Frage an Gabriele Hiller-Ohm bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Gabriele Hiller-Ohm
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SPD
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Frage von Frank R. •

Frage an Gabriele Hiller-Ohm von Frank R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Hiller-Ohm,

die aufgeheizte Debatte um Herrn Sarrazin´s Thesen zur Einwanderungs- und Migrationssteuerung wird leider auch von Ihrer Partei nur emotional und nicht sachlich, konstruktiv geführt. Parteiausschlußverfahren zeigt die Betroffenheit einerseit und die Hilflosigkeit andererseits. Schade, denn DAS VOLK hat sich bereits entschieden und die VERTRETER DES VOLKES sollten frei nach Luther auch mal dem Volk auf´s Maul schauen und nicht dreschen.
Selbst Ihr Herr Drechsler hat gestern im Fernsehen den Mißerfolg der Politik der letzten 30 Jahre zugegeben und dass er Ihre Partei auf den Mißstand der ungesteuerten Einwaderung schon vor 20 Jahren ohne Erfolg hingewiesen habe......Er hat als positives Beispiel Israel hervorgehoben, wo ohne sechsmonatigem und bestandenen Sprachunterricht keine Transferleistungen gezahlt würden.
Fragen:
- Welche Veränderungen bezüglich einer schnellen und erfolgreichen Einwanderung/Migration und Vermeidung von Ghettobildungen in großen Städten befürworten Sie und welche Ihre Partei?
- Mit welchem Einwanderungsmodell z.B USA, Canada, Neuseeland, Israel, Dänemark könnten Sie sich anfreunden?

Für eine kurzfristige Antwort wäre ich Ihnen sehr verbunden.

MfG
Rochlitzer

Gabriele Hiller-Ohm
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Rochlitzer,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 2. September.

Die Bewertung der Äußerungen von Thilo Sarrazin ist ausgesprochen schwierig und für die SPD ist es alles andere alles leicht, über einen Parteiausschluss zu entscheiden. Von seinen Äußerungen zu genetischen Identitäten von Völkern, Ethnien oder Religionsgemeinschaften distanziert sich die SPD in jedem Fall.

Die Debatte um Thilo Sarrazins Äußerungen zeigt aber zugleich, wie viele Menschen in unserem Land das Thema Einwanderung und Integration von Migrantinnen und Migranten bewegt. Der Beschluss des SPD-Vorstands ist damit keine Absage an eine intensive Debatte über Integrationspolitik in unserem Land. Im Gegenteil: Die SPD hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit integrationspolitischen Fragen beschäftigt.

Dabei müssen auch unbequeme Wahrheiten angesprochen und angepackt werden. Wir haben zum Beispiel noch immer teils erhebliche Bildungs- und Sprachdefizite bei jungen Migrantinnen und Migranten in unserem Land. Das darf nicht so bleiben. Vor allem Deutschkenntnisse sind die Grundvoraussetzung für Integration. Sie müssen wir frühzeitig fördern und immer wieder konsequent einfordern. Auch deshalb haben wir dafür gesorgt, dass Integrationskurse und Deutschkurse für Einwanderer mittlerweile Pflicht sind.

Die SPD duldet auch keine Parallelgesellschaften und eine Abschottung von Bevölkerungsgruppen in unserem Land. Integration verlangt faire Chancen, aber auch klare Regeln. Unser Grundgesetz bietet Raum für kulturelle Vielfalt. Daher braucht niemand seine Herkunft zu verleugnen. Es setzt aber auch Grenzen, die niemand überschreiten darf, auch nicht unter Hinweis auf Tradition oder Religion. Integration ist immer ein Prozess, zu dessen Gelingen die Einwanderer sowie die sie aufnehmende Gesellschaft wechselseitig beitragen müssen. Und das meinen wir als Appell an uns alle. Es gibt noch viele Baustellen, an denen Bürger und Politik gemeinsam arbeiten müssen. Dafür wünschen wir uns die Mithilfe aller Menschen in unserem Land.

Zu Ihren konkreten Fragen:

Ein wesentlicher Punkt, für den sich die SPD-Bundestagsfraktion einsetzt, ist die Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse. Hier ist eine gesetzliche Regelung längst überfällig. Das hat auch eine Expertenanhörung Anfang Juli im Bundestag bestätigt. Die SPD hat die Bundesregierung aufgefordert, unverzüglich ein Anerkennungsgesetz auszuarbeiten. In diesem Gesetz muss der Anspruch auf ein Anerkennungsverfahren garantiert sein.

Bislang steht ein Zuwanderer, der ein Anerkennungsverfahren für seinen (ausländischen) Abschluss auf den Weg bringen will, vor oftmals unüberwindbaren, bürokratischen Hürden. Das ist unfair, unzumutbar und verhindert Integration. Nicht selten, dass eine Polin mit Hochschulabschluss in Deutschland als Reinigungskraft arbeiten muss, ein türkischer Ingenieur als Taxifahrer.

Die Bundesregierung hat bereits im Dezember 2009 zugegeben, dass einfache, transparente und nutzerfreundliche Verfahren zur Anerkennung der Abschlüsse fehlen – geschehen ist bis heute nichts. Entgegen der ursprünglichen Ankündigung hat die Bundesregierung keinen Gesetzentwurf für ein Anerkennungsgesetz vor der parlamentarischen Sommerpause eingebracht.

Der jetzige Zustand ist unhaltbar: Die Abschlüsse von ca. 500.000 zugewanderten Akademikern sind nicht anerkannt. Wenn diese Potenziale brachliegen, ist das einerseits für jeden Einzelnen unzumutbar, andererseits schadet das auch der deutschen Wirtschaft. Die zugewanderten Akademiker und Fachkräfte sind eine Bereicherung für unser Land, sie müssen endlich die faire Chance bekommen, ihre Fähigkeiten bei uns einzubringen.

Wir wollen zudem ein Punktesystem, vergleichbar wie in anderen klassischen Einwanderungsländern wie zum Beispiel Kanada, wonach Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bestimmte Kriterien erfüllen müssen, um einwandern zu können. Solange mit der Union ein modernes Zuwanderungskonzept, wie etwa das von der SPD vorgeschlagene gerechte und differenzierte Punktesystem, nicht machbar ist, muss der Fokus stärker auf Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung gelegt werden. Wichtig für die Integration von Kindern sind verpflichtende Sprachtests vor der Einschulung und geförderter Deutschunterricht.

Um „Ghettobildungen“ in großen Städten zu vermeiden, darf der Fokus nicht allein auf der Herkunft bzw. Ethnie der Menschen liegen. Die Wahl der Wohnlage hängt generell vor allem von der sozioökonomischen Lage bzw. dem Milieu ab. Die Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund sind durchschnittlich weniger gut situiert und auf preiswerten Wohnraum angewiesen. Leider verschärft die aktuelle Bundesregierung soziale Spaltungen in den Städten, indem sie beim Programm „Soziale Stadt“ und auch beim Stadtumbau massiv kürzt. Damit werden in Zukunft keine neuen Gebiete in die Förderung aufgenommen werden können, laufende Projekte müssen gestreckt oder abgebrochen werden. Das ist unverantwortlich.

Fest steht: Unsere Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund vernünftig zusammen leben. Dafür wird sich die SPD weiter einsetzen.

Mit freundlichen Grüßen

Gabriele Hiller-Ohm