Frage an Ingo Schmitt bezüglich Recht

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Ingo Schmitt
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Frage von Stefan K. •

Frage an Ingo Schmitt von Stefan K. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Schmitt,

in der Presse hat es zuletzt vermehrt Berichte über Bemühungen gegeben, die "Kriegsverräter" zu rehabilitieren. Ihr Kollege Geis ist wohl einer der wenigen, die sich vehement gegen eine generelle Rehabilitierung dieser NS-Opfer wehren. Hingegen hat der ehemalige Bundesverfassungsrichter Klein (CDU-Mitglied) in einem Rechtsgutachten erklärt, dass eine Rehabilitierung durch den Deutschen Bundestag unbedenklich wäre, ebenso die Militärhistoriker Wolfram Wette und Manfred Messerschmidt. Auch Bundesverteidigungsminister Jung steht dem nicht mehr im Wege.

Wie stehen Sie zu der Initiative? Sehen Sie eine Möglichkeit, dieses Trauerspiel noch in dieser Legislaturperiode in einer Weise zu beenden, die den Opfern und ihren Angehörigen gerecht wird?

Mit freundlichen Grüßen

Stefan Kania

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Kania,

herzlichen Dank für Ihre Fragen vom 19. Juni 2009, die ich hiermit gerne beantworte:

Die Bewältigung und Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts beschäftigt die CDU/CSU-Fraktion auch mehr als 64 Jahre nach dem Ende des verbrecherischen NS-Regimes immer noch. Ich begrüße daher, den am 2. Juli 2009 vorgelegten Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (2. NS-AufhgÄndG). Der Entwurf (Drucksache 16/13654) sieht vor, die Strafvorschriften des Militärstrafgesetzbuches wegen Kriegsverrats ebenfalls in das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG) aufzunehmen.

Eine pauschale Aufhebung von NS-Strafurteilen ist bereits in zwei Gesetzgebungsverfahren erfolgt. Durch das NS-AufhG vom 25. August 1998 wurden verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind, aufgehoben. Regelbeispiele im Gesetz erleichtern dabei die deklaratorische Feststellung durch die Staatsanwaltschaft, dass ein bestimmtes Urteil aufgehoben ist. Für die von den Regelbeispielen nicht erfassten Fälle ist eine Einzelfallprüfung durch die Staatsanwaltschaft erforderlich. Der Gesetzgeber hat diese Regelbeispiele mit Gesetz vom 23. Juli 2002 nochmals erweitert und darin die §§ 175, 175 a RStGB (Urteile gegen Homosexuelle) sowie einzelne Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches (u.a. Desertion, Feigheit vor dem Feind, Unerlaubte Entfernung) aufgenommen. Der Gesetzgeber hatte noch bei dieser letzten Änderung des NS-AufhG, also zu Zeiten, in denen Rot-Grün Regierungsverantwortung trug, bewusst davon abgesehen, Verurteilungen wegen Kriegsverrats nach dem Militärstrafgesetzbuch per se als nationalsozialistisches Unrecht zu qualifizieren und pauschal aufzuheben, weil er der Auffassung war, dass die Aufhebung dieser Urteile ohne Einzelfallprüfung nicht verantwortbar sei. Es komme nämlich darauf an, ob es infolge des Verrats zusätzliche Opfer unter der Zivilbevölkerung und/oder deutschen Soldaten gegeben habe oder ob derartige Opfer durch den Verrat gerade vermieden worden seien. An dieser Sichtweise haben bisher alle Bundesregierungen und die jeweiligen politischen Mehrheiten im Deutschen Bundestag bis in diese Legislaturperiode hinein festgehalten.

Sie haben Recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass sich Historiker und Rechtswissenschaftler für eine Rehabilitierung ausgesprochen haben. Deren neue Erkenntnisse und Gespräche mit Experten haben letztlich die CDU/CSU- Fraktion veranlasst, die o. g. Haltung aufzugeben. So hat z. B. die Studie der Historiker Wolfram Wette und Detlev Vogel "Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und Kriegsverrat" gezeigt, dass sowohl Soldaten als auch Zivilisten für ganz unterschiedliche Handlungen wegen Kriegsverrats zum Tode verurteilt wurden: eine politisch widerständige Gesinnung, Solidarität mit verfolgten Juden, Hilfe für Kriegsgefangene oder Unbotmäßigkeiten gegenüber Vorgesetzten. Fälle, denen zufolge als "Kriegsverräter" Verurteilte zum Nachteil Dritter gehandelt hätten, konnten dabei nicht nachgewiesen werden. Vielmehr habe sich der unbestimmte Tatbestand des Kriegsverrats als Instrument der NS-Justiz erwiesen, willkürlich nahezu jedwedes politisch missbeliebige Verhalten mit dem Tode bestrafen zu können. Diese Bewertung wird bestätigt durch ein Gutachten, dass das Bundesministerium der Justiz im Frühjahr 2009 bei dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Hans Hugo Klein in Auftrag gegeben hat. Professor Dr. Klein kommt darin zu dem Schluss, dass der Straftatbestand des "Kriegsverrats" mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schlechterdings unvereinbar sei.

Unter Berücksichtigung dieser historisch-ethischen und juristischen Gründe halte ich eine pauschale Aufhebung von Verurteilungen wegen "Kriegsverrats" nunmehr für geboten. Denn die Menschen, die damals verurteilt worden sind, hatten meines Erachtens zwar Widerstand geleistet, aber keinen Kriegsverrat begangen. In einer Sondersitzung am 26. August 2009 soll der Gesetzentwurf von den Parlamentariern beschlossen werden. Ich hoffe, dass es noch in dieser Legislaturperiode zu einer pauschalen Rehabilitierung der sogenannten "Kriegsverräter" kommt und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Ingo Schmitt, MdB