Frage an Jan Mücke bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Jan Mücke
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Frage von Johann E. •

Frage an Jan Mücke von Johann E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Mücke,

ich möchte Sie bitten, mir hier eine Frage zu beantworten.
Viele Bürger dieses Landes mußten in letzter Zeit häufig politische Entscheidungen ertragen, denen sie nicht zugestimmt hätten. Beispiele hierfür sind der Afghanistan-Krieg, die Einführung des Euro, der Lissabon-Vertrag, die "Bankenrettung" und die Griechenlandhilfe (und deren angeschlossene Maßnahmen).
Bei der Einführung des Euro hat sich inzwischen herausgestellt, dass es schon "Geburtsfehler" gab. Wie inzwischen belegt ist, wurde der Beitritt Griechenlands zum Euro-Raum politisch durchgesetzt, obwohl die dazu notwendigen Vorraussetzungen nicht erfüllt waren. Der Angriff auf Afghanistan ist ein Desaster. Er war genauso politisch, und wie sich nun herausstellt, auch wirtschaftlich motiviert.
Eine Mehrheit der Politiker, die damals entschieden haben, haben offensichtlich die schlimmen Folgen für die Bürger unseres Landes nicht vorhergesehen.
Nun können Politiker sich natürlich nicht auf Umfrageergebnisse verlassen, eine Volksbefragung wollen sie nicht und auf berechtigte Einwände (z.B. beim Euro-Beitritt Griechenlands) reagieren sie, politisch oder ideologisch motiviert, auch nicht.
Natürlich sind Bundestagsabgeortnete auch nur Menschen und ausschließlich ihrem Gewissen verpflichtet.
Sie haben aber die Pflicht, Schaden von den Bürgern abzuwenden.
Nun ist es zu Entscheidungen gekommen, an denen Sie mitgewirkt oder die Sie sogar vorangetrieben haben. Einige halten Sie vielleicht inzwischen für falsch. Andere sind immer noch Ihre innerste Überzeugung. Und wieder andere haben sich inzwischen als verfassungwiedrig herausgestellt.
Und damit komme ich zu meiner Frage.
Sind Sie bemüht, Ihre Fehler wieder gut zu machen, und falls Ja, wie machen Sie das?

Hochachtungsvoll
Johann Erler

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Erler,

haben Sie vielen Dank für Ihre Frage vom 6. Januar 2011, in der Sie mich um eine Stellungnahme zu verschiedenen politischen Entscheidungen bitten. Gern werde ich Ihnen hierzu meine Position darlegen. Für meine späte Antwort bitte ich um Nachsicht.

Ihrer Kritik an der Einführung des Euro und an unseren Bemühungen zur Wahrung der Stabilität unserer Gemeinschaftswährung und zur Sicherung der inneren Stabilität der Europäischen Union weise ich entschieden zurück. In Ihren Ausführungen verkennen Sie auch, dass wir es nicht mit einer Krise des Euro zu tun haben. Sowohl der Binnenwert wie der Außenwert unserer gemeinsamen Währung sind ungeachtet aller Krisen sehr stabil geblieben. Es handelt sich vielmehr um Finanzierungskrisen in einigen Mitgliedstaaten der Eurozone, die Ansteckungseffekte auf die anderen Volkswirtschaften der Eurozone entfalten.

Die FDP ist die Partei der Europäischen Integration und der Wirtschaftskompetenz. Wir wollen dazu beitragen dass die Stabilität im Euro-Währungsgebiet wiederhergestellt wird und dass künftige Verschuldungskrisen vermieden werden. Wir wissen, dass Deutschland mehr als jedes andere Land von der Idee eines gemeinsamen Europas profitiert. Fast 60 Jahre Europäische Integration haben uns ein nie gekanntes Maß an Frieden, Freiheit und Wohlstand ermöglicht. Ohne den europäischen Binnenmarkt wäre Deutschland weder Exportweltmeister, noch hätten wir eine so geringe Arbeitslosenzahl wie seit 20 Jahren nicht mehr. Wer die Abschaffung des Euro fordert und damit die Europäische Union schwächt, muss auch akzeptieren, dass unser Lebens- und Wirtschaftsstandard sinkt, dass unsere Lebenshaltungskosten steigen und das mehr Menschen arbeitslos werden. Ihr plakativer Populismus, nach der eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung den Euro ablehnt ist somit nicht nur falsch und irreführend, sondern er gefährdet auch das Fundament, auf dem unser Land steht. Selbst ein Land von der Größe und wirtschaftlichen Stärke Deutschlands würde an der Aufgabe scheitern, sich in einer ständig verändernden globalisierten Welt im Alleingang zu behaupten. Deshalb setzen wir Liberale auf ein gemeinsames Europa.

Dabei fallen sowohl mir persönlich als auch meinen Fraktionskollegen die Entscheidungen zur Euro-Stabilisierung nicht leicht. Wir wissen, dass vielerorts eigenes Handeln und eigene Versäumnisse zu der kritischen Situation in Europa geführt haben. Nur muss sich jeder, der gegen eine Stabilisierungsmaßnahme ist, dass ein drohender Zusammenbruch eines ganzen Wirtschaftsraums insbesondere die hauptsächlich am Export orientierte, deutsche Volkswirtschaft treffen würde.

Unsere Solidarität ist für uns aber keine Einbahnstraße. Wer Hilfe beansprucht, weil er seine strukturellen Hausaufgaben in der Vergangenheit liegen ließ, kann auf Solidarität anderer Staaten nur hoffen, wenn er seinerseits Solidität bei seinem Sanierungsprogramm zeigt. Deshalb haben wir als FDP durchgesetzt, dass vor jeder Hilfsmaßnahme immer ein ausgehandeltes Sanierungsprogramm stehen muss und dass Hilfsmaßnahmen nur einstimmig ausgelöst werden dürfen. Deutschland hat also ein Vetorecht. Bei der Einrichtung des zukünftigen Euro-Stabilisierungs-Mechanismus (ESM) wird die FDP-Bundestagsfraktion, auch vor dem Hintergrund der entsprechenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auf ein Maximum an parlamentarischer Entscheidung drängen. Wir wollen, dass jedwede Hilfsentscheidung des ESM durch einen strikten Parlamentsvorbehalt abgesichert und damit demokratisch legitimiert wird.

Weiterhin setzt sich die FDP mit aller Energie für die Beteiligung privater Gläubiger ein. Wir haben in der Koalition durchgesetzt, dass dies die Position der Bundesregierung bei den Verhandlungen über den ESM ist. Die FDP hat verhindert, dass gemeinsam finanzierte Schuldenrückkaufprogramme auf Europäischer Ebene beschlossen werden. Denn das hätte dazu geführt, dass die deutschen Steuerzahler für die Altschulden anderer Euro-Staaten aufkommen müssten. SPD und Grüne haben Eurobonds, Schuldenrückkaufprogramme und größere Hilfsprogramme zu günstigeren Konditionen für die Schuldnerländer gefordert. Wären sie an der Regierung beteiligt gewesen, hätten wir schon heute die Haftungsgemeinschaft in der Eurozone für die Staatsschulden anderer Euro-Länder und damit dauernde, erhebliche Transfers des deutschen Steuerzahlers in andere Euro-Länder.

Im Hinblick auf das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr hat der Deutsche Bundestag seit der ersten Entscheidung stets mit breiter Zustimmung für den Einsatz gestimmt (bei der letzten Mandatsverlängerung stimmten 420 von 579 Abgeordneten mit „Ja“ und 116 dagegen). Für mich persönlich ist die Abstimmung über einen gefährlichen Einsatz der Bundeswehr immer damit verbunden, ob eine erfolgversprechende Perspektive und Einsatzplanung existiert. Für das Afghanistan-Mandat ist das der Fall.

Die internationale Staatengemeinschaft unterstützt die Regierung des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai, der sich selbst und sein Land zu mehr afghanischer Eigenverantwortung in fünf Schlüsselbereichen verpflichtet hat: wirtschaftliche Entwicklung, Regierungsführung, Reintegration, Kampf gegen Korruption und Klientelismus sowie Sicherheit. Der 2010 erarbeitete Fahrplan hat das Ziel, bis 2014 die Sicherheitsverantwortung an die afghanische Regierung zu übergeben. Dieser Fahrplan ist ein großer Erfolg und realistisch – zumal vor allem die Bundeswehr bei der Ausbildung der afghanischen Armee- und Polizeikräfte schon jetzt weiter ist als geplant. Darüber hinaus verläuft auch der zivile Wiederaufbau erfolgreich. Damit schaffen wir wirtschaftliche und soziale Perspektiven für die afghanische Bevölkerung und verhindern eine Radikalisierung durch die Taliban. Bereits in diesem Jahr ist die Übergabe der Verantwortung in kleineren Einzel-Bereichen geplant.

Auch die grundsätzliche Begründung für das fortgesetzte Engagement Deutschlands in Afghanistan bleibt weiter gültig. Deutschland hat ein großes Eigeninteresse daran, dass Afghanistan nie wieder ein Rückzugsgebiet für international operierende Terrornetzwerke wie Al Qaida wird. Außerdem muss die bereits erreichte Verbesserung der Menschenrechtssituation weiter abgesichert werden. Die Schreckensherrschaft der Taliban hatte insbesondere die Verletzung der Rechte von Frauen und Mädchen zur Folge. Seit dem Sturz der Taliban ist es gelungen, beispielsweise den Zugang von Mädchen zu Schulen deutlich zu verbessern. Ein übereilter Abzug der deutschen und internationalen Truppen würde diese Fortschritte gefährden. Überdies wären die regionalen Folgen einer erneuten Machtübernahme der Taliban in Afghanistan unabsehbar. Sowohl die Lage im Nuklearstaat Pakistan als auch die Situation in den Staaten Zentralasiens könnte destabilisiert werden.

Sehr geehrter Herr Erler, mir ist bewusst, dass die Entscheidungen zur Euro-Stabilisierung und zum Afghanistan-Einsatz umstritten sind und in Teilen der Bevölkerung abgelehnt werden. Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages stelle ich mich jedoch auch diesen schwierigen Entscheidungen. Entgegen Ihrer Behauptung ist meine Position dabei nicht politisch motiviert, sondern basiert auf dem Verantwortungsbewusstsein gegenüber Deutschland und seiner Bevölkerung. Ein zu früher Abzug aus Afghanistan hätte ebenso wie eine Ende der europäischen Stabilität unkalkulierbare Schäden zur Folge, die Deutschland mit aller Härte treffen würden.

Mit meinen besten Grüßen

Jan Mücke