Frage an Gerhard Schick bezüglich Wirtschaft

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Gerhard Schick
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Frage von Birgit M. •

Frage an Gerhard Schick von Birgit M. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Dr. Schick,

ich habe einige Fragen an Sie zur Europa Thematik, für die ich trotz intensiven Studiums aller Zeitungen und politischer Aussagen unserer Eliten keine Antwort finde:

1. Deutschland soll angeblich durch seinen Handelsbilanzüberschüsse massiv vom Euro profitiert haben. Ich kann das nicht sehen. Waren vielleicht die Profiteure nur Kapitalanlager und Unternehmer?
Die arbeitende Bevölkerung hat Realeinkommensverzichte hinnehmen müssen. Die Renten wurden mehrfach gekürzt, Alterteilzeitmodelle abgebaut, ich muss nun bis 66 arbeiten, während in vielen Südländern Frauen (teilweise auch Männer) mit 60 in Rente gehen dürfen. In zahlreichen Lebensbereichen haben sich die Preise seit 2002 verdoppelt. Die Grenzbelastung an Steuern und Abgaben liegt bei mittleren Einkommen inzwischen über 50%, eines der höchsten Sätze in ganz Europa (lt. OECD), man ist nicht bereit, die Progressionskurve zu senken oder die Beitragsbemessungrenzen in der Sozialversicherung á la Schweiz aufzuheben. Die Kommunen haben immer weniger Geld für ihre Aufgaben, Schwimmbäder werden geschlossen, Straßen und Schulen verkommen. usw..
Wo also ist der Vorteil für diejenigen, die nicht zur politischen und wirtschaftlichen Elite gehören?

2. Trifft es zu, dass die Exporterlöse der Industrie über das Anwachsen der Target2-Salden nicht durch die abnehmenden Importländer in der EU, sondern durch die Bundesbank beglichen wurden und in Falle eines EuroCrash auf die deutschen Steuerzahler umgewälzt werden müssen?
Welcher Vorteil des Euro bleibt unter Einbeziehung dieser Betrachtung überhaupt noch für den "Normalbürger" in Deutschland übrig?

3 . Ist das Eurosystem /Währungsunion unter Beibehaltung demokratischer Strukturen lebensfähig? Oder muss zu seiner Durchsetzung Demokratie beschnitten werden?

4. Warum hat Deutschland einen Anteil an Haftungsmechanismen (ESM EFSM; EBZ usw) von über 25%? Ist dies gerecht? Was wäre erforderlich, um diesen Anteil zu senken?

B. Mohr

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Sehr geehrte Frau Mohr,

vielen Dank für Ihre wichtigen Fragen, zu denen ich hiermit Stellung nehme.

1) Dass "Deutschland" insgesamt profitiert hat, heißt noch nicht, dass alle Menschen in Deutschland profitiert haben. Diese Unterscheidung ist wichtig. Als Exportland hat die deutsche Wirtschaft sicherlich überproportional vom gemeinsamen europäischen Binnenmarkt und der Währungsunion profitiert. 2011 lag der in die Eurozone ausgeführte Anteil aller Exporte bei 39% - allein deswegen ist wirtschaftliche Stabilität der Euroländer in unserem ureigensten Interesse. Durch die relative Unterbewertung des Euros im Vergleich zur D-Mark wird der Exporteffekt noch verstärkt. Allerdings beschreiben Sie gleichzeitig ein Phänomen, das auch wir Grünen sehr kritisch bewerten: Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit wurde in starkem Maße durch den Verzicht auf Lohnsteigerungen erreicht. Dies hat nicht nur die Schere zwischen Arm und Reich innerhalb Deutschlands vergrößert, sondern auch zu den vielfach als Krisenursacher thematisierten Handelsbilanzungleichgewichten beigetragen, da der Binnenkonsum schwach blieb. Deshalb haben viele Menschen in Deutschland von der Entwicklung der letzten Jahre nicht profitiert, sondern haben Einkommenrückgänge erlebt. Deshalb geht es zur Zeit auch um eine angemessene Verteilung innerhalb Deutschlands. Grüne Politik will vor diesem Hintergrund Kapitaleinkommen genauso zur Finanzierung der Gemeinwesens heranziehen wie Lohneinkommen und gleichermaßen der progressiv gestalteten Einkommenssteuer unterwerfen. Es ist nicht gerecht, dass, wie bei der Abgeltungssteuer der großen Koalition, Einkommen aus Finanzanlagen geringer besteuert werden als Arbeitseinkommen. Das wollen wir rückgängig machen. Darüber hinaus haben wir auf unserem Parteitag im November 2011 eine Vermögensabgabe zum Abbau der enormen Staatsverschuldung beschlossen. Über 10 Jahre sollen Millionäre 1,5 Prozent ihres Vermögens als Abgabe bezahlen, um die Schulden der Krise in Höhe von 100 Mrd. € abzubauen.

Wenn ´systemrelevante´ Banken über Nacht mit Steuergeldern gerettet werden und die Kommunen gleichzeitig Sozialleistungen kürzen gibt es auch in der konkreten Politik eine Schieflage, die wir ändern müssen. Ich setze mich daher für eine strikte und durchgreifende Regulierung der Finanzmärkte ein. Meine zentrale Forderung in diesem Bereich ist die Schaffung eines Europäischen Bankenrestrukturierungsfond, der – von den Banken und nicht von den SteuerzahlerInnen finanziert! – in Notlagen einspringen kann oder für die geordnete Abwicklung von Finanzinstituten sorgt.

2) Die Target2-Salden der Bundesbank sind Symptom der Kapitalflucht aus den Peripherieländern auf deutsche Konten und damit Folge der desaströsen Rettungspolitik der Bundesregierung. Sie haben nicht direkt etwas mit den Exporterlösen der Industrie zu tun, da in stabilen Zeiten das überschüssige Kapital in Deutschland wieder seinen Weg in Investitionen in den Peripherieländern fand und somit zu einem Ausgleich der Target2-Salden führte. Europäische Zentralbanken finanzieren hier keine Handelsbilanzdefizite, sie versorgen Geschäftsbanken lediglich mit ausreichend Liquidität gegen rediskontierte Sicherheiten. Man muss hierbei das Eurosystem als Ganzes betrachten.

Sollte es zu einem Zusammenbruch der Währungsunion kommen, müssen die Forderungen gegenüber anderen Zentralbanken tatsächlich abgeschrieben werden - allerdings erst nachdem hinterlegte Sicherheiten angemessen verwertet wurden. Hier ist aber wichtig zu bemerken, dass diese Ausfälle vom Eurosystem als Ganzes getragen werden und gemäß des Kapitalschlüssels dann von nationalen Zentralbanken absorbiert werden. Daher werden die nationalen Target2-Salden auch als Forderung gegenüber der EZB und nicht gegenüber anderen, im Extremfall möglicherweise nicht mehr solventen Zentralbanken gebucht. Sie stellen ein systeminternes Verrechnungssaldo dar, deren Summe qua Definition null ist und sind bei Fortbestand der Währungsunion irrelevant für die Risikobewertung einzelner Zentralbanken, die sich ausschließlich aus der Risikobewertung der EZB-Bilanz und der eigenen Aktivseite ergeben. Siehe dazu auch folgende Pressemitteilung der Bundesbank: http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/BBK/2011/2011_02_22_target2_salden_der_bundesbank.html

Über den EZB-Schlüssel verteilte Ausfälle würden selbstverständlich negativ auf die Bilanz der Bundesbank wirken. Nun ist die Bundesbank aber keine normale Bank, da sie Forderungen in Euro theoretisch unbegrenzt begleichen kann und so stets solvent bleibt. Allerdings wird die Bundesbank mittelfristig eine Bilanzsanierung durch Seignioragegewinne anstreben, um Vertrauen wiederherzustellen. Dies verringert die Auszahlungen der Gewinne an das Finanzministerium. So treffen Verluste - durch Euroaustritte und Bankinsolvenzen, nicht Target2-Salden - in der Tat indirekt den Steuerzahler.

3) Wie für Sie ist für uns die Frage der demokratischen Legitimation europäischer Politik entscheidend. Gerade in Zeiten der ökonomischen Krise darf die Demokratie nicht unter die Räder kommen. In den Verhandlungen mit der Bundesregierung haben wir uns für weitreichenende Beteiligungsrechte des Bundestages und des Europäischen Parlaments eingesetzt. Jeder Verlust von haushaltspolitischer Souveränität des Bundestags muss von den VertreterInnen der europäischen Bevölkerung im Europäischen Parlament übernommen werden – nicht von der EU-Kommission. Um die Beteiligungsrechte des Bundestages zu wahren, haben wir auch vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt und erst letzte Woche Recht bekommen. Demokratische Grundprinzipien gehören zu den konstituierenden Merkmalen der Europäischen Union, die wir verteidigen. Umso beunruhigender ist der Merkelsche Ansatz eines Europas der Exekutiven.

4) Der Anteil am EFSF und ESM - und damit auch die Stimmgewichtung und Einflussnahme! - beziehen sich auf den Kapitalschlüssel der Europäischen Zentralbank. Dieser wiederum setzt sich wie folgt zusammen (ich zitiere die Webseite der EZB): "Der Anteil der Nationalen Zentralbanken an diesem Kapital wird mithilfe eines Schlüssels berechnet, der dem Anteil des jeweiligen Landes an der Gesamtbevölkerung und dem Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union (EU) entspricht. Diese beiden Bestimmungsfaktoren werden bei der Berechnung gleich gewichtet. Die Kapitalanteile werden von der EZB alle fünf Jahre und immer dann angepasst, wenn ein neues Land der EU beitritt. Die Anpassung erfolgt auf der Grundlage von Daten, die von der Europäischen Kommission bereitgestellt werden."

Mit freundlichen Grüßen,
Gerhard Schick