Frage an Eva Högl bezüglich Finanzen

Bundestagsabgeordnete für Berlin-Mitte
Eva Högl
SPD
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Frage von Michael T. •

Frage an Eva Högl von Michael T. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Dr. Hoegl,

vielen Dank für das sehr nette und informative Gespräch am heutigen Nachmittag vor dem Kreativhaus in Berlin-Mitte.

Zusammen mussten wir heute feststellen, dass viele Politiker nicht alle Einzelheiten der jetzigen Euro-Krise verstehen. Aus diesem Grund bitte ich Sie, den Entwurf des ESM-Vertragswerks, insbesondere Artikel 8, 9, 10, 17, 27 und 30, mit Ihren Kollegen noch einmal zu überprüfen. Die Befugnisse des Gouverneursrats werden werden meiner Meinung nach nicht ausreichend demokratisch legitimiert.

Im Urteil des BVerfG vom 07.09. wird bemerkt: "Artikel 1 Abs. 4 des Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes ist allerdings nur bei verfassungskonformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Vorschrift ist dahingehend auszulegen, dass die Bundesregierung vor Übernahme von Gewährleistungen im Sinne des Gesetzes verpflichtet ist, die vorherige Zustimmung des Haushaltsausschusses einzuholen."

Bis jetzt steht im Artikel 1 Abs. 4: "Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages ist darüber hinaus vierteljährlich über die übernommenen Gewährleistungen und die ordnungsgemäße Verwendung zu unterrichten."

Wie wollen sie das Urteil des BVerfG Ende Sept. im Bundestag umsetzen?

Ich bitte Sie auch, die Banken an den Risiken zu beteiligen, die sie aufgenommen haben. Wenn Banken im schlimmsten Fall pleite gehen, sollten die meisten Bürger durch die Einlagensicherung geschützt sein.

Die jetzige ESM-Konstruktion führt zu noch höheren Risiken. In unserem Gespräch habe ich als aktuelles Beispiel die einjährigen griechischen Staatsanleihen erwähnt: http://www.bloomberg.com/apps/quote?ticker=GGGB1YR:IND

Wie wollen Sie die Grenze zwischen Einlagensicherung und Beteiligung der Banken ziehen?

Von Ihren Antworten hängt der soziale Frieden in Europa ab. Zusammen mit meinen (Studien)-Freunden in Belgien, Griechenland, Frankreich und Spanien hoffe ich, dass Sie alles tun, um diesen sozialen Frieden wiederherzustellen.

Herzliche Grüße
Michael Tepper

Bundestagsabgeordnete für Berlin-Mitte
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Tepper,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 12.09.2011. Es freut mich sehr, dass Sie auch nach unserem Gespräch im Kreativhaus Mitte das spannende Thema der Euro-Krise weiter verfolgen.

In der Tat stellt sich im Zusammenhang mit dem im ESM-Vertragstext genannten Gouverneursrat die Frage nach dessen demokratischer Legitimation.
Der Vertragsentwurf sieht in seinem Artikel 5 die Entsendung eines Mitglieds des Gouverneursrates durch jedes ESM-Mitglied vor. Weiter muss das Mitglied des Gouverneursrates ein für Finanzen zuständiges Mitglied der Regierung sein. Regierungsmitglieder sind zwar nur mittelbar durch die Volksvertreter/-innen, dem Parlament, legitimiert. Allerdings gebietet die notwendige Handlungsfähigkeit des Beschlussgremiums des Gouverneursrates eine begrenzte Anzahl von Entscheidungsträgern/-innen.

Um jedoch dem Demokratieprinzip ausreichend Rechnung zu tragen, werden die im Rahmen des ESM beschlossenen Maßnahmen durch den Deutschen Bundestag zu genehmigen sein. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 07.09.2011 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Im kommenden Jahr wird die genaue Ausgestaltung der parlamentarischen Beteiligung im Rahmen des ESM Gegenstand der Beratungen im Bundestag sein. Als Mitglied des Europaausschusses werden ich mich für eine starke Einbeziehung des Bundestages bei der nationalstaatlichen Umsetzung der ESM-Maßnahmen einsetzen.

Was die Beteiligungsrechte des Parlaments im Rahmen zukünftiger europäischer Stabilisierungsmaßnahmen anbelangt, sieht das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (StabMechG) unter Einbeziehung des oben genannten Bundesverfassungsgerichtsurteils, folgende Beteiligungsformen des Bundestages vor:
- der Bundestag ist zu beteiligen, wenn EFSF-Entscheidungen zu einer Übernahme oder Veränderung von Gewährleistungen im Rahmen des StabMechG führen.
- im Übrigen reicht die Zustimmung des Haushaltsausschusses zur Änderung der Bedingungen laufender Programme aus.
- dem Haushaltsausschuss kommen darüber hinaus auch Informationsrechte zu operativen Entscheidungen des EFSF zu.

In unserem Finanzsystem darf es kein Risiko ohne Haftung geben: Gläubiger/-innen und damit auch die Banken müssen in größerem Umfang bereit sein, auf Forderungen zu verzichten. Vor allem im Fall Griechenlands fordert die SPD ebenso wie alle wirtschaftlichen Sachverständigen in Deutschland seit mehr als einem Jahr einen echten „Schuldenschnitt“, also den Verzicht auf einen Teil der Rückzahlung griechischer Staatsschulden, weil das Land nicht in der Lage sein wird, aus eigener Kraft diese Schulden zurück zu zahlen. Dieser „Schuldenschnitt“ braucht allerdings die Absicherung des jetzt geplanten EFSF, um die Folgewirkungen für Banken, Anleger und andere Staaten so gering wie möglich zu halten.

Daneben fordert die SPD weitere Maßnahmen zur Stabilisierung der Währungsunion:

1. Jeder Mitgliedsstaat des Euro-Währungsgebietes verpflichtet sich, eine Schuldenregelung einzuführen, die gewährleistet, dass die Neuverschuldung konsequent begrenzt wird. Sie ist jeweils anhand der Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes auszurichten.

2. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist zu verbessern und für die Mitglieder des Euro-Währungsgebiets zu verstärken. In einem gemeinsamen Währungsverbund müssen aufgrund der systemischen Risiken für die Stabilität der Währungszone insgesamt verbindlichere Regelungen gelten. Vor allem sind automatische Sanktionen für fortgesetzte Verstöße einzelner Euro-Mitgliedstaaten einzuführen, die ihren fiskalischen Verpflichtungen nicht nachkommen. Die EU-Kommission und der Rat haben in Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets zudem Strukturreformen einzufordern und zu unterstützen, die geeignet sind, die Wettbewerbsfähigkeit von Staaten, deren gesamtstaatliches Defizit die Regelungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes verletzt, wieder herzustellen und eine nachhaltige Reduzierung des Schuldenstands im Vergleich zum jeweiligen nationalen BIP bewirken.

3. Die Wachstumsstrategie „Europa 2020“ ist wesentlich konkreter auszugestalten und von den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament als „Wachstumspakt Europa“ verbindlich zu vereinbaren. Ziel muss die Förderung von Wachstum und Beschäftigung in den Mitgliedstaaten unter Erhaltung der Errungenschaften der sozialen Sicherungssysteme sein. Zu einer koordinierten Wirtschaftspolitik gehören außerdem europäische Mindeststandards: Flächendeckende Mindestlöhne orientiert am durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen im jeweiligen Mitgliedstaat sowie eine Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung mit einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer und Mindeststeuersätzen auf Kapitalerträge und Gewinne. Die Mittel, die aus dem Aufkommen einer Finanztransaktionssteuer zur Verfügung stehen, können bei der Investitionsfinanzierung helfen.

4. In Europa muss der Grundsatz gelten: Risiko und Haftung gehören zusammen. Die Sanierung eines überschuldeten Landes darf nicht einzig zu Lasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gehen. Die Gläubiger sind grundsätzlich dann an der Sanierung zu beteiligen, wenn die Gesamtverschuldung eines Staates so hoch ist, dass er sie dauerhaft nicht mehr aus eigener Kraft bedienen kann. Damit wird das Prinzip, das Risiko und Haftung in einer Hand liegen müssen, umgesetzt und eine effektive Gläubigerbeteiligung ohne negative systemische Wirkungen sichergestellt

5. Wir wollen die Finanzmärkte in ihre Schranken verweisen und dazu ihre Regulierung und Beaufsichtigung umfassend verbessern. Ausufernde Spekulation und die damit verbundenen Risiken für die Finanzmarktstabilität müssen wirksam begrenzt werden. Erforderlich ist ein Verbot schädlicher Finanzmarktgeschäfte mit Derivaten und Leerverkäufen sowie des spekulativen Handels mit Kreditausfallversicherungen. Emittenten von Kreditausfallversicherungen müssen diese künftig mit entsprechendem Eigenkapital unterlegen. Notwendig sind außerdem effektivere Mechanismen des Krisenmanagements. Im Fall einer Notmaßnahme müssen alle Kreditinstitute verpflichtet werden, den nationalen und europäischen Aufsichtsbehörden zu melden, in welcher Höhe sie Verbindlichkeiten halten und/ oder bei nationalen Notenbanken bzw. der EZB hinterlegt haben. Nur so ist für die Gemeinschaft der Euro-Staaten hinreichend Transparenz über das Ausmaß und die Tiefe notwendiger Rettungsmaßnahmen zu schaffen.
Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ist eine weitere und ganz entscheidende Maßnahme zur Stärkung der Finanzmarktstabilität. Sie macht kurzfristige und spekulative Finanzmarkttransaktionen unattraktiver und ist der effektivste Weg um die Finanzmarktakteure an den Krisenkosten zu beteiligen.

6. Es ist notwendig, in jede Gewähr von Nothilfemaßnahmen auch die nationalen Parlamente soweit als möglich einzubeziehen, damit die Funktionsfähigkeit und Effektivität der Stabilitätsmechanismen nicht gefährdet wird. Die regelmäßigen Informationen der Bundesregierung über Art und Fortgang der Maßnahmen müssen jedenfalls an den gesamten Deutschen Bundestag erfolgen. Im Übrigen ist der Bundesrat stärker mit einzubeziehen.

Ich hoffe, konnte Ihre Fragen zufriedenstellend beantworten.
Es würde mich sehr freuen, wenn man sich bei Gelegenheit wiedersieht. Kleiner Tipp: auf meiner Homepage können Sie meinen Europa-Newsletter bestellen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Eva Högl