Sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie mit Ihrem Entwurf zur Sterbehilfe wahrscheinlich die Versorgungslage für psychisch Kranke weiter verschlechtern und Wartezeiten von Jahren verursachen werden?

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Benjamin Strasser
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Frage von Julian D. •

Sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie mit Ihrem Entwurf zur Sterbehilfe wahrscheinlich die Versorgungslage für psychisch Kranke weiter verschlechtern und Wartezeiten von Jahren verursachen werden?

Sehr geehrter Herr Strasser,

Verwundert las ich über den neuen Gesetzentwurf zur Sterbehilfe vom 27.01.2022, an dem Sie beteiligt waren. Nachdem ich etwas darüber nachgedacht habe, bin ich einfach nur noch entsetzt.
Schon jetzt sind die Wartezeiten für einen Behandlungstermin bei Psychiatern Monate lang. Ein Gutachten zu erstellen bedeutet einen viel größeren zeitlichen Aufwand als ein gewöhnlicher Behandlungstermin. Nehmen Sie durch Ihren Entwurf daher nicht weitere, der nicht ausreichenden vorhandenen, Ressourcen für die Behandlung von psychischen Erkrankungen weg?
In den Niederlanden muss man zudem zwei Jahre auf eine Begutachtung durch einen Psychiater bei einem Sterbehilfegesuch mit psychischer Erkrankung warten. Das sind nur 2% der Fälle. Wenn alle Gesuche begutachtet werden müssen, muss sicher länger gewartet werden. Kommt das nicht einer Verhinderung gleich?
https://www.dutchnews.nl/news/2020/09/euthanasia-centre-has-two-year-wait-to-assess-mental-health-complaints/

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr D.

vielen Dank für Ihre E-Mail.

Bei dem Gesetzentwurf und dem dazugehörenden Antrag handelt es sich nicht um eine Initiative der FDP-Fraktion, sondern um einen fraktionsübergreifenden Antrag mehrerer Mitglieder des Deutschen Bundestags.

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag mit seinem Urteil aus dem Februar 2020 eine herausfordernde Aufgabe gestellt. Nämlich: Dem höchst individuellen Prozess des Sterbens abstrakt-generellen Regeln zu unterwerfen.

Zum ersten Mal hat nun eine Gruppe von Abgeordneten aller demokratischer Fraktionen einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des assistierten Suizids vorgelegt. Dabei ist uns wichtig, die Selbstbestimmung aller Menschen in allen Lebenslagen sicherzustellen.

Wir sind der Auffassung, dass es in erster Linie die Aufgabe des Gesetzgebers ist, insbesondere vulnerable Gruppen wie Menschen mit Behinderung, Menschen mit psychischen Erkrankungen oder schwersten Erkrankungen vor unzulässigem Druck Dritter auf die Entscheidung über das eigene Leben zu schützen. Leitlinie ist für uns der frei gebildete Wille und der Wert des Lebens eines jeden einzelnen Menschen.

Das Bundesverfassungsgericht selbst legt in seinem Urteil dar, dass von einer Normalisierung des assistierten Suizids und dem Angebot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe eine Gefahr für die Selbstbestimmung des Einzelnen über sein Sterben ausgeht. Das Gericht hat deshalb explizit eine Neuregelung im Strafrecht ermöglicht. Von dieser Möglichkeit machen wir Gebrauch.

Mir ist wichtig zu unterstreichen: Wir kriminalisieren mit unserem Gesetzesentwurf nicht Menschen mit einem Sterbewunsch! Wir sanktionieren über das Strafrecht Sterbehilfevereine, die sich nicht an den vorgegebenen Beratungsprozess halten und dadurch in unzulässiger Weise Einfluss auf Menschen mit einem Sterbewunsch nehmen.

Ein zweiter Gedanke: Selbstbestimmtes Sterben ist ohne eine wirksame Suizidprävention nicht denkbar.

Menschen mit einem Sterbewunsch sind oftmals in einer für sie ausweglos erscheinenden Situation. Die für sie als unerträglich empfundene Lebenssituation soll beendet werden. Wer in einer solchen Situation nur den assistierten Suizid als einziges und schnellstes Mittel zur Verfügung hat, der handelt nicht autonom, sondern aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.

Deshalb stellen wir als Abgeordnetengruppe sehr bewusst unserem Gesetzesentwurf einen Antrag zur Stärkung der Suizidprävention zur Seite. Die betroffenen Menschen brauchen individuelle auf ihre Lebenssituation angepasste, niederschwellige Angebote wie die Palliativmedizin, die Schuldner- oder Suchberatung sowie andere Therapien oder Hilfen im Alltag, um frei und selbstbestimmt zu einer gut abgewogenen Entscheidung zu kommen.

Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf und dem Antrag deutlich machen, dass wir die betroffenen Menschen bei dieser Entscheidung nicht allein lassen.

Den Gesetzentwurf finden Sie hier <https://benjamin-strasser.de/files/Bilder%20und%20Dateien/Dateien%20Aktuelles/220127%20-%20Gesetzentwurf%20Suizidhilfe%20final.pdf>  sowie den Antrag hier <https://benjamin-strasser.de/files/Bilder%20und%20Dateien/Dateien%20Aktuelles/220127%20-%20Antrag%20Suizidpr%C3%A4vention%20final.pdf> .

Mit freundlichen Grüßen

 

Benjamin Strasser MdB

 

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