Mutiert der Euro Ihrer Meinung nach zur Weichwährung - mit üblen Folgen? https://www.welt.de/finanzen/article233376871/Geldpolitik-Der-Euro-wird-zur-Weichwaehrung-mit-ueblen-Folgen.html

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Gerhard Zickenheiner
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Frage von Edgar F. •

Mutiert der Euro Ihrer Meinung nach zur Weichwährung - mit üblen Folgen? https://www.welt.de/finanzen/article233376871/Geldpolitik-Der-Euro-wird-zur-Weichwaehrung-mit-ueblen-Folgen.html

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr F.,

vielen Dank für Ihre Frage.

Dem Artikel möchte ich nicht widersprechen, denn es ist der Preis den wir zahlen für eine unvollständige Europäische Union. Wir, als EU-Mitgliedsstaaten, haben viele Kompetenzen von der nationalstaatlichen Ebene auf die EU-Ebene übertragen und sind so immer weiter zusammengewachsen (Vergemeinschaftung der Zollpolitik, der Handelspolitik, der Geldpolitik, etc.). Andere Kompetenzen sind auf nationalstaatlicher Ebene geblieben (Außenpolitik, Bildungspolitik, etc.).

So haben wir in der EU zwar die Geldpolitik mit dem Euro und der Europäischen Zentralbank zentralisiert, nicht aber die Fiskalpolitik (sprich Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik). Wenn die Staaten innerhalb eines Wirtschaftsraumes sich wirtschaftlich diametral verschieden entwickeln, dann kann die Geldpolitik nicht zu allen wirtschaftlichen Situationen passen. Mit dem Vertrag von Maastricht (auch „Vertrag über die Europäische Union") von 1992 haben die Gründerväter des Euro dies zu verhindern versucht in dem sie die sogenannten Maastricht-Kriterien einführten. Ein Staat sollte dem Euro nur beitreten können, wenn er folgende vier Kriterien zwei Jahre lang erfüllte:

  • ein stabiles Preisniveau
  • stabile langfristige Zinssätze
  • stabile Wechselkurse und
  • Obergrenzen für das öffentliche Defizit und den öffentlichen Schuldenstand.

Nun hat sich die Lage aber aufgrund einiger struktureller Faktoren und anderer aktuellerer Einschnitte wie der Coronapandemie, anders entwickelt und einige Länder können oder wollen die Maastrichtkriterien nicht mehr einhalten. Folglich entwickelten sich die Euroländer wirtschaftlich zu stark auseinander und brachten die Zentralbank in das oben erwähnte Dilemma. Der Streit ist dann letztes Jahr mit der in dem Artikel erwähnten Debatte um die gemeinsame Kreditaufnahme der EU-Länder („Schuldenuion“) und dem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts kulminiert. Solange wir das Projekt „EU“ nicht weiter vorantreiben zu einer politischen Union (wie die USA), werden wir auch künftig immer wieder vor solchen Debatten stehen. Auch eine unabhängige Zentralbank kann hier nicht der wirtschaftlichen Situation jeden Landes gerecht werden.

Um den Wirtschaftsraum der EU zu retten, hat man sich im vergangen Jahr dazu entschieden, viele der ordnungspolitischen Prinzipen aufzuheben. Diesem haben letztlich alle EU-Mitgliedsstaaten zugestimmt, denn das Risiko eines insolventen Italiens, Spaniens, etc. wollte man wirtschaftlich und solidarisch nicht eingehen. Dabei muss man sich immer bewusst machen, dass Deutschland zwar Nettozahler in das EU-Budget ist, aber durch den Absatzmarkt als Exportnation wirtschaftlich viel gewinnt. Es ist folglich auch in Deutschlands Interesse, dass die Länder Südeuropas solvent bleiben.

Das ist sicherlich nur ein Erklärungsansatz, könnte aber eventuell hilfreich sein um die politischen Hintergründe zu verstehen.