Wie sehen Sie die Zukunft der Europäischen Union und deren Verteidigungsbereitschaft?
Sehr geehrter Herr de Masi. Ich bin froh das Europa sich endlich eigenen Zielen und Aufgaben zuwendet und diese nicht erst beim Amerikaner abgesegnet werden müssen. Was denken Sie über den Aufbau einer eigenen Europäischen Armee und deren Leitung durch alle Souveränen Ländern mit Speziallisierungsrichtung? Wichtig wäre mir auch der zukünftige Umgang mit Korruption und der Verantwortung aller betroffenen Politiker inklusive der EU Kommission?! Wenn die Europäer Ihr Land jemals verteidigen sollen , dann müsste diese auch einen Wert darin erkennen! Mit den Skandalen zur Zeit wäre niemand bereit dazu! Danke für ihre Zeit und Antwort.
Mit freundlichen Grüßen.

Sehr geehrter Herr L.,
Ich halte die massive Erhöhung der Rüstungsausgaben für nicht zielführend. Die Ausgaben der europäischen NATO-Staaten übertreffen jene Russlands um ein Vielfaches und das Ungleichgewicht ggü. der EU besteht vor allem bei den nuklearen Sprengköpfen (Russland 5000 vs Frankreich 290). Wir nehmen aber den Anreiz für nukleare Abrüstung, wenn wir das Übergewicht bei den konventionellen Streitkräften weiter erhöhen. Es ist nicht überzeugend, dass Russland NATO-Territorium angreifen würde.
Es existieren 32 NATO-Staaten mit 972 Mio. Einwohnern, einer Wirtschaftskraft von 45 Billionen US-Dollar und Militärausgaben von 1,5 Billionen US-Dollar gegenüber Russland mit 146 Millionen Einwohnern, einem BIP von 2 Billionen US-Dollar und Militärausgaben von 145 Milliarden US-Dollar.
Auch ohne die USA existiert ein Übergewicht. Ich empfehle dazu auch diesen Impuls von Sicherheitsexperten und ehemaligen Militärs:
https://www.stern.de/politik/deutschland/umgang-mit-russland--sicherheitsexperten-warnen-vor--alarmismus--35598792.html
Die massive Erhöhung der Rüstungsausgaben wird zu weiteren Korruptions- und Beschaffungsskandalen führen.
Eine vollständig integrierte europäische Armee erscheint mir nicht realistisch. Denn Frankreich und Deutschland haben zuweilen unterschiedliche Interessen. Frankreich sieht sich als ehemalige Kolonialmacht weiterhin als Ordnungsmacht in Nordafrika, während Deutschland versucht Absatzmärkte in Osteuropa zu erschließen. Hinzu kommt: Eine EU-Armee würde auch die parlamentarische Kontrolle von Armeen durch nationale Parlamente schwächen. Denn laut Grundgesetz muss der Bundestag vorab über die Entsendung deutscher Soldaten entscheiden. Laut Lissabon-Vertrag sollen die nationalen Parlamentsvorbehalte angepasst werden, um eine schnelle Entsendung von EU-Battlegroups Out of Area zu ermöglichen. Länder wie Spanien haben nach dem Irak-Krieg daher den Parlamentsvorbehalt gestärkt. Das EU-Parlament verfügt aber über keine gleichwertige Verankerung in der demokratischen Öffentlichkeit wie nationale Parlamente. Im Ergebnis würde die weitere Machtkonzentration in Brüssel eine "Wall Street Demokratie" wie in den USA befördern. Denn nur finanzstarke Parteien und Interessengruppen hätten die Ressourcen, um die politische Meinungsbildung im gesamten Kontinent zu beeinflussen.
Mit freundlichen Grüßen
Fabio De Masi