Frage an Elvan Korkmaz-Emre bezüglich Recht

Elvan Korkmaz-Emre
Elvan Korkmaz-Emre
SPD
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Frage von Eva-Maria und Hans D. •

Frage an Elvan Korkmaz-Emre von Eva-Maria und Hans D. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Korkmaz,

bei all den Feierlichkeiten, die es bisher zum 70. Jahrestag des Grundgesetzes gab, wurde jedoch vergessen, dass es in ganz wesentlichen Teilen noch nicht umgesetzt wurde. So gibt es zum Beispiel noch immer keine unabhängige Justiz. Der Richter Norbert Schlepp hatte dazu vor Jahren schon einen lesenswerten Aufsatz geschrieben ( http://www.dominik-storr.de/00-downloads/2008-zfdd-1-unabhaengige-justiz.pdf ). Und nun hat der EuGH Ende Mai aufgrund dieser Tatsache geurteilt, dass deutsche Staatsanwälte keinen europäischen Haftbefehl ausstellen dürfen ( https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/nach-eugh-urteil-drb-fuer-abschaffung-der-weisungsbefugnis-der-justizminister-an-staatsanwaelte ).

Wer jedoch bisher in diesem Staat auf die fehlende Unabhängigkeit hingewiesen hatte, der wurde schnell mit dem Vorwurf diffamiert, einer Verschwörungstheorie anzuhängen.

Der DRB-Vorsitzende, Herr Gnisa, nahm im Übrigen das EuGH-Urteil zum Anlass, die "jahrelange Blockadehaltung der Politik" zu beklagen und fordert deshalb "die Abschaffung des Weisungsrechts der Justizminister im Einzelfall an Staatsanwälte". Außerdem sagte er: "Es sollte für Deutschland zum Selbstverständnis gehören, europäische Justizstandards einzuhalten."

Unsere Fragen: Warum hat die SPD bisher noch keine Initiative ergriffen, das Grundgesetz auch in diesem Punkt umzusetzen? Und wann wird sie sich endlich dafür einsetzen?

Für die Beantwortung unserer Fragen bedanken wir uns im Voraus!

Mit freundlichen Grüßen

E. u. H. D.

Elvan Korkmaz-Emre
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Dietrich, sehr geehrter Herr Dietrich,
vielen Dank für Ihre Anfrage - sie betrifft in der Tat einen komplexen
Sachverhalt und die wichtige Frage nach dem Verhältnis zwischen der
formellen Funktionsweise demokratischer Institutionen und der
politischen Kultur, die hierin praktiziert wird. Deshalb gestatten Sie
mir auch die längere Beantwortungsfrist.
Von Verschwörungstheorie ist nicht zu sprechen - die Weisungsbefugnis
gegenüber Staatsanwälten ist keineswegs tabuisiert, sondern wird ja
öffentlich diskutiert; nicht zuletzt in einzelnen Fachverbänden. Das
EuGH-Urteil ist hinlänglich bekannt.
Dieses Urteil, darauf möchte ich aber hinweisen, repräsentiert genauso
ein politisches Wollen, indem es sich auf Recht bezieht, das ja nicht
unabhängig entsteht, sondern auch eine politische Meinung abbildet. Das,
was Sie in den Worten von Herrn Gnisa als "Blockadehaltung" markieren,
ist also erstmal nichts anderes, als eine gleichsam politische Meinung.
Nur weil hier ein Richter spricht, ist dieser Ausspruch - weil er sich
auf eine politische Meinung bezieht und damit selbst politisch ist -
keineswegs höher zu bewerten, oder etwa ,neutraler' als die Äußerung
eines Politikers oder Journalisten, wenn er sich zu politischen Dingen
äußert.
Dass die Position, die Sie also (mittelbar) einnehmen, indem sie sich
auf Herrn Gnisa berufen, eine der politischen Streitkultur in unserem
Land angemessene und diskutable Alternative zur existierenden
Funktionsweise der Institutionen ist, möchte ich damit aber nicht in
Abrede stellen.
Inwiefern Ihre Auffassung auch verfassungsrechtlich legitimiert ist,
möchte ich an dieser Stelle nicht diskutieren. Ein von Ihnen
angenommener Widerspruch in der Systematik oder zwischen der Rechtslage
und der Rechtspraxis liegt hier jedoch insofern nicht vor, als dass die
Staatsanwälte de jure Teil der Exekutive sind und nicht Teil der
Judikative. Anders verhält es sich natürlich mit dem Richteramt, das als
Teil der Judikative die "Dritte Gewalt" repräsentiert, und damit
unabhängig von jeder politischen Einflussnahme sein soll. Dagegen ist
die Exekutive jedoch der parlamentarischen Kontrolle unterstellt. Die
Weisungsbefugnis des Ministers ist Ausdruck dieser Kontrollfunktion. Im
Gegenzug trägt auch der Minister die politische Verantwortung für die
Handlungen der Staatsanwälte. Auch das kann man - wie gesagt: aus
politischen Gründen - für falsch halten. Ich verstehe auch gut, dass
diese Hierarchie auf den ersten Blick problematisch erscheinen muss. Wir
identifizieren alle die Justiz zunächst einmal mit Unabhängigkeit,
Neutralität, Gerechtigkeit usw. und die Politik mit Meinung, Strategie,
Interessen. Zur ganzen Wahrheit gehört aber, dass keine der beiden
Größen so simpel zu charakterisieren ist. Warum kann diese Verteilung
also trotzdem sinnvoll sein? Dazu kann man sich den Fall andersherum
legen: Man stelle sich vor, eine Staatsanwaltschaft unterlässt oder
erhebt eine Anklage aus bestimmten Motiven, kommt ihren Pflichten nicht
angemessen nach oder die Beurteilung dessen, was angemessen und richtig
ist, wäre einmal nicht ganz einfach herzuleiten. In diesem Fall erweist
es sich wohl als zuträglich, dass solche Fälle nicht von Einzelpersonen
oder beamteten Vorgesetzten, die derselben Profession zugehören,
bewertet werden, sondern hierfür eine Verantwortungskette existiert, die
sie in die öffentliche Diskussion heben. Der Fall, der etwa zum Anlass
von Herrn Gnisas Forderung wurde, bestätigt ja eindrücklich, dass
öffentlich über etwas verhandelt wurde, was ansonsten möglicherweise
keine Öffentlichkeit erhalten hätte. Der Minister untersteht immerhin
der parlamentarischen Kontrolle. Und hiermit ist die Weisungsbefugnis
vom Prinzip her demokratischer als die strikte Trennung, für die Sie
Position beziehen.
Zudem sollten wir die Praxis der politischen Kultur in die
Berücksichtigung nehmen. Die Weisung ist keineswegs ein häufig
eingesetztes Mittel. Immer, wenn es genutzt wurde, oder man vermutet
hat, dass es genutzt wurde, folgte eine große öffentliche Debatte. Auch
von diesem Standpunkt aus kann man also durchaus dafür argumentieren.
Damit geht man in der Tat das Risiko ein, dass - wie vom Richterbund
einst formuliert wurde - ,Der böse Schein nie verschwindet'. Dieser böse
Schein ist aber in Wirklichkeit die institutionelle Fixierung eines
demokratischen Zweifels, die Rückversicherung einer tatsächlichen
Kontrolle. Dieser Zweifel würde durch eine andere institutionelle
Funktionsweise verdeckt werden.
Damit sage ich nicht, dass die Abschaffung der Weisungsbefugnis nicht
unter bestimmten Umständen richtig sein kann - in der jetzigen
Situation, d.h. im Rahmen der derzeit herrschenden politischen Kultur,
überwiegen für mich jedoch die Gründe, um hiervon Abstand zu nehmen. Ich
hoffe, dass ich meine Position damit ausreichend erläutert habe. Mit
freundlichen Grüßen
Elvan Korkmaz