Frage an Hildegard Scheu bezüglich Soziale Sicherung

Hildegard Scheu
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Harald M. •

Frage an Hildegard Scheu von Harald M. bezüglich Soziale Sicherung

Guten Tag Frau Dr. Scheu,

seit Jahren bin ich Stammwähler der Grünen. Für die anstehende Bundestagswahl fällt es mir jedoch sehr schwer, auch dieses Mal die Grünen zu wählen. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Grünen sich genau wie die SPD für die Bürgerversicherung ausgesprochen haben. Dabei ist doch offensichtlich, dass dies nicht funktionieren wird - sehen Sie dazu einfach mal in das Nachbarland Schweiz. Darüberhinaus stellt sich mir als privat versicherter natürlich auch die Frage, was mit all den Alterrückstellungen, die die privaten Krankenkassen gebildet haben, geschehen soll. Sollen diese in "den großen Topf der Bürgerversicherung" wandern? Dies wäre meiner Auffassung nach eine Enteignung! Akzeptabel ist das für mich in keinster Weise!!! Wie stehen Sie persönlich dazu?
Ich werde das Gefühl nicht los, dass die GKV auf diesen beträchtlichen Betrag der Altersrückstellungen "scharf ist"; das vor dem Hintergrund, dass die Sozialkassen aktuell gefüllt sind ist noch unverständlicher.

Mit besten Grüßen in Erwartung einer Antwort

Harald Möller

Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Guten Tag Herr Möller,

Vielen Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse.

Ich möchte vorausschicken, dass mein Mann und ich beide Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sind, obwohl wir als Selbständige die Möglichkeit gehabt hätten, zu einer Privatversicherung zu wechseln. Wir halten das Prinzip der Solidargemeinschaft für richtig und sind davon überzeugt, dass das jetzige Krankenversicherungssystem zu teuer ist für das, was es für die Menschen in Deutschland leistet und dass es außerdem ungerecht ist. Ich bin überzeugt, dass die Bürgerversicherung die Chance zum Gegensteuern bietet und sowohl zu einem leistungsfähigeren als auch gerechteren Gesundheitswesen beitragen kann.

Nach aktuellen Untersuchungen der OECD über die industrialisierten Länder gehören wir zu den Industrieländern mit dem teuersten Gesundheitssystem (Platz 4 nach dem Anteil am Bruttosozialprodukt), stehen aber bei Messgrößen für die Gesundheit wie beispielsweise der durchschnittlichen Lebenserwartung im Tabellenkeller (Platz 20 von 27). Länder wie Spanien und Italien beispielsweise kommen unter die Top 5 bei der Lebenserwartung bei unterdurchschnittlichen Gesundheitsausgaben. Die von Ihnen als Negativbeispiel genannte Schweiz hat ein fast so teures Gesundheitssystem wie wir, kann dafür aber auch den Spitzenplatz bei der Lebenserwartung und auch sonst sehr gute Positionierungen bei Messgrößen für die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems aufweisen. Das Land mit der größten Ungleichheit im Gesundheitssystem belegt mit weitem Abstand den ersten Platz bei den Kosten und hat die geringste durchschnittliche Lebenserwartung unter allen Industrienationen. Es handelt sich um die USA. Wenn wir dagegen den Weg der Solidarität und Gerechtigkeit wählen, können wir mit der Bürgerversicherung eine Grundlage dafür schaffen, ein menschengerechteres und leistungsfähiges Gesundheitssystem auf die Beine zu stellen.

Wie die OECD-Untersuchungen zeigen, kann unser Gesundheitssystem mehr für uns tun, ohne mehr zu kosten. Um das zu erreichen, setzt die Bürgerversicherung unter anderem auf Wettbewerb zwischen den Krankenkassen um die beste Leistung. Die Bürgerversicherung ist keine Einheitsversicherung, sondern kann auch weiterhin sowohl von privaten als auch von gesetzlichen Krankenversicherungen angeboten werden. In der Bürgerversicherung wird es allerdings keine separate Honorarordnung für privat Krankenversicherte mehr geben. Die Qualität und Geschwindigkeit der Versorgung soll nur von medizinischen Kriterien und nicht von den finanziellen Möglichkeiten des Kranken abhängen. Dies ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern führt auch dazu, dass wir alle besser medizinisch versorgt werden.

Die Presseberichte über die Zweiklassenmedizin sind wohlbekannt: Privatversicherte bekommen schneller Arzttermine oder bessere Therapien. Solange die Privatversicherten jung, gesund und gutverdienend sind, können sie diese Vorteile oft zu einem Beitrag in Anspruch nehmen, der unterhalb dem der gesetzlichen Krankenversicherung liegt. Dies ist nur möglich, weil nicht jeder zu diesem Beitrag in die private Krankenversicherung eintreten kann. Wie die Erfahrung der letzten dreißig Jahre zeigen, steigt dieser Beitrag in der Regel stärker als der in der gesetzlichen Krankenversicherung und kann im Alter durchaus weit höher liegen als der Beitrag zur gesetzlichen Versicherung. Die Bürgerversicherung will dem gegenüber das Prinzip der Solidargemeinschaft wieder herstellen: Alle zahlen einen von ihrem Einkommen abhängigen Krankenversicherungsbeitrag, die Beiträge werden von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu jeweils der Hälfte übernommen. Gerechtigkeit wird auch dadurch hergestellt, dass dabei alle Einkommensarten berücksichtigt werden sollen. Die Bürgerversicherung wird zu einem niedrigeren Beitragssatz führen. Vollständig umgesetzt ermöglicht sie eine Beitragssenkung um 2,4 Prozentpunkte. Und auch wenn man den notwendigen Ausgleich für entgangene Privathonorare für die ÄrztInnen und andere Gesundheitsberufe sowie die Mindereinnahmen durch die Abschaffung von Zuzahlungen einberechnet, bleibt eine Beitragssenkung von 1,5 Prozentpunkten. Zusätzlich werden die ArbeitnehmerInnen durch die Wiederherstellung der Parität um 0,45 Prozentpunkten entlastet. Im Ergebnis werden alle GKV-Versicherten mit einem Arbeitseinkommen bis zu 4.600 Euro entlastet. Und geringere Beiträge fallen auch für viele PKV-Versicherte im Rentenalter, BeamtInnen in niedrigen Besoldungsstufen mit mehreren Kindern und einkommensschwache Selbstständige an. Alles in allem werden von den 80 Millionen Menschen, die heute in Deutschland ihren Krankenversicherungsschutz von GKV und PKV erhalten, mehr als 70 Millionen Menschen finanziell entlastet.

Ihre Frage nach den Altersrückstellungen ist nicht einfach zu beantworten. Nach den gesetzlichen Regelungen sind Altersrückstellungen kollektiv einer Gruppe von Versicherten und nicht einer Einzelperson zugeordnet. Bei einem Wechsel der Versicherungsgesellschaft verbleibt daher auch die Altersrückstellung bei der alten Versicherungsgesellschaft. In einem umlagefinanzierten System wie der Bürgerversicherung werden diese Rückstellungen nicht mehr benötigt. Wie bereits oben gesagt, werden die privaten Krankenversicherungen jedoch nicht abgeschafft, die bereits PKV-Versicherten können ihre Verträge aufrecht erhalten, es gilt Vertrauensschutz. Es wird auch keinen "großen Topf der Bürgerversicherung" geben, sondern die Grundlagen der Gesundheitsversorgung werden von einer Zweiklassenmedizin hin zu einer solidarischen Versicherungsgemeinschaft verändert. Die Bürgerversicherung wird schrittweise eingeführt.

Mehr zum Thema können Sie auf der Webseite der Bundestagsfraktion finden: http://www.gruene-bundestag.de/uploads/tx_ttproducts/datasheet/f17-104buergerversicherung-web.pdf

Bitte schauen Sie doch auch mal auf meiner Internet-Seite vorbei: http://www.hildegard-scheu.de, auf der auch die Termine angekündigt werden, bei denen Sie mich demnächst treffen und persönlich ansprechen können. Die Seite des Kreisverbandes ist: http://www.gruene-fulda.de.

Ich würde mich freuen, wenn Sie mit uns den Weg in eine gerechtere Gesellschaft in Deutschland als Stammwähler der GRÜNEN mitgehen und uns auch diesmal Ihre Stimme geben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Hildegard Scheu