Sehr geehrter Herr Daldrup, auch wenn Sie gegen das Volksentscheidgesetz abstimmten - können Sie sich ein solches Modell prinzipiell vorstellen? Was müsste am Vorschlag geändert werden?

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Bernhard Daldrup
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Frage von Jost M. •

Sehr geehrter Herr Daldrup, auch wenn Sie gegen das Volksentscheidgesetz abstimmten - können Sie sich ein solches Modell prinzipiell vorstellen? Was müsste am Vorschlag geändert werden?

Ich finde, prinzipiell wäre das Modell Volksentscheid (z.B. bei der BTW 2025 oder bei Landtagswahlen im Wahlbogen integriert) für die Stärkung der Demokratie von Vorteil. Dass die AfD, indem sie ihr Gesetz anstieß, die Demokratie tatsächlich schwächen wollte (kein Mindestbeteiligungsquorum, usw.), ist natürlich nicht auszuschließen; jedoch könnte die SPD den Grundgedanken des Volksentscheides doch in Erwägung ziehen, oder?
Vielen Dank für Ihre Antwort!

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Sehr geehrter Herr M.,

gerne antworte ich auf Ihre Anfrage.

Gleich vorweg kann ich Ihnen sagen, dass die SPD die Vorteile des Volksentscheides erkennt und begrüßt. Im Deutschen Bundestag debattierten wir ausgehend von einem Vorschlag der SPD bereits im Jahr 2013 über die Volksinitiative, das Volksbegehren und den Volksentscheid. Und auch schon im SPD-Grundsatzprogramm 2007 heißt es:

„Der Verbindung von aktivierendem Staat und aktiver Zivilgesellschaft dient auch die direkte Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger durch Volksbegehren und Volksentscheide. In gesetzlich festzulegenden Grenzen sollen sie die parlamentarische Demokratie ergänzen, und zwar nicht nur in Gemeinden und Ländern, sondern auch im Bund. Wo die Verfassung der parlamentarischen Mehrheit Grenzen setzt, gelten diese auch für Bürgerentscheide.“

Auf dem vier Jahre später abgehaltenen ordentlichen Bundesparteitag der SPD wurde zudem ein Grundsatzbeschluss gefasst, mit dem sich die SPD klar und deutlich für die Einführung des bundesweiten Volksentscheids einsetzt. Sie fragten nach Änderungen, die ein zustimmungswürdiger Vorschlag bräuchte. Die auf diesem Parteitag diskutierten Vorschläge sind in ihrer ganzen Ausführlichkeit im Beschlusspapier festgehalten. Dort heißt es unter anderem:

"Wir wollen den Bundestag zu einem zentralen Ort der gesellschaftlichen Diskussion und Partizipation machen, der durch die Einführung direkter Demokratieteilhabe gestärkt wird. Die positive Wirkung direkter Demokratie besteht nicht nur in der schlussendlichen Ja-Nein-Entscheidung im Volksentscheid, sondern im Prozess dorthin. Auf diesem Weg müssen Regierungsmehrheit und Opposition im Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern und der Zivilgesellschaft um ihre Ziele werben."

Schon damals war mit diesem Antrag die konkrete Forderung verbunden, nicht nur den Volksentscheid als Möglichkeit der Gesetzgebung unmittelbar durch das Volk in das Grundgesetz aufzunehmen. Dem damaligen Gesetzentwurf zu Folge sollten 100.000 Abstimmungsberechtigte das Recht haben, den Bundestag mit einer Gesetzesvorlage oder einem anderen „bestimmten Gegenstand der politischen Willensbildung“ zu befassen (Volksinitiative). Käme innerhalb von sechs Monaten das vorgeschlagene Bundesgesetz nicht zustande oder fasst der Bundestag keinen anderen entsprechenden Beschluss, so würde „auf Antrag der Vertrauenspersonen“ ein Volksbegehren stattfinden, wenn innerhalb von weiteren sechs Monaten mindestens eine Million Abstimmungsberechtigte unterzeichnen. Entspricht der Bundestag dem Volksbegehren innerhalb von sechs Monaten nicht, würde innerhalb weiterer sechs Monate ein Volksentscheid stattfinden. Eine Million Abstimmungsberechtigte sollten dann das Recht erhalten, ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz dem Volksentscheid zu unterwerfen.

Leider konnten wir damals diese Forderungen nicht in die Tat umsetzen. Die Union aus CDU/CSU ließ keine ausdrückliche Verankerung von Elementen direkter Demokratie wie Volksinitiative, Volksentscheid und Referendum im Koalitionsvertrag, geschweige denn im Grundgesetz zu. Konsequenterweise haben wir uns allerdings in den letzten Jahrzehnten dennoch an fast allen Reformen zum Ausbau der direkten Demokratie auf Länderebene beteiligt.

Wir als SPD-Bundestagsfraktion wollen Menschen näher an den parlamentarischen Betrieb holen. Deswegen haben wir uns als Ampelkoalition im Koalitionsvertrag auf Folgendes verständigt:

„Wir wollen die Entscheidungsfindung verbessern, indem wir neue Formen des Bürgerdialogs wie etwa Bürgerräte nutzen, ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben. Wir werden Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren. Dabei werden wir auf gleichberechtigte Teilhabe achten. Eine Befassung des Bundestages mit den Ergebnissen wird sichergestellt.“

Anfang Mai haben wir im Bundestag auf gemeinsamen Antrag der Ampel-Fraktionen und der Linke die Einsetzung des ersten Bürgerrates dieser Wahlperiode zum Schwerpunkt „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“ beschlossen. Bürgerräte sollen dazu dienen, Perspektiven von Bürger:innen in die politische Debatte einzubringen und ihre Erwartungen, Vorstellungen und Forderungen an die politischen Akteure zu formulieren. Bürgerräte stärken unser parlamentarisches System und unsere Demokratie nachhaltig, weil bei Bürgerinnen und Bürgern ein Bewusstsein geschaffen wird, wie Demokratie funktioniert und wie demokratische Prozesse organisiert werden müssen. Dem Bürgerrat sollen 160 Personen angehören, die zufällig nach einem mehrstufigen, stratifizierenden Verfahren aus allen Menschen über 16 Jahren mit Erstwohnsitz in Deutschland ausgewählt werden. Unterstützt wird der Bürgerrat durch Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis. Ziel ist, einen möglichst umfassenden Überblick über Stand und Breite der Diskussion zu geben.

Bis zum 29. Februar 2024 soll der Bürgerrat seine Handlungsempfehlungen dem Bundestag in Form eines Bürgergutachtens vorlegen, das dann im Plenum und in den Fachausschüssen beraten werden soll. Es ist sehr schade, dass die Union nicht bereit war, gemeinsam mit den anderen demokratischen Fraktionen diesen Einsetzungsbeschluss zu tragen.

Sollten Sie Interesse daran haben, meine Fortschritte in dieser und weiteren Angelegenheit zu begleiten, kann ich Ihnen das Verfolgen meines zu jeder Sitzungswoche erscheinenden Newsletters empfehlen. Sie finden ihn unter folgendem Link: https://www.bernhard-daldrup.de/bundestag/update/

Ich hoffe Ihnen mit diesem Antwortschreiben die Position der SPD verständlich dargelegt zu haben. Sollten Sie darüber hinaus noch weitere Fragen oder Anregungen haben, zögern Sie nicht, mich über mein Team im Wahlkreis zu kontaktieren. Ich wünsche Ihnen außerdem alles Gute und bleiben Sie zuversichtlich,

Mit freundlichen Grüßen

Bernhard Daldrup

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