Frage an Cem Özdemir bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Cem Özdemir
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Hany E. •

Frage an Cem Özdemir von Hany E. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Özdemir,

wir ÄgypterInnen in Deutschland haben aus der Presse erfahren, dass dieBundeskanzlerin und der Wirtschaftsminister den Führer des Militärputsches in Ägypten El Sisi zum Staatsbesuch in Deutschland einluden.

Im Namen der DÄUD –Deutsch Ägyptischen Union für Demokratie- möchten wir einem solchen Staatsbesuch gänzlich widersprechen. Die Einladung kommt zu einer Zeit fortwährender Repressionen, Einschränkungen der Pressefreiheit, tagtäglicher willkürlicher Verhaftungen,Massenverurteilungen zum Tode, Tötungen auf der Straße und an Universitäten, sowie, Folter, sexueller Übergriffe, Vergewaltigungen durch Sicherheitskräfte gegen Bürger, die sich mit friedlichen Protesten gegen das Militärregime auflehnen. Die Führer des Militärputsches sind in europäischen Gerichtshöfen wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Offizielle Berichte von Human Rights Watch (HRW) belegen und dokumentieren die Ausschreitungen. Die ägyptische Justiz ist zu einem Werkzeug der Putschbehörden geworden, welches es ermöglicht, Zivilisten aller Lager zu unterdrücken, zu inhaftieren und zutöten. Wir ÄgypterInnen in Deutschland befürworten die Ägyptische Revolution des 25. Januar 2011, schätzen die bisherige Haltung der Bundesregierung, gegen den Militärputsch, die sich zum Bespiel in einem Stopp der Waffenlieferung und einer öffentlichen Missbilligung äußerte. Die drastische Änderung der Haltung der Bundesregierung und ihrer Beziehungen zum Militär Ägyptens ist uns gänzlich unverständlich. Wir erwarten von Ihnen die Verteidigung der demokratischen und freiheitlichen Werte, die im deutschen Grundgesetz verankert sind. Wir erwarten eine gewisse Konsistenz und Kohärenz in dem Umgang mit Menschenrechten.

1- Wie positionieren sich die Grünen zu dem Wandel? Wie positionieren Sie sich persönlich zu der bisherigen Haltung?

2- Wie erklären Sie die Widersprüchlichkeit der Bundesregierung in dem Umgang mit Diktaturen?

DÄUD
Dr. Hany Elgendy

Pr@icega.org

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Dr. Elgendy,

wir haben den Staatsbesuch des ägyptischen Präsidenten al-Sisi in Deutschland im Juni dieses Jahres mit großer Sorge beobachtet und die Bundesregierung dafür deutlich kritisiert.

Am Vorabend des Besuchs hat unsere Bundestagsfraktion ein Fachgespräch zum Thema „Stabilität versus Menschenrechte in Ägypten“ veranstaltet und so öffentlichkeitswirksam Raum für die Kritik am Staatsbesuch geschaffen. Auf dem Podium saßen Ruth Jüttner von Amnesty International und Mohamed Sameh von der Egyptian Commission for Rights and Freedoms. Eine Videoaufzeichnung finden Sie hier: http://www.gruene-bundestag.de/themen/internationale-politik/stabilitaet-versus-menschenrechte-in-aegypten_ID_4395577.html.

Besonders betroffen waren wir, dass der prominente Bürgerrechtler Mohamed Lotfy, Exekutivdirektor der Egyptian Commission for Rights and Freedoms (ECRF), den wir als Referenten eingeladen hatten, von ägyptischen Sicherheitskräften am Flughafen in Kairo an der Abreise gehindert wurde ( http://www.gruene-bundestag.de/presse/pressemitteilungen/2015/juni/aegypten-ohrfeige-fuer-die-bundesregierung-von-praesident-al-sisi_ID_4395567.html ).
Unsere Befürchtung, dass bei dem Staatsbesuch von Präsident al-Sisi die Themen Menschenrechte und Demokratie bestenfalls zweitrangig sein würden, wurde dann auch in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage meiner Fraktionskollegin Franziska Brantner bestätigt: Präsident al-Sisi habe während seines umstrittenen Staatsbesuchs in Berlin keine Zusagen für eine Verbesserung der Menschenrechtslage in seinem Land gemacht.

Wir befürchten, dass mit dem gleichen vermeintlichen Stabilitätsargument, mit dem verschiedene Bundesregierungen gute Beziehungen mit dem Mubarak-Regime unterhalten haben, auch heute wieder gute Beziehungen zum ägyptischen Präsidenten gepflegt und gerechtfertigt werden.

Unsere Kritik gegenüber der Bundesregierung, was ihre Ägypten-Politik betrifft, haben wir im November 2015 auch in einem Antrag klar formuliert:
„Das Beispiel Ägyptens zeigt, dass Repression nur zu Scheinstabilität führt. Präsident Al-Sisi betreibt seit seiner Machtübernahme eine Politik systematischer und brutaler Repression gegen alle Kräfte, die seiner Regierung und dem Militär mit Kritik begegnen. In den vergangenen zwei Jahren wurden Zehntausende inhaftiert, teilweise monatelang ohne Anklage festgehalten und mit Strafverfahren überzogen, unter ihnen tausende AnhängerInnen der Muslimbruderschaft, JournalistInnen, AnwältInnen und Oppositionelle. Folter und ungeklärte Todesfälle in Polizei- und Geheimdienstgewahrsam sind an der Tagesordnung. Gerichtsverfahren werden in Massenverfahren mit mehreren hundert Angeklagten abgehandelt, dabei wird auch wieder die Todesstrafe verhängt –allein in der ersten Jahreshälfte 2015 mindestens 233 Mal. Die Menschenrechtslage ist schlechter als unter dem Mubarak-Regime, und die Abhaltung von freien Wahlen wurde immer wieder verschoben. Diese Politik der Unterdrückung statt Beteiligung Aller führt zu einer Radikalisierung weiterer Teile der Gesellschaft, die wiederum zur Rechtfertigung der Repression herangezogen wird. Die mangelnde soziale Gerechtigkeit und die fehlende Beteiligung von Frauen verstärken diese Tendenzen zusätzlich. (…) Die Politik der Bundesregierung gegenüber der Region ist ambivalent und inkonsistent. Einerseits bemüht sie sich mit den libyschen Konfliktparteien um eine diplomatische Lösung am Runden Tisch. Andererseits lädt sie den autoritären ägyptischen Präsidenten al-Sisi nach Berlin zum Abschluss gemeinsamer Wirtschafts-Deals ein. Vor allem aber liefert sie nach wie vor Waffen und Rüstungsgüter in die Region. Sie fällt damit zurück in das alte Verständnis von Stabilität, das sich als trügerisch und falsch erwiesen hat.“ ( http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/065/1806551.pdf )

Auch auf unserem Bundesparteitag Ende November haben wir die Politik der Bundesregierung gegenüber Ägypten deutlich kritisiert:
„Bisher setzen EU und Bundesregierung im Angesicht von Krisen und Umbruchsprozessen (…) auf plakative und kurzsichtige Politik. In Ägypten beispielsweise unterstützen die Bundesregierung und viele andere europäische Staaten unter der Maßgabe der Stabilität nach einem kurzen demokratischen Aufbruch das autoritäre Regime Al-Sisis, dessen Politik radikalen IslamistInnen den Nachwuchs in die Arme treibt.“ ( https://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/BDK_2015_Halle/BDK15_E-07-09_Fluchtursachen_angehen.pdf ).

Natürlich ist es richtig und sogar wichtig, dass die Bundesregierung prinzipiell den Dialog auch mit schwierigen Regierungen sucht. Nur dann werden wir politische Lösungen für Konflikte, wie aktuell in Syrien, oder ambitionierte internationale Klimaschutzziele, wie gerade auf dem Pariser Gipfel beschlossen, erreichen können. Die Frage ist jedoch, in welchem Rahmen der Dialog stattfindet und ob man bereit ist, auch unbequemen Fragen ausreichend Raum zu geben, klare Kritik zu formulieren und gegebenenfalls auch politische Druckmittel wie Sanktionen einzusetzen. Im Falle Ägyptens lässt die Bundesregierung einen solchen Ansatz klar vermissen. Die Bundesregierung sollte von Al-Sisi Demokratisierung und Wahrung der Menschenrechte einfordern, anstatt einseitig auf Wirtschaftsdeals zu setzen.

Mit freundlichen Grüßen
Cem Özdemir

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