Frage an Bernhard Daldrup bezüglich Bundestag

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Bernhard Daldrup
SPD
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Frage von Thomas K. •

Frage an Bernhard Daldrup von Thomas K. bezüglich Bundestag

Sehr geehrter Herr Daldrup,

wie stehen Sie zu einer möglichen Wahlrechtsänderung damit der Bundestag wieder auf eine angemessene Größe zurück geführt werden kann ?

Ich freue mich auf Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen
T. K.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Köppe,

Vielen Dank für Ihre Nachricht hier auf Abgeordnetenwatch.de.

Der Deutsche Bundestag ist als gewählte Vertretung der Bürgerinnen und Bürger das Herz unserer parlamentarischen Demokratie. Hier werden die zentralen gesellschaftlichen Debatten geführt, Gesetze beraten und beschlossen, der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin gewählt und die Regierung kontrolliert. Die SPD-Bundestagsfraktion will sicherstellen, dass der Bundestag diese Aufgaben auch in Zukunft optimal erfüllen kann.

Vor der Wiedervereinigung hatte der Bundestag bei rund 60 Millionen Einwohnern die Regelgröße von 518 Abgeordneten, danach bei rund 80 Millionen Einwohnern die Regelgröße von 656 Mitgliedern. Zur Wahl 2002 ist er auf eine Regelgröße von 598 Mitgliedern verkleinert worden, da sich der Bundestag in den Größenordnungen seit der Wiedervereinigung bewegen sollte. Seit der Wahl 2013 gilt nun aber ein Wahlrecht, das erstmals sicherstellt, dass die Zusammensetzung des Bundestages das Verhältnis der abgegebenen gültigen Zweitstimmen widerspiegelt. Deshalb ziehen Überhangmandate ggf. Ausgleichsmandate nach sich. So kam es bei der Wahl 2013 zu 631 Sitzen. Aktuell besteht der Bundestag daher bei unveränderter Regelgröße aus 709 Mitgliedern.

Da in dieser Legislaturperiode die interfraktionelle Arbeitsgruppe zur Wahlrechtsreform und Verkleinerung des Bundestages unter Leitung von Bundestagspräsident Schäuble leider ohne Erfolg geblieben ist, haben wir als SPD-Bundestagsfraktion nun einen neuen Kompromissvorschlag entwickelt: Mit einem zweistufigen Brückenmodell wollen wir auf praktikable Weise einer weiteren Vergrößerung des Bundestages entgegenwirken und den Weg für eine nachhaltige Wahlrechtsreform bereiten.

Weitere Einzelheiten und die konkrete mathematische Umsetzung unseres Vorschlags haben wir auf der Homepage der SPD-Bundestagsfraktion veröffentlicht:

https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/beschluss-wahlrecht-spd-20200303.pdf

https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/spd-brueckenmodell-zweibeispielrechnungen.pdf

Auf Basis dieses Vorschlages gehen nun die Verhandlungen mit allen Fraktionen weiter. Wir sind zuversichtlich, noch in dieser Legislaturperiode eine Wahlrechtsreform verabschieden zu können, die einen weiteren Aufwuchs der Bundestagsgröße verhindert und den Weg für eine langfristig tragbare Lösung bereitet.

Lägen die Dinge so einfach, wie teilweise behauptet wird, wäre das Problem schon längst gelöst. Das Wahlrecht hat aber enorme Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit einer Demokratie. Nicht ohne Grund existieren dazu zahlreiche Veröffentlichungen in der juristischen und politologischen Fachliteratur. Mit Änderungen am Wahlrecht müssen wir deshalb sensibel umgehen und einen überparteilichen Konsens suchen. Wichtig ist, dass die Wahlrechtsreform nicht von den Parteien dazu genutzt wird, sich einseitige Vorteile im Parteienwettbewerb zu sichern.

Eine Übersicht zu den anderen Vorschläge und deren Einordnung:

Zur Wahlrechtsreform gibt es einige Vorschläge, die wir jedoch aus verschiedenen Gründen ablehnen beziehungsweise nicht für praktikabel halten.

- Beispielsweise hat Bundestagspräsident Schäuble vorgeschlagen, die Wahlkreise von 299 auf 270 reduzieren, und bis zu 15 Überhangmandate unausgeglichen stehen lassen.

Zunächst ist die sofortige Reduzierung der Anzahl der Wahlkreise auf 270 kaum noch in dieser Legislaturperiode umsetzbar. 29 Wahlkreise würden sofort wegfallen. Das Modell ist außerdem nicht krisenfest, denn bei Zugrundlegung aktueller Umfragen ist trotzdem mit einem erheblichen Anwuchs zu rechnen. Außerdem missachtet es den Wählerwillen: Durch das Stehenlassen unausgeglichener Überhangmandate wird der Zweitstimmenproporz (der für eine politische Mehrheit entscheidend ist) verzerrt. In Anbetracht einer stark veränderten politischen Landschaft können die von Wolfgang Schäuble vorgeschlagenen 15 unausgeglichenen Mandate Mehrheiten hervorrufen oder verhindern.

- Der Gesetzentwurf der Oppositionsfraktionen (BT-Drs. 19/14762) sieht vor, die Wahlkreise auf 250 zu reduzieren und die Regelgröße auf 630 Sitze erhöhen. Überhangmandate sollen intern mit anderen Landeslisten verrechnet werden.

Es würden sofort 49 Wahlkreise wegfallen und durch die Vergrößerung der Wahlkreise die Wahlkreisarbeit erschwert. Es besteht des Weiteren die Gefahr, dass durch die interne Verrechnung von Überhangmandaten einige Landeslisten stark zusammenschrumpfen oder „leer laufen“. Die Gefahr der Überhangsmandate ist dennoch nicht gebannt (so können z.B. CSU Mandate nie verrechnet werden).

- Die CSU schlägt eine „Maximalgröße“ des Bundestages mit 660 Sitzen vor. Wird die Maximalgröße überschritten, soll es zunächst eine hypothetische Rückführung auf Maximalgröße entsprechend des Zweitstimmenanteils geben. Dafür werden Überhangmandate mit anderen Landeslisten verrechnet, externe Überhangmandate (für die insgesamt keine Listenplätze mehr vorhanden sind) werden jedoch dann unausgeglichen dazu gerechnet.

Das Modell beinhaltet keine von vornherein feststehende Maximalgröße des Bundestages: Überhangmandate werden zwar bei Überschreiten der Maximalgrenze mit Listenmandaten aus anderen Ländern verrechnet. Wo aber keine Listenmandate zur Verrechnung mehr zur Verfügung stehen (dies ist bei der CSU immer der Fall), bleiben Überhangmandate unausgeglichen stehen und kommen „oben drauf“. Bis zu 15 Überhangmandate unausgeglichen stehenzulassen, ist politisch heikel, weil es den Zweitstimmenproporz verzerrt. Mehr als 15 Überhangmandate unausgeglichen stehenzulassen, ist aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG von 2012 außerdem verfassungswidrig.

- Das sogenannte ‚Grabenwahlrecht‘ wie von einigen Unionspolitikern gefordert, sieht eine komplette Trennung zwischen Direkt- und Listenmandaten vor: 299 Direktmandate werden nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben, die anderen 299 Sitze unabhängig von den Direktmandaten nach dem Grundsatz der Verhältniswahl.

Das System bevorzugt die Union, die eine große Zahl von Direktmandaten innehat, da keine Verrechnung der Direktmandate mit den Zweitstimmenanteilen mehr stattfindet. Trotz aktueller Umfragen von unter 30% für die Union bedeutete dies eine absolute Mehrheit im Parlament.

Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen

Bernhard Daldrup

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