Frage an Horst Seehofer von Rainer B. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Seehofer,
in der letzten Zeit haben Sie sich mehrfach öffentlich FÜR den Erhalt der EU-Subventionen im Agrarbereich ausgesprochen.
Halten Sie es für christlich und sozial wenn dank der EU-Export-Subventionen die Bauern in der 3. Welt ihre Produkte nicht verkaufen können weil wir sie mit hochsubventionierten Billigprodukten überschwemmen und ruinieren?
Halten Sie es als Verbraucherschutzminister für richtig dass wir Verbraucher die Produkte aus der dritten Welt gar nicht wirtschaftlich importieren und genießen können weil die subventionierten EU-Produkte das unmöglich machen?
Halten SIe es für christlich und sozial dass durch die EU-Subventionen vor allem die großen Landwirtschaftsbetriebe mit Millionenbeträgen gefördert werden und den kleinen Bauernhöfen das Überleben erschweren?
Ist es Ihr Verständnis von Verbraucherschutz dass Sie die verbraucherfreundlichen Lebensmittelkennzeichnungen entsprechend dem vorbildlichen englischen Ampelsystem bei uns verhindern?
Eigentlich erwarte ich von einem christlich-sozialen Politiker in Ihrem Amt eine weniger Wirtschfts-freundliche als eher Verbraucher-freundliche Politik und Amtsführung!
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Baack
Sehr geehrter Herr Baack,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 5. Juni 2008, in der Sie sich kritisch mit dem Thema EU-Agrarsubventionen auseinandersetzen und die Nährwertkennzeichnung bei Lebensmitteln ansprechen.
Die Agrarpolitik der Europäischen Union wurde in den Jahren 1992, 2000 und 2003 grundlegend reformiert. Durch die schrittweise Rückführung der Preisstützung und die gleichzeitige Einführung von produktionsentkoppelten Direktzahlungen wurde das gesamte Stützungssystem für die Landwirtschaft auf eine neue Grundlage gestellt.
Zentrales Element sind nunmehr die Direktzahlungen, die zumindest in Deutschland nahezu vollständig von der Produktion entkoppelt wurden und bis 2013 schrittweise zu regional einheitlichen Zahlungsansprüchen je Hektar landwirtschaftlicher Fläche umgewandelt werden. Damit gelten diese auch international als nicht oder nur gering handelsverzerrend und fallen entsprechend auch in die Green-box der WTO (Kategorie mit den geringsten negativen Effekten). Die aktuellen Vorschläge der KOM zur Gesundheitsprüfung der Gemeinsamen Agrarpolitik, die u. a. eine noch weitergehende Entkopplung der Direktzahlungen in der Europäischen Union spätestens ab 2013 vorsehen, werden von mir in diesem Punkt unterstützt. Die von Ihnen angesprochene direkte Subventionierung von EU-Produkten gehört damit weitestgehend der Vergangenheit an.
Die Landwirte sollen sich zukünftig stärker als in der Vergangenheit bei ihren Produktionsentscheidungen an den jeweiligen Markterfordernissen orientieren. Die Zahlungen gelten zudem als Ausgleich für die Einhaltung von gegenüber anderen Ländern häufig höheren EU-Standards im Bereich des Umweltschutzes, des Tierschutzes und der Lebensmittelsicherheit sowie für den Erhalt der Kulturlandschaft als wichtiger gesellschaftlicher Aufgabe. Dabei ist zu bedenken, dass das durchschnittliche Einkommen in der Landwirtschaft in der Europäischen Union und in Deutschland trotz dieser Zahlungen unterhalb der Bruttolöhne in der gewerblichen Wirtschaft liegt. Die derzeitige Diskussion um steigende Nahrungsmittelpreise und die Versorgungssituation auf den Energiemärkten lässt zudem deutlich werden, wie wichtig die Aufrechterhaltung eines gewissen Umfangs an eigener Nahrungsmittelproduktion ist. Hierfür brauchen wir eine leistungsstarke Landwirtschaft.
Bei dem Infragestellen der Berechtigung von Direktzahlungen für größere landwirtschaftliche Betriebe wird leider immer wieder übersehen, dass diese sehr häufig eine große Anzahl an Arbeitskräften beschäftigen. Die dabei je Arbeitskraft gewährten Subventionen unterscheiden sich beispielsweise nicht wesentlich von denen in mittelgroßen Familienbetrieben.
Sie sprechen auch die Agrarexportsubventionen und ihre Folgen an. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass hier in den letzten Jahrzehnten Fehler gemacht wurden. Die starke Subventionierung von Exporten landwirtschaftlicher Güter in den Industriestaaten hat in der so genannten Dritten Welt zum Teil dazu beigetragen, dass sich die dortige Lebensmittelproduktion nicht im notwendigen Maße entwickelt hat. Hinzu kommt, dass in den Entwicklungs- und Schwellenländern die Vernachlässigung der Landwirtschaft zugunsten der Urbanisierung und die zunehmende Verstädterung diesen Prozess weiter forciert haben.
Die Agrarpolitik hat hierauf jedoch reagiert; die für Exporterstattungen veranschlagten Haushaltsmittel in der Europäischen Union sind allein im Zeitraum von 1992 bis 2001 von 9,5 Mrd. € auf 3,4 Mrd. € zurückgegangen. Dieser Prozess setzt sich fort. Im Jahr 2007 betrugen die Erstattungen nur noch 1,44 Mrd. €, für das Jahr 2008 liegt der Haushaltsansatz bei rund 1 Mrd. €. Darüber hinaus hat die Europäische Union im Rahmen der laufenden WTO Verhandlungen angekündigt, bis 2013 sämtliche Exporterstattungen abzubauen, wenn auch alle anderen Exportländer auf vergleichbare Maßnahmen der Exportsubventionierung verzichten.
Verbraucherinnen und Verbraucher haben großes Interesse an Informationen über den Energiegehalt und den Gehalt an bestimmten Nährstoffen, wie Fett und Zucker, der angebotenen Lebensmittel. Die in der Europäischen Union einheitlich geregelte Nährwertkennzeichnung, als so genannte „Nährwerttabelle“ auf den Lebensmitteletiketten bekannt, wird von Verbraucherinnen und Verbrauchern jedoch zu selten bei ihrer Kaufentscheidung genutzt. Ich habe daher die Initiative ergriffen und ein System für freiwillige erweiterte Nährwertinformationen entwickelt, das leicht verständlich ist und die Information der Verbraucherinnen und Verbraucher über die Nährwerte der Lebensmittel verbessert. Die Lebensmittelauswahl im Sinne einer gesunden und ausgewogenen Ernährung soll so erleichtert werden.
Die Elemente unseres Systems der erweiterten Nährwertinformation sind der Energiegehalt (Brennwert) sowie die Gehalte an Zucker, Fett, gesättigten Fettsäuren und Salz. Dementsprechend nennen wir unser System „1 plus 4“-Modell. Diese Angaben sollen in der Regel bezogen auf die Portion in einheitlichen und wieder erkennbaren Symbolen auf Lebensmittelverpackungen bzw. -etiketten erfolgen. Dabei soll mindestens der Brennwert auf der Schauseite des Etiketts angebracht werden. Zusätzlich zu den Mengenangaben sollen auch die Prozentanteile in Bezug auf den jeweiligen Richtwert für die Tageszufuhr angegeben werden. Da alle Angaben auf eine Portion bezogen angegeben werden, wird es leicht ersichtlich, welcher Anteil des Tagesrichtwertes jeweils mit dem Verzehr einer Portion des Lebensmittels abgedeckt wird. Den an die Wirtschaft gerichteten Leitfaden zur Anwendung dieses Systems habe ich vor kurzem der Öffentlichkeit vorgestellt. Nähere Einzelheiten dazu sind auf der Website des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz http://www.bmelv.de zu finden.
Bei einer kürzlich in meinem Auftrag durchgeführten repräsentativen Meinungsumfrage haben über 80 Prozent der Befragten die Darstellung nach unserem Modell als informativ, verständlich und übersichtlich beurteilt. Außerdem hat sich ergeben, dass sich 55 Prozent der Befragten von einer zusätzlichen farblichen Gestaltung des Modells mit den Farben rot, gelb und grün, die für hohe, mittlere und niedrige Gehalte stehen, beim Einkauf leiten lassen würde. Auch ich persönlich stehe einer solchen farblichen Unterlegung unseres „1 plus 4“-Modells bei bestimmten zusammengesetzten Lebensmitteln, bei denen dies sinnvoll ist, nicht ablehnend gegenüber, da dies eine zusätzliche Information der Verbraucherinnen und Verbraucher beinhaltet. Ich beabsichtige daher mit der betroffenen Wirtschaft ein Gespräch darüber zu führen, wie dem Wunsch der Mehrheit nach einer farblichen Unterlegung unseres „1 plus 4“-Modells entsprochen werden kann.
Es wurde vielfach die Forderung an mich herangetragen, die Anwendung unseres Systems der erweiterten Nährwertinformation verbindlich vorzuschreiben. Dies ist jedoch nicht möglich, da der Bereich der Nährwertkennzeichnung auf EU-Ebene geregelt ist und diese Vorschriften für alle Mitgliedstaaten gelten. Ich setze mich aber dafür ein, dass möglichst viele vorverpackte Lebensmittel mit den Angaben nach dem „1 plus 4“-Modell versehen werden. Im Übrigen wird derzeit auch auf EU-Ebene beraten, wie die Nährwertkennzeichnungsvorschriften verbessert werden können.“
Mit freundlichen Grüßen
Horst Seehofer, MdB