutere ich Ihnen meine Beweggründe:
Nicht nur militärische Mittel beim Kampf gegen den IS

Die Bekämpfung des IS erfolgt nach dem Ansatz der Vernetzten Sicherheit. Das umfasst diplomatische, entwicklungspolitische, polizeiliche und notfalls auch militärische Mittel.
Der wichtigste Pfeiler ist der politische Prozess der Wiener Verhandlungen zur Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien. Wenn es gelingt, eine Verständigung zwischen der verhandlungsbereiten Opposition und dem Regime in Syrien zu erreichen, gibt es die Chance für ein gemeinsames Vorgehen gegen den IS im Land. Erstmals sitzen dazu die USA, Russland, die Europäer aber auch regionale Akteure wie Saudi-Arabien und Iran an einem Tisch, um einen Waffenstillstand und einen politischen Übergangsprozess in Syrien auszuhandeln.
Bisher wurde vereinbart: In sechs Monaten sollen die Voraussetzungen für eine Übergangsregierung geschaffen werden. Ein 18 Monate langer Übergangsprozess soll schließlich in freie und faire Wahlen münden. Dabei stehen der Erhalt der syrischen Staatlichkeit und ein Transformationsprozess weg von Assad an oberster Stelle.
Wir setzen zweitens auf die erfolgreiche Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe für Peschmerga, Jesiden und andere gemäßigte Gruppen, die sich dem IS entgegenstellen. Dazu werden wir das Mandat für die Ausbildungsmission der Bundeswehr im Nordirak von 100 auf künftig 150 Soldaten erweitern. Und wir stellen bis zu 100 Millionen Euro zur Ertüchtigung von regionalen Partnern bereit. Mithilfe der Luftunterstützung durch die Anti-IS-Koalition ist es den Peschmerga bereits gelungen, den IS aus Städten wie Kobane und Sindschar zu vertreiben. Das zeigt: Es ist möglich, den IS militärisch zurück zu drängen.
Drittens müssen die Finanzquellen des IS ausgetrocknet werden. Der UN-Sicherheitsrat hat schon im Februar 2015 beschlossen, dass alle Staaten Geldtransfers an den IS unterbinden müssen. Dies hat er mit Resolution 2249 nochmals bekräftigt. Deutschland hat das schon umgesetzt und einen eigenen Straftatbestand der Terrorismusfinanzierung geschaffen. Jetzt müssen alle anderen Staaten, insbesondere diejenigen in der arabischen Welt, ebenfalls alles dafür tun, um die Finanztransfers an den IS zu unterbinden und insbesondere sein Ölgeschäft zu vereiteln.
Viertens werden wir noch entschlossener die IS-Propaganda in den sozialen Netzwerken bekämpfen und in Programme zur Prävention und Deradikalisierung von Jugendlichen investieren.
Fünftens erhöhen wir die humanitäre Hilfe für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak um 400 Millionen Euro auf rund eine Milliarde Euro. Zudem stellen wir im nächsten Jahr 850 Millionen Euro mehr für die Entwicklungszusammenarbeit bereit. Dieses Geld kommt vor allem den Menschen zu Gute, die vor dem IS fliehen.

Auch ein wichtiger Beitrag zur Linderung der Fluchtursachen
Das zeigt: Eine Bekämpfung des IS im Rahmen der Vernetzten Sicherheit ist nachhaltig und leistet auch einen wichtigen Beitrag zur Linderung der Fluchtursachen.
Ziel ist, dass die Menschen in der Region wieder in Frieden leben können
Unser Ziel ist die Verhütung und Unterbindung terroristischer Anschläge. Zugleich müssen wir erreichen, dass der IS keine Gräueltaten mehr an der Zivilbevölkerung begehen kann. Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass lokale Kräfte den IS aus Syrien und dem Irak zurückdrängen können, damit die Menschen der Region endlich wieder in Frieden leben können.

Keine Zusammenarbeit mit Assad
Klar ist dabei: Es wird keine Zusammenarbeit mit Assad geben und auch nicht mit Truppen unter der Führung Assads.
Wir setzen auf den diplomatischen Verhandlungsprozess in Wien, der einen politischen Übergang in Syrien weg von Assad einleiten soll.
Klar ist aber auch: Wir müssen die Staatlichkeit Syriens erhalten, denn im Falle eines Staatszerfalls droht neue Gewalt. Deshalb gilt es, nach einem Waffenstillstand und nach freien und fairen Wahlen den Soldaten in der syrischen Armee eine Perspektive zu bieten und sie in den Wiederaufbau Syriens einzubinden.
Ohne diese Perspektive würden sich viele dieser Soldaten voraussichtlich dem IS anschließen. Diese bittere Erfahrung aus dem Irakkrieg gilt es zu vermeiden.
Angriff in Frankreich galt uns allen
Mit den menschenverachtenden Terroranschlägen in Paris vom 13. November 2015 hat der IS gezeigt, dass er nicht nur die Region Syrien im Blick hat, sondern auch eine große Gefahr für Europa darstellt. Die Angriffe galten nicht nur Frankreich, sondern dem europäischen Raum der Freiheit, des Rechts, unserer Lebensweise und unseren Werten. Dagegen müssen wir uns verteidigen. Der IS stellt aufgrund seiner Gewaltideologie, seiner terroristischen Handlungen, seiner anhaltenden schweren, systematischen und ausgedehnten Angriffe auf Zivilpersonen sowie seiner Anwerbung und Ausbildung ausländischer Kämpfer eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar.
Frankreich hat alle EU-Mitgliedstaaten um Beistand nach der EU-Beistandsklausel (Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages) gebeten. Wir stehen solidarisch an der Seite unserer Freunde und Partner in Frankreich.
Unterstützung durch Luftaufklärung, Schutz des Flugzeugträgers und Entlastung in Mali
Konkret hat Frankreich uns darum gebeten, den Kampf gegen den IS mit RECCE-Aufklärungstornados zu unterstützen. Das sind die modernsten Aufklärungsflugzeuge, die es derzeit weltweit gibt. Sie können gestochen scharfe Bilder aufnehmen und diese in Echtzeit übertragen. Die Bilder haben eine Detailtiefe, die Aufklärungsdrohnen nicht erreichen. So können wir genau ermitteln, wo sich Stellungen, Infrastruktur und Einheiten des IS befinden. Damit ermöglichen wir eine zielgenaue Bekämpfung der Terroristen und tragen zugleich dazu bei, dass deutlich besser zwischen Zivilisten und Terroristen unterschieden werden kann.
Die Daten aus den Aufklärungsflügen stehen ausschließlich den NATO-Mitgliedstaaten zur Verfügung und davon auch nur denjenigen, die tatsächlich Einsätze gegen den IS fliegen. Die Auswertung der Daten erfolgt national, das heißt: Deutsche Offiziere bestimmen, wer auf welche Daten zugreifen kann. Diese Aufklärungsfähigkeiten werden ergänzt durch einen deutschfranzösischen Aufklärungs-Satelliten.
Entlasten werden wir Frankreich, indem wir einerseits mit einer Fregatte den französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle schützen und andererseits Frankreich bei der Luftbetankung seiner Flugzeuge unterstützen.
Für den laufenden Betrieb, die Versorgung und für Kontingentwechsel ist eine Mandatsobergrenze von insgesamt 1.200 Soldatinnen und Soldaten erforderlich. Tatsächlich im Einsatz werden voraussichtlich rund 700 Soldatinnen und Soldaten sein.
Darüber hinaus werden wir Frankreich in Mali entlasten, indem wir mehr Verantwortung bei der UN-Friedensmission MINUSMA im Norden des Landes übernehmen. Hierzu wird der Deutsche Bundestag ein gesondertes Mandat beschließen.
Rechtsgrundlage ist vorhanden
Ihre Aussage, dass es keine klare Rechtsgrundlage gibt, kann ich nicht teilen:
Rechtsgrundlage des Einsatzes ist Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen (Recht auf kollektive Selbstverteidigung). Die Vereinten Nationen sind ein System kollektiver Sicherheit im Sinne unseres Grundgesetzes. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ist anerkannt, dass ein Staat sich (auch mithilfe anderer Staaten) gegen Angriffe eines internationalen Terrornetzwerks verteidigen darf.
Für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts ist es nicht erforderlich, dass stets eine ausdrückliche Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII der VN-Charta vorliegt. Ansonsten wäre die Bestimmung des Artikels 51 der VN-Charta überflüssig. Das Selbstverteidigungsrecht besteht vielmehr so lange, bis es dem Sicherheitsrat gelingt, mittels einer Kapitel-VII-Resolution die internationale Sicherheit wiederherzustellen. Dies ist bislang nicht erfolgt.
Verstärkende Legitimationswirkung für die Ausübung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts entfaltet die Sicherheitsratsresolution 2249. Sie ist zwar keine Resolution nach Kapitel VII der VN-Charta. Sie stellt aber mit den Formulierungen des Kapitel VII fest, dass der IS eine Bedrohung für den Frieden und die internationale Sicherheit ist. Daher ruft der Sicherheitsrat die Staaten dazu auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um weitere Terrorakte des IS zu verhindern.
Ergänzend stützt sich der Einsatz auf die EU-Beistandsklausel nach Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages. Auf dem Treffen des Rates der EU-Verteidigungsminister in Brüssel am 17. November 2015 haben alle Mitgliedstaaten einhellig den französischen Antrag nach Artikel 42 Absatz 7 EU-Vertrag unterstützt und ihren Beistand zugesichert.
Evaluation nach 12 Monaten
Die Dauer des Einsatzes hängt vor allem davon ab, wie schnell und erfolgreich der Wiener Prozess für eine politische Lösung des Syrien-Konfliktes verläuft. Je früher sich die Akteure bei den Verhandlungen in Wien auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den IS einigen können, desto eher werden wir am Ziel sein.
Das Mandat für den Bundeswehr-Einsatz ist auf 12 Monate befristet. Vor einer Verlängerung werden wir den Einsatz sorgfältig evaluieren und – wo nötig – nachsteuern.
Wie Sie erkennen können, ist mir bewusst, dass ein ausschließliches militärisches Vorgehen gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ nicht zum gewünschten Ziel führen wird.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Ausführungen behilflich sein.
Mit freundlichen Grüßen
Antje Tillmann MdB

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