Frage an Inge Gräßle bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Dr. Inge Gräßle
Inge Gräßle
CDU
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Frage von Arne H. •

Frage an Inge Gräßle von Arne H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Dr. Gräßle,

in jeder Zeitung liest man von der nunmehr vollzogenen totalen Freizügigkeit gerade für Bulgaren und Rumänen. Der EU Kommissar Laszlo Andor sieht das Natur gemäss anders.
(Er muss sich auch nicht mit den Problemen von uns und vor Allem nicht mit den daraus resultierenden Kosten auseinander setzen)

Überhaupt kümmert gerade Brüssel gänzlich nie um Kosten. Anfangs war ich von der EU durchaus begeistert. Das allerdings hat sich grundlegend geändert, viel lieber würde ich wieder meinen Reisepass an Grenzen vorzeigen.

Woran liegt das? An der Gängelung der Politiker in Brüssel, die teils völlig seltsam anmuten.
Hier einige Beispiele:

ad1) Die neue 22 stellige Bankkontonummer. Was soll das? Von ca. 60 Mio Lastschriften und Überweisungen pro Tag gibt es nur ca 300.000 Zahlungsvorgänge ins Ausland.

ad 2) Absolut nicht zu verstehen ist der Umstand, dass die Grenzwerte von Giften in Kinderspielzeug nach oben korrgiert werden. Der normale Bürger fragt sich hier, was hat GIFT überhaupt in Spielzeug verloren.

Doch zu meiner Frage, diese betrifft die völlige Freizügigkeit der Arbeitsplatzwahl innerhalb der EU Was hilft es einem Greis oder Greisin, wenn Sie eine Altenpflegerin hat, die der Sprache nicht mächtig ist. ZU besichtigen ist das in einem Altenpfegeheim in CALW. Dies aber sind offenbar Befindlichkeiten, die im weit entfernten Brüssel, den gut dotierten Abgeordneten völlig EINERLEI sind.

Ich freue mich schon sehr auf Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüssen

Arne Harnecker

Dr. Inge Gräßle
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Harnecker,

Ihre Mail über Abgeordnetenwatch hat mich erreicht. Danke dafür.

Um direkt auf Ihre eigentliche Frage einzugehen: Altenpflegerinnen und Altenpfleger, die mit den Bewohnern nicht sprechen können, das ist sehr bedauerlich und nicht in Ordnung. Ich kann Ihnen hier nur den Kontakt zu den örtlichen Behörden empfehlen bzw. das Einmieten in einem anderen Heim. Ich sehe mit Sorge, dass der Fachkräftemangel gerade im Bereich der Altenpflege inzwischen Folgen hat – das von Ihnen beschriebene Phänomen ist viel mehr dem Fachkräftemangel als der Freizügigkeit geschuldet.

Als Mitglied des Haushalts- und des Haushaltskontrollausschusses kann ich auch Ihren Vorwurf, Brüssel kümmere sich „gänzlich nie“ um die Kosten, nicht im Raum stehen lassen, da gerade dieses „Kümmern“ den größten Teil meiner täglichen Arbeit ausmacht. Im Hinblick auf Grenzen und Zuwanderung will ich nur zwei Stichpunkte nennen, deren (auch finanzielle) Auswirkungen weitreichend, aber nicht auf den ersten Blick augenfällig sind: Wäre die EU-Ostgrenze inzwischen nicht tausend Kilometer weiter von Deutschland entfernt, hätten wir die Bundeswehr nicht um die Hälfte rückbauen und dadurch mittel- und langfristig viel Geld sparen können. Und wir hätten wir an der deutschen Grenze sicherlich ganz andere Probleme.

Zu Ihren weiteren Anmerkungen:

Außer einem Europäischen Binnen-Arbeitsmarkt ist auch ein Binnenmarkt mit freiem Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr ein Ziel der Europäischen Union. Hierzu ist eine Harmonisierung der sehr effizienten, aber untereinander inkompatiblen nationalen Euro-Zahlungsverfahren nötig. Zu diesem Zweck wurde auf Anregung des europäischen Bankenwesens die European Single Payments Area (SEPA), der einheitliche Euro-Zahlungsverkehrsraum, eingeführt. Ihr gehören die 28 Mitgliedsstaaten der EU sowie Island, Liechtenstein, Monaco, Norwegen und die Schweiz an. Mehr als 500 Millionen Bürger können nun so einfach, günstig und sicher europaweit (z.B. über das Internet) einkaufen oder Dienstleistungen bezahlen wie im Inland. Grenzüberschreitend arbeitende Unternehmen oder berufliche Grenzgänger benötigen nicht mehr in jedem Land ein eigenes Konto. Mehr noch: Jeder Bürger in der SEPA kann sich seine Bank frei aussuchen. Somit nimmt der Wettbewerb zu, und die Preise für Bankdienstleistungen sinken. Die Umstellung mag für Unternehmen, Vereine oder Behörden, die Lastschriften einziehen, im Vorfeld Einiges an Aufwand mit sich bringen, und wir alle müssen uns zunächst an das neue System gewöhnen, ab dem 1. August dieses Jahres jedoch funktioniert der gesamte Euro-Zahlungsverkehr überall gleich und Europa wächst ein Stück weiter zusammen.

Ich bin völlig Ihrer Meinung, dass gesundheitsgefährdende Stoffe nichts in Kinderspielzeug zu suchen haben. Dies sollen sowohl die deutsche als auch die neue europäische Spielzeug-Richtlinie garantieren. Die europäische Richtlinie sieht höhere Grenzwerte nur für „abkratzbare“ Materialien (Leder, Glas, PVC, Metall) vor, weil die Stoffe hier nicht so leicht aufgenommen werden wie beispielsweise über Knetmasse oder Fingerfarben. In den letztgenannten Fällen („flüssige oder zu trocknende“ Materialien) sind die EU-Grenzwerte deutlich niedriger als die deutschen.

Im Rechtsstreit vor dem Europäischen Gerichtshof zwischen der Kommission und der Bundesrepublik Deutschland erging am 19.12.2013 ein Zwischenurteil, das Deutschland das Recht gibt, seine Grenzwerte zunächst weiterhin beizubehalten; eine Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus.

Was zu guter Letzt Ihre kritische Haltung der EU gegenüber betrifft, möchte ich Ihnen beispielhaft nur ein paar wenige Arbeitsergebnisse nennen, die jeden Tag das Leben der Menschen in der EU sicherer, einfacher und angenehmer machen:

- Der Friedensnobelpreis 2012 für die Europäische Union hat gezeigt, dass es nicht als selbstverständlich angesehen werden kann, dass Staaten nunmehr über 60 Jahre lang in Frieden zusammenarbeiten und sich gemeinsam für Frieden, Demokratie und Menschenrechte einsetzen.
- Der Europäische Binnenmarkt hat das größte BIP einer Volkswirtschaft weltweit. Ein funktionierender Binnenmarkt ist die Voraussetzung dafür, dass die europäische Wirtschaftskraft weiter steigt, vor allem in Zeiten der Globalisierung. Kein Mitgliedsstaat kann sich allein so wirkungsvoll für faire Bedingungen im Welthandel einsetzen wie eine wirtschaftlich starke EU. Insbesondere Deutschland als exportorientierte Volkswirtschaft profitiert enorm von den Handelsbeziehungen im freien Binnenmarkt. Etwa 60% der deutschen Ausfuhren gehen in andere EU-Länder.
- Im Eisenbahn- und Flugverkehr gelten EU-weit die gleichen rechtlichen Regelungen. Besonders die Stärkung der Passagierrechte bei Verspätung und Annullierung von Flügen und Bahnreisen kommt jedem einzelnen EU-Bürger zu Gute.
- Die Kosten für mobiles Surfen, Telefonieren und SMS Schreiben im europäischen Ausland sind durch die Regelungen der EU in den vergangenen sechs Jahren um 70% günstiger geworden.

Mit freundlichen Grüßen,

[EU]

Dr. Inge Gräßle MdEP

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