Frage an Gesine Lötzsch bezüglich Finanzen

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Gesine Lötzsch
DIE LINKE
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Frage von Philip S. •

Frage an Gesine Lötzsch von Philip S. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Lötzsch,

angesichts des sehr zweifelhaften Vorganges der sogenannten "Neuregelung des Bundesfinanzausgleiches" sollten sich ihnen als Politikerin der Linken die Nackenhaare aufstellen.
An dieser Stelle möchte ich lediglich mein Missfallen über dieses Vorhaben der Bundesregierung ausdrücken und gleichzeitig auf ihr Bestreben setzen, dieses zu verhindern.
Ich wähle links und werde das angesichts mangelnder Alternativen auch weiterhin tun und darum erwarte ich unter anderem von ihnen "links" zu handeln.

Vielen Dank!

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Schultz,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Erlauben Sie mir, diese aufgrund der Komplexität des Themas etwas ausführlicher zu beantworten. DIE LINKE steht für einen solidarischen Föderalismus. Das Grundprinzip der Solidarität der Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Bundesländer muss bestehen bleiben. Eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen sollte dem Auseinanderdriften der Regionen entgegenwirken und wirksam gleichwertige Lebensverhältnisse fördern. Wir begrüßen, dass die Bundesländer ab 2020 durch den Bund jährlich mit insgesamt 9,7 Mrd. Euro entlastet werden sollen. Dies ist deutlich mehr, als der Bund den Bundesländern ursprünglich zugestehen wollte. Die Wortführer eines „Ellenbogenföderalismus“ wurden ab-gewehrt.

Dennoch hat die Linke beide Gesetzentwürfe abgelehnt, da die Bundesregierung auch sehr problematische Änderungsvorschläge in das Gesamtpaket eingearbeitet hat. Das betrifft vor allem das Thema Verkehrsinfrastrukturgesellschaft – also die Absicht, die Autobahnen im Ergebnis zu privatisieren.

Die Gesetzentwürfe folgen der Logik der von uns abgelehnten Schuldenbremsenpolitik. Die negativen Folgen sollen insbesondere bei den Kommunen abgeladen werden (Stichwort: Investitionsstau). Der Bund will über den sogenannten Stabilitätsrat eine Art Troika für die Bundesländer einführen.

Bei der geplanten Verkehrsinfrastrukturgesellschaft haben sich die Versicherungen und Anlagefonds durchgesetzt, die sich über Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) fortlaufend jährliche Zusatzgewinne in Milliardenhöhe auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland verschaffen möchten. Es droht die faktische, kaum umkehrbare oder sogar unumkehrbare Privatisierung von Autobahnen und anderen Bundesstraßen. Wir fordern, dass die Einbeziehung Privater auf grundgesetzlicher Ebene untersagt werden muss. Die Verantwortung für die Daseinsvorsorge auch im Verkehrsinfrastrukturbereich soll ausschließlich bei der öffentlichen Hand liegen.

DIE LINKE begrüßt die Erhöhung des Kommunalinvestitionsförderungsfonds um 3,5 Mrd. Euro für bedeutsame Investitionen im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur. Diese Mittel können jedoch angesichts des bundesweiten Investitionsstaus von 34 Mrd. Euro allein im Bildungsbereich allenfalls als ein erster zaghafter Schritt aufgefasst werden. Überhaupt sieht DIE LINKE das finanzielle Engagement des Bundes mit einem Anteil von etwa 10 Prozent des Gesamtbildungsbudgets als viel zu gering an und fordert seit Jahren eine Aufhebung des Kooperationsverbotes im Bildungsbereich. Der Bund war es ja schließlich auch, der mit seiner Steuersenkungs- und Schuldenbremsenpolitik der vergangenen Jahre die Kommunen in die Lage gebracht hat, kaum noch aus eigener Anstrengung heraus Investitionen in die Bildungsinfrastruktur vornehmen zu können.

Wir kritisieren den Verteilungsschlüssel der Mittel für den Kommunalinvestitionsförderungs-fonds. Das Kriterium Kassenkreditbestände wird in diesem Zusammenhang von uns als nicht sachgerecht angesehen. Überaus kritisch sieht DIE LINKE den Artikel 7 des Begleitgesetzes, mit dem das „Kommunalinvestitionsförderungsgesetz“ geändert werden soll. In § 13 Absatz 2 sollen ÖPP als Finanzierungsvariante ermöglicht werden.

DIE LINKE begrüßt grundsätzlich das Vorhaben, über einen bundesweiten Portalverbund, über den die Bürgerinnen und Bürger auf die Online-Anwendungen der öffentlichen Verwaltung von Bund und Ländern zugreifen können, einzurichten. Der konkreten Umsetzung stehen wir jedoch skeptisch gegenüber, da offene Fragen hinsichtlich des effektiven Datenschutzes und der Unterstützung der Kommunen bei der Umsetzung bestehen.

DIE LINKE begrüßt die längst überfällig Ausweitung des Bezugs des Unterhaltsvorschusses bis zum 18. Lebensjahr und die gleichzeitige Abschaffung der Bezugsdauer von sechs Jahren. Beides sind Forderungen, deren Umsetzung die LINKE seit über zehn Jahren dem Parlament vorgeschlagen hat. Damit wird die besondere Belastungssituation alleinerziehender Elternteile gewürdigt, die überwiegend für längere Zeit fortdauert und mindestens bis zur Volljährigkeit des Kindes reicht.

DIE LINKE bedauert hingegen, dass wesentlich weniger Kinder als ursprünglich geplant an dem erweiterten Unterhaltsvorschuss werden partizipieren können, was unter anderem an der geplanten Einkommensuntergrenze von 600 Euro liegt. Hiermit wird erstmals die ganze Systematik des Unterhaltsvorschusses untergraben, indem zukünftig eine Leistung, die als Vorleistung für einen unterhaltspflichtigen Elternteil gewährt wird, von der Bedürftigkeit der Empfangenden abhängig gemacht werden soll.

Die vorliegenden Gesetzentwürfe enthalten keine Initiative, auf eine Anrechnung der Leistungen aus dem Unterhaltsvorschuss und des Kindergeldes auf die SGB II-Leistungen zu verzichten. DIE LINKE wird sich auch weiterhin für die Nichtanrechnungen dieser Leistungen einsetzen und damit auf eine Verbesserung der Situation der Alleinerziehenden im SGB II-Bezug hinwirken.

An der geplanten Novellierung kritisiert DIE LINKE zudem, dass die um zehn Prozent erhöhte finanzielle Beteiligung des Bundes am erweiterten Unterhaltsvorschuss bei weitem nicht ausreicht, die Belastungen auszugleichen, die auf die Kommunen zukommen. Beispielhaft sei hier die kreisfreie Stadt Eisenach angeführt. Eine Simulationsrechnung hat ergeben, dass die Stadt mit einer Fallzahlzunahme von etwa 61 Prozent und einer erhöhten finanziellen Mehrbelastung von 66,7 Prozent durch die Ausweitung des Kreises der Berechtigten rechnet. Nicht berücksichtigt sind hierbei noch die Kosten zusätzlichen Personals für die Bearbeitung der Anträge neuer Leistungsberechtigter, die von der Stadt vollständig selbst getragen werden müssen.

Mit der von DIE LINKE vorgeschlagenen Änderung von Artikel 90 Absatz 2 Satz 5 Grund-gesetz sollen ÖPP insbesondere auch im Autobahnbau ausgeschlossen werden. Dies soll so-wohl für Streckennetze, Teile von Streckennetzen und einzelne Strecken sowie Teilstrecken gelten. Insbesondere gegen umfangreiche funktionale Privatisierungen durch Einrichtung von Teil-netz-bezogenen ÖPP- und Konzessionsgesellschaften besteht aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer in besonderem Maße das Erfordernis grundgesetzlicher Schutzmechanismen. Bei einer sehr weitreichenden funktionalen Privatisierung – insbesondere durch Teilnetz-ÖPP und Teilnetz-bezogene Konzessionslösungen – würden erhebliche negative Folgen für die Nutzerinnen und Nutzer, Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, den Staat drohen. Das französische Beispiel der Autobahnkonzessionierung zeigt, dass die Kosten für die Nutzerinnen und Nutzer deutlich steigen können – in Frankreich in den zehn Jahren nach der Konzessionierung um über 20 Prozent, dass die Dividendenausschüttung an die Investoren im Mittelpunkt steht und dass die Politik umfangreich an Einfluss verliert, dass der öffentlichen Hand wichtiges Knowhow dauerhaft verloren geht und dass der Staat seine fiskalische Flexibilität verliert. Bei Erweiterung und Modernisierung des Netzes drohen zudem staatliche Ausgleichzahlungen an den Privaten, wenn betriebswirtschaftlich wenig rentable Vorhaben, die aber einen hohen gesamtwirtschaftlichen Nutzen aufweisen, umgesetzt werden sollen.

Mit einem weiteren Änderungsantrag will DIE LINKE erreichen, dass die Mittel aus dem gemäß Artikel 104c Grundgesetz errichteten Kommunalinvestitionsförderungsfonds nicht für Investitionen in Schulen genutzt werden dürfen, die in Form von ÖPP erbracht werden. ÖPPs erweisen sich regelmäßig als wesentlich teurer als die von Kommunen in Eigenregie betriebenen Baumaßnahmen. So fallen etwa die Kosten des Landkreises Offenbach, der Sanierung und Betrieb von 90 Schulen an die Konzerne Hochtief und SKE übertrug, fast doppelt so hoch aus als zu Beginn der ÖPP behauptet wurde. Die höheren Kosten der ÖPPs verringern die öffentlichen Mittel, die für Sanierung, Neu- und Ausbau von Schulen zur Verfügung stehen. Während Steuergelder private Renditen päppeln, wächst der bereits jetzt auf 34 Milliarden Euro geschätzte Investitionsstau im Schulbereich künftig weiter an. Über ÖPPs werden öffentliche Schulden in Schattenhaushalten versteckt. Sie schönen kurzfristig die öffentlichen Haushalte, langfristig aber vergrößern sie das Problem der öffentlichen Verschuldung. Da sich die privaten Betreiber auf das Betriebsgeheimnis und Gewinngarantien berufen, verlieren die Kommunen Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten. Der Betreiberwechsel von den Kommunen zu privaten Gesellschaften gefährdet zudem die tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, etwa von Hausmeisterinnen und Hausmeistern, Küchen- und Reinigungs-personal. Außerdem werden ÖPPs auf Finanzmärkten gehandelt. Betreiberfirmen wie Hochtief oder Bilfinger verkauften bereits zahlreiche deutsche Schul-ÖPPs an Investmentfonds. Die Renditen der Fonds speisen sich somit aus Steuergeldern, die ursprünglich dem Schulbau gewidmet waren.

Ihre Kritik teile ich daher und bedanke mich für Ihr Interesse an meiner Arbeit.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Gesine Lötzsch

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