Frage an Carsten Sieling bezüglich Soziale Sicherung

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Carsten Sieling
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Frage von Mirko S. •

Frage an Carsten Sieling von Mirko S. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Carsten Sieling,

Sie behaupten in der Antwort auf Herrn Budach, das ein BGE die Gesellschaft spalten würde. Wie kommen Sie zu der Annahme, das ein BGE zu höherer Arbeitslosigkeit führen würde?

"1. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird insgesamt die Spaltung der Gesellschaft über den Erwerbsstatus forcieren, selbst wenn die Erwerbslosen mit einem ausreichend hohen Sozialeinkommen versorgt werden. Der Grund: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass mit einem solchen Grundeinkommen die Verweildauer in der Arbeitslosigkeit zunimmt."

Finden Sie, dass z.B. ehrenamtliches politisches Engagement, freie Initiativen, Erziehungs- und Familienarbeit weniger wertvoll für unsere Gesellschaft sind, als Erwerbsarbeit?

Wir leben im Imformationszeitalter. Wenn jemand forschen will oder ein Unternehmen gründen, braucht er Geld. Wer arbeiten will braucht Geld. Würde er kein Geld bekommen, könnte er nicht für andere arbeiten, sondern müsste wieder Selbstversorger werden. Wie kommen Sie darauf, dass eine lebenslange Investition in den Souverän sich nicht auszahlen würde?

Muss man nicht, wenn man Demokratie zu Ende denkt, auch für ein Grundeinkommen sein, da es jedem Bürger erst eine echte Souveränität ermöglicht, durch zumindest eine lebenslange Garantie, nicht materiellen Nöte erleiden zu müssen, um frei zum Handeln zu sein?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Schüler,

vielen Dank für Ihre Frage auf Abgeordnetenwatch.
In meiner Antwort an Herrn B. habe ich nicht behauptet, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen die Arbeitslosigkeit erhöhen würde. Vielmehr befürchte ich, dass die Verweildauer der Arbeitslosen in der Arbeitslosigkeit mit einem bedingungslosen Grundeinkommen steigt.
Ich will Ihnen das gern näher begründen: nur auf den ersten Blick böte für Erwerbslose ein Grundeinkommen Vorteile, weil es im Gegensatz zum Arbeitslosengeld II an keinerlei Bedingungen geknüpft wäre und weil erwartet wird, dass es höher als dieses liegen würde. Zumindest die empirische Evidenz ist aber überwältigend, dass längere Auszeiten von Erwerbstätigkeit die Erwerbsfähigkeit drastisch reduziert.

Nur zwei Punkte: Absolventen müssen nach Abschluss ihrer Ausbildung bzw. ihres Studiums rasch in das Erwerbsleben integriert werden, weil sonst ihre Qualifikation an Wert verliert. Langzeitarbeitslose sind auch dann nur schwer in das Erwerbsleben zu integrieren, wenn sie über gute Qualifikationen verfügen.

Die Verweildauer in der Arbeitslosigkeit wird aber nicht nur deshalb zunehmen, weil sich Erwerbslose in ihrer Arbeitslosigkeit einrichten könnten. Auch die sozialstaatlichen Stellen könnten sich nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens an die Arbeitslosigkeit der Erwerbslosen gewöhnen – und sich mit ihr abfinden, da sie ja mit ausreichendem Einkommen versorgt sind. Eine aktive Förderung von Erwerbslosen, damit sie wieder erfolgreich auf den Arbeitsmärkten sein können, ist unter diesen Bedingungen eher unwahrscheinlich – zumal dann, wenn der Förderbedarf hoch, die erwartbaren Erwerbseinkommen aber niedrig sind.

Diese Argumente legen natürlich die -und auch meine- Annahme zugrunde, dass die Bundesrepublik auch in absehbarer Zeit eine Arbeitsgesellschaft ist und sein wird, dass also Erwerbsarbeit maßgeblich über die gesellschaftliche Zugehörigkeit und die Lebens- und Beteiligungschancen der Menschen entscheidet.

Sie führen nun an, dass die lebenslange Garantie, nicht materielle Nöte erleiden zu müssen, erst freies Handeln und Entscheiden ermöglicht: zwischen Erwerbsarbeit und Selbstversorgung bzw. ehrenamtlichem Engagement.

Ich bin nicht dieser Meinung. Vielmehr wird bei dieser Argumentation die Bedeutung der Erwerbsarbeit auf ihre materielle Komponente verkürzt. Was ist mit den Menschen, die sich vom Beruf, durch seine Gestaltungsmöglichkeiten, durch die sozialen Netze und durch die gesellschaftliche Anerkennung mehr als nur ein gesichertes Arbeitseinkommen erwarten?

Sie halten hier womöglich entgegen, dass doch auch politisches und bürgerschaftliches Engagement all die Möglichkeiten bereitstellt, die im Beruf eine Rolle spielen können. Die empirischen Befunde sind aber auch hier anders: Die Bereitschaft zu ehrenamtlichen und politischen Engagement korreliert stark mit der Position in der Arbeitswelt.

Zugespitzt: Bei vielen Paaren kann sich ein bedingungsloses Grundeinkommen wie eine üppig ausgestattete "Herd- Prämie" auswirken, wie sie die CSU eingebracht hat. Es bestünde ja keine Notwendigkeit mehr, dass die Gesellschaft Familien ergänzende Einrichtungen anbietet und Männer Aufgaben in der Familie übernehmen. Die bestehende Geschlechterordnung würde nicht nur nicht verändert, sondern ein dramatisches Rollback erfahren. Ich will das nicht.

Zusammengefasst: Für mich darf ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht den „Ausstieg aus der Arbeitsgesellschaft“ einleiten. Direkt oder durch die Hintertür.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Carsten Sieling MdB