Frage an Claudia Roth von Patrick D. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Roth,
heute hat Frankreich ein Gesetz verabschiedet, welches Franzosen untersagt, den Völkermord an den Armeniern zu leugnen und bei Missachtung unter Strafe zu stellen!
Ich finde diesen Schritt absolut richtig und in meinen Augen ist es wichtig, dass in Deutschland genau der gleiche Schritt getan wird, denn gerade unser Land sollte aus dem geschichtlichen Kontext heraus das Leugnen von Völkermorden genauso unter Strafe stellen!!!!!
Wie sehen Sie das? Denken, dass Ihre Partei sich für den gleichen Gesetzesentwurf im Bundestag stark machen kann?
Sehr geehrter Herr Dahm,
Die neue Initiative im französischen Parlament ist eine wahlkampfbedingte und innenpolitisch motivierte Farce. Bereits im Januar 2001 hat das französische Parlament offiziell den armenischen Völkermord als solchen anerkannt. Fünf Jahre später scheiterte ein Gesetzesentwurf, der die Leugnung des Genozids strafbar machen wollte, unter anderem am Widerstand des damaligen Präsidenten Chirac. Sarkozy holte das Thema im Zuge seines Wahlkampfs wieder hervor, um es auch gleich wieder fallen zu lassen. Mit der neuen Wiedervorlage will er keinen seriösen Beitrag zur nötigen Aufarbeitung leisten, sondern die Opfer des Massakers zur bloßen Staffage für eine populistische Wahlkampfmobilisierung machen. Das Thema "Verbrechen an Armeniern" und die offene Aufarbeitung der dunklen Kapitel der türkischen Geschichte stehen für uns und vor allem auch persönlich für Claudia Roth bereits seit Mitte der 90er Jahre auf der Agenda. Wir sind der Meinung, dass es sich bei diesen Verbrechen um einen Völkermord handelt, der entsprechend der Definition der UN-Konvention gegen Völkermord von 1948 auch so bezeichnet werden muss. In der Debatte um die Aufarbeitung der türkischen Geschichte geht es uns nicht einfach um ein Schuldeingeständnis der türkischen Seite, sondern darum, mit Tabus und Tabuisierungen in der Türkei, in der offiziellen türkischen Geschichtsschreibung und im türkischen Bildungssystem endlich zu brechen. Es muss möglich sein, offen über all diese Themen in der Türkei sprechen zu können, ohne sofort die Justiz am Hals zu haben. Bezüglich dieser Positionen war der von türkischen Ultranationalisten ermordete armenische Journalist und Schriftsteller Hrant Dink ein enger Freund und Ratgeber von uns. Sein Anliegen, das nun sein Vermächtnis geworden ist, war es, alles zu tun, damit die Diskussion um dieses Thema und die Aufarbeitung der türkischen Geschichte zu einer innertürkischen Angelegenheit wird. Als außenpolitische Akteure bleiben wir in unserer Türkei-Politik diesem Motto von Hrant Dink treu. Wir sind dagegen, diese Debatte und das Thema Völkermord zu instrumentalisieren, um andere politische Ziele zu erreichen, wie zum Beispiel die Türkei aus der EU herauszuhalten. Das Schüren von anti-türkischen oder gar antimuslimischen Ressentiments in Europa ist falsch und gefährlich, genau so wie der Versuch, die Türkei bzw. Menschen aus der Türkei rassistisch zu diskriminieren. Parlamentsinitiativen und Resolutionen, die nur einen Verurteilungsansatz in den Vordergrund stellen und die Debatten mit strafrechtlichen Maßnahmen einengen wollen, sind auf ihre politische Wirkung hin zu hinterfragen. Uns liegt es daran, alles zu tun, um eine breite demokratische Debatten- und Diskussionskultur in der Türkei etablieren und dadurch auch einen glaubwürdigen Beitrag zur Versöhnung und Frieden in der Region leisten zu können. Der französische Gesetzentwurf leistet keinen positiven Beitrag dazu. Er ist für uns nicht nachahmenswert.
Mit freundlichen Grüßen
Das Mitarbeiter-Team im Bundestagsbüro