Frage an Inge Gräßle bezüglich Gesundheit

Dr. Inge Gräßle
Inge Gräßle
CDU
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Frage von Ines R. •

Frage an Inge Gräßle von Ines R. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Dr. Gräßle,

in diesem Bericht hier, kann man sehr gut erkennen das sich die EU aktuell nicht in klarer Linie für das Wohl der Bürger einsetzt.

http://corporateeurope.org/food-and-agriculture/2015/05/toxic-affair-how-chemical-lobby-blocked-action-hormone-disrupting

Was unternehmen Sie um solch einen Einfluss der industriellen Hersteller zu verhindern? Wie ist es denn möglich das sich die Beamten der EU dermaßen beeinflussen lassen?

vielen Dank

Dr. Inge Gräßle
Antwort von
CDU

Sehr geehrte Frau R.,

vielen Dank für Ihre Frage. Tatsächlich stellen sich die Ereignisse um die Regulierung von endokrinen Disruptoren auf EU-Ebene anders dar, als der von Ihnen erwähnte Bericht von Corperate Europe Observatory darstellt. Die Verordnung zur Verwendung von Biozidprodukten (EC 528/2012, Art. 5.3) und die Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (EC 1107/2009, Annex II, 3.6.5) gaben der Europäischen Kommission vor, spätestens bis zum 13. Dezember 2013 Rechtsakte zur Festlegung wissenschaftlicher Kriterien zur Bestimmung der endokrinschädigenden Eigenschaften festzulegen.

(Nachzulesen unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:167:0001:0123:DE:PDF ; http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:309:0001:0050:DE:PDF)

Dieser Aufgabe ist die Kommission bis heute nicht nachgekommen. Das liegt jedoch nicht am Lobbydruck der Industrie, sondern an der Komplexität unseres Hormonsystems. Die Wissenschaft tut sich schwer, hier klare Kriterien für endokrine Disruptoren aufzustellen. Zwar wurden im Rahmen einer internen Arbeitsgruppe der Kommission im März/April 2013 erste Entwürfe der Generaldirektion Umwelt aufgestellt. Da hierfür jedoch eine klare wissenschaftliche Grundlage fehlte und auch nicht abzuschätzen war, welche Auswirkungen die Definition auf Umwelt, Gesundheit und Landwirtschaft haben würde, konnte man sich in der Arbeitsgruppe mit anderen Generaldirektionen wie Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung und Handel nicht einigen. Der Grund für Verzögerungen an dieser Stelle waren demnach sachliche Diskussionen und nicht die angebliche Einflussnahme einer übermächtigen Wirtschaftslobby, welche die Generaldirektionen gegeneinander ausspielte.

Nach der internen Auseinandersetzung innerhalb der Kommission beschloss das Generalsekretariat der Kommission unter Leitung von Catherine Day zunächst eine öffentliche Konsultation und eine Folgenabschätzung durchzuführen, um die Tragweite der aufzustellenden Kriterien zu ermitteln. Das war wichtig, um die geplante Gesetzgebung auf sichere wissenschaftliche Grundlagen zu stellen. Bei der öffentlichen Konsultation gab es 27.087 Eingaben. 93% davon stammen aus den Kampagnen von zwei NGOs; auch hier ist also keineswegs ein Übergewicht von Wirtschaftsinteressen zu sehen.
Die komplette Folgenabschätzung soll bis Herbst 2016 abgeschlossen sein. Darin werden vier verschiedene Definitionen der Wissenschaft im Hinblick auf Ihre Folgen für Umwelt, Wirtschaft und Gesundheit verglichen.
Hierzu zählt unter anderem auch die Risikoabwägung: Ein Verbot bestimmter Pflanzenschutzmittel kann dazu führen, dass wir unsere Lebensmittel nicht mehr wirkungsvoll schützen können. Als Folge könnten Lebensmittel mit Pilzen befallen werden, die unbemerkt auf unserem Teller landen und viel gesundheitsschädlicher sind als die zu Beginn verbotenen Pflanzenschutzmittel. Das kann nicht das Ziel einer vernunftgeleiteten Gesetzgebung zum Gesundheitsschutz sein. Eine so verursachte Verzögerung des Regulierungsakts ist demnach unvermeidlich, um das bestmögliche Ergebnis für die europäischen Bürger zu erreichen.

Vorschnelle Schlüsse über eine zu große Einflussnahme der "Industrielobby" ließen sich also vermeiden, wenn man in diesen und anderen Gesetzgebungsprozessen die tatsächlichen Geschehnisse betrachtet. Grundsätzlich sollte die EU-Kommission, meiner Ansicht nach, auch das Praxiswissen der Privatwirtschaft aufnehmen, um in ihren Gesetzesvorschlägen realistisch umsetzbare Vorschriften zu formulieren, welche die Wettbewerbsfähigkeit und die Arbeitsplatzsicherheit in Europa nicht gefährden.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen

Inge Gräßle

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