Frage an Hubertus Heil bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Hubertus Heil
SPD
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Frage von Oliver S. •

Frage an Hubertus Heil von Oliver S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Geehrter Herr Heil,,

Zitat tagesspiegel :
" Die 27 EU-Staaten sollen den EU-Vertrag von Lissabon bis Anfang 2009 ratifizieren, damit er bei den Wahlen zum Europaparlament im Juni 2009 bereits in Kraft ist. Die EU-Staatschefs wollen auf jeden Fall eine Wiederholung des Debakels von 2005 vermeiden: Damals lehnten sowohl die Franzosen als auch die Niederländer den Entwurf für eine EU-Verfassung ab.

Die Regierungen der EU-Staaten hoffen, dass der EU-Vertrag von den Parlamenten ratifiziert werden kann, ohne dass Volksabstimmungen durchgeführt werden. Das einzige Land, in dem die Bevölkerung direkt über das Vertragswerk entscheidet, ist Irland. Dort ist ein Referendum verfassungsmäßig vorgeschrieben. Die Iren werden voraussichtlich im Mai abstimmen. Nach Rumänien, Ungarn, Malta und Slowenien hat im Februar Frankreich den EU-Vertrag ratifiziert. In Deutschland soll das Vertragswerk Ende Mai vom Bundestag verabschiedet werden. (sf/dpa/AFP)"

1.WARUM VERSCHWEIGT DIE POLITIK IN DER ÖFFENTLICHKEIT DIE WICHTIGKEIT DIESES ANGEBLICHEN EU-VERTRAGES DER EINE EU VERFASSUNG SEIN WIRD,
in der die Nationalstaaten einen Großteil ihrer Souveränität einem ungewählten Haufen Bürokraten in Brüssel Macht übertragen?? 2.Warum klärt die Medienlandschaft über dieses wichtige Dokument die Bürger nicht genauso in Medienkampagnen auf wie seinerzeit bei der Einführung des Euros?
3.Warum werden wir Bürger nicht in so eine wichtige Frage direkt miteingebunden?
Laut Grundgesetz haben wir das Recht dazu, Art. 20, Abs.2, Satz 1: ALLE Staatsgewalt geht vom VOLK aus. In Dieter Hesselberger´s " Das GG", Kommentar für politische Bildung, sagt er zu diesem Satz, das GG verlangt einen zurückführbaren Willensentschluß des Volkes bei jeder Art der staatlichen Betätigung. Nur durch die Bundestagswahl ist diese Regierung und der Bundestag NICHT legitimiert, unseren Nationalstaat der EU unterzuordnen ohne die Bevölkerung zu befragen. Hier liegt deutlich KEINE Legitimation für Sie vor.
Was werden Sie unternehmen?
MFG

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Stang,

vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch.de zum Thema EU-Reformvertrag. Gerne möchte ich Ihnen hierauf antworten.

Am 13. März hat der Deutsche Bundestag in 1. Lesung den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag von Lissabon beraten. Mit dem Gesetzesentwurf soll der neue EU-Grundlagenvertrag ratifiziert werden, auf den sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union geeinigt haben und der am 13. Dezember 2007 in Lissabon unterzeichnet wurde.

Zu Ihrer ersten Frage: Die Übertragung vormals nationaler Zuständigkeiten an die EU ist der Kern der europäischen Integration. Schon mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahr 1951 übertrugen die sechs Gründungsstaaten die Kompetenz der Zollpolitik für die Güter Kohle und Stahl an eine ihnen übergeordnete Behörde. Das Ziel war damals wie heute, einen gemeinsamen europäischen Markt zu schaffen, Vertrauen durch Zusammenarbeit zu stiften und infolgedessen Frieden und Wohlstand in Europa zu fördern. Die Übertragung von Zuständigkeiten an die EU ist also nicht neu und hat sich bewährt. Es gilt (weiterhin) Artikel 5 Absatz 1 des EU-Vertrages in der Fassung von Lissabon: „Für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union gilt der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung.“ Das heißt, die EU ist nur in den Bereichen zuständig, die ihr durch die Verträge übertragen worden sind (die ausschließlichen und geteilten Zuständigkeitsbereiche der Union sind in den neuen Artikeln 2 b und 2 c des AEUV aufgeführt; ausschließlich zuständig ist die EU vor allem bei der Wettbewerbs-, Zoll-,

sowie Handels- und Währungspolitik).

Eine „Generalvollmacht“ (die sogenannte Kompetenz-Kompetenz) hatte die Europäische Kommission nie und wird sie auch zukünftig nicht haben. Welche Zuständigkeiten die EU ausüben darf, steht in den EU-Verträgen, welche von den mittlerweile 27 EU-Staaten verhandelt, unterzeichnet und schließlich von 27 nationalen Parlamenten sowie dem EP ratifiziert werden müssen.

Des Weiteren fragen Sie, warum die Medien nicht ausreichend über den EU-Reformvertrag aufklärten: Der sogenannte EU-Verfassungsvertrag wurde nicht nur im Konvent, sondern auch in den Öffentlichkeiten der EU-Mitgliedstaaten ausführlich diskutiert. Die Ratifizierung war bis 2006 in 18 der 27 Mitgliedstaaten erfolgreich verlaufen (in Spanien und Luxemburg per Volksabstimmung). Allerdings hatten die ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005 den Diskussions- und Formulierungsprozess des Reformvertrages verlängert.

Das Thema Reform der EU steht somit seit Jahren auf der europapolitischen Agenda und erfuhr große Aufmerksamkeit. Allerdings – das zeigen Umfragen – ist die Europapolitik in den Medien weit weniger präsent als nationale Themen wie die deutsche Gesundheitsreform. Außerdem verstehen immer weniger Menschen, wie die EU funktioniert – auch wenn die Zustimmung zur EU Ende 2007 so hoch war wie seit zehn Jahren nicht mehr. Ich stimme Ihnen zu, dass wir hier mehr Aufklärungsarbeit leisten müssen.

Als letztes möchte ich Ihnen noch ein paar Worte zur Beteiligung des Volkes an der Ratifizierung des Reformvertrages sagen: die demokratische Legitimität der EU ist kompliziert, da sie nicht allein durch eine Institution gewährleistet wird, sondern durch mehrere. Die nationalen Parlamente legitimieren und kontrollieren ihre jeweiligen Regierungen in den Ministerräten und dem Europäischen Rat, direkte Kontrolle erfolgt durch das Europäische Parlament. Die gleichberechtigten Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments werden durch den Vertrag von Lissabon ausgeweitet. Das bedeutet eine Stärkung der Demokratie. Auch die Kommission wird stärker an das EP gebunden: der Kommissionspräsident wird zukünftig im Lichte des Ergebnisses der Europawahl vom Rat vorgeschlagen und vom Europäischen Parlament gewählt; die ganze Kommission muss sich dem Votum des Parlaments unterwerfen.

Das EP kann künftig über alle Ausgabenbereiche mitentscheiden (Budgetrecht). Die bisherige Beschränkung seines Einflusses auf die nicht-obligatorischen Ausgaben entfällt. Auch die nationalen Parlamente erhalten mehr Einwirkungsmöglichkeiten. Mit einer Subsidiaritätsrüge kann die Regelungskompetenz der EU zu Beginn eines Gesetzgebungsprozesses kritisch überprüft werden. Nach Abschluss eines Gesetzgebungsprozesses können nationale Parlamente gegen die Missachtung der Subsidiarität vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen. Die Frist für die Subsidiaritätsprüfung durch die nationalen Parlamente wird von sechs auf acht Wochen verlängert. Wenn im Rat der EU zusätzliche Bereiche von der Einstimmigkeit in die Mehrheitsentscheidung übergehen sollen, haben die nationalen Parlamente auch hier ein Einspruchsrecht.

Der Vertrag von Lissabon schafft zudem erstmals die Möglichkeit eines europäischen Bürgerbegehrens. Dadurch wird die direkte Demokratie in der EU gestärkt. Einen Bürgerentscheid sieht der Vertrag nicht vor. Eine solche Form der direkten Form der Demokratie ist innerhalb der EU nicht konsensfähig. Auch in Deutschland sind Volksentscheide auf Bundesebene nur für Neugliederungen der Bundesländer vorgesehen. Der Grundsatz der repräsentativen Demokratie ist sowohl im Vertrag von Lissabon (Art. 8a Abs. 1 EUV) als auch in den nationalen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten anerkannt, auch wenn es nationale Ausprägungen gibt. Ich möchte an dieser Stelle dennoch darauf hinweisen, dass die SPD sich in der Vergangenheit wiederholt für die Einführung von Elementen direkter Demokratie eingesetzt hat, die Umsetzung aber an CDU und CSU gescheitert ist.

Mit freundlichen Grüßen

Hubertus Heil, MdB

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