Frage an Jens Kerstan bezüglich Arbeit und Beschäftigung

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Jens Kerstan
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Frage von peter k. •

Frage an Jens Kerstan von peter k. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Kerstan,

von einem Bekannten wurde mir empfohlen, meine Frage an Sie als Volkswirt zu richten.

Im Programm der Grünen 05 stand die Arbeitszeitverkürzung als eine wichtige gesellschaftliche Perspektive. Mir ist eine Politik der Grünen dazu nicht erinnerlich, vielleicht habe ich nicht gut aufgepasst.
Ich meine, dass nur eine Arbeitszeitverkürzung die Arbeitslosen von der Straße bringt. Der gegenwärtige Trend ist unerträglich. Die Gewinne steigen unermesslich, die Kaufkraft sinkt, immer weitere Menschen werden unters Limit gedrückt und sind dann noch Schikanen ausgesetzt.

Ich habe gelesen, dass man versucht hat in Venezuela (arm oder reich?) eine 36-Stundenwoche zur Wahl zu stellen.

Was spricht dagegen, dass die Grünen ihr Programm auch dem Bürger nahe bringen und aktiv auf der Straße mit Schildern etc. umsetzen?

Vielleicht sagen Sie, das sei eine Sache der Tarifparteien. Bedenken Sie aber, dass die Länge der Arbeitswoche als Gesetz aufgeschrieben wird oder werden kann.
Vor allem aber geht es darum, weiteres Elend abzuwenden.

Vielleicht sagen Sie, dass sei keine Landespolitik. Die Verlängerung der Arbeitszeiten in der Verwaltung und den staatlichen Betrieben ist Landespolitik. Man kommt um diese Frage nicht drum herum, wenn es uns v o l k swirtschaftlich wieder besser gehen soll.

Mit freundlichem Gruß
Peter Klemm

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Sehr geehrter Herr Klemm,

vielen Dank für Ihre Frage. Mein Büro war während der Schulferien nicht besetzt, deshalb haben Sie bisher noch keine Antwort erhalten. Bitte haben sie noch einen Tag Geduld. Ich werde erst morgen Zeit finden Ihnen zu antworten, da ich heute an meinem ersten Arbeitstag fast ununterbrochen in Gremiensitzungen bin.

Mit freundlichen Grüßen
Jens Kerstan

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Klemm,

vielen Dank für Ihre Frage.

Die hohe Arbeitslosigkeit ist ein ganz zentrales gesellschaftliches Problem. Erfreulicherweise können wir in Deutschland zur Zeit einen starken Rückgang der Arbeitslosigkeit verzeichnen, wie wir ihn schon seit langem nicht mehr erlebt haben. Dennoch sind fast 4 Millionen Arbeitslose immer noch viel zu viel. Arbeitszeitverkürzungen können ein Beitrag zur weiteren Verringerung der Arbeitslosigkeit sein. Deshalb unterstützen wir Grüne diese Forderung politisch. Arbeitszeitkonten, Familien-Teilzeit, Job-Rotation und Job-Sharing können dabei hilfreiche Instrumente sein. Aus meiner Sicht können Arbeitszeitverkürzungen allerdings nur eine Maßnahme von vielen sein, um Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Allheilmittel sind sie nicht.

Gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeitverkürzungen halte ich nicht für sinnvoll, weil die Politik nicht nah genug dran ist, um die konkreten Bedingungen und Erfordernisse in den unterschiedlichen Branchen zu kennen. Ob z.B. eine generelle 35-Stunden-Woche sinnvoll und praktikabel ist oder ob in verschiedenen Branchen andere der oben genannten Arbeitszeitverkürzungsmaßnahmen nicht eine bessere Lösung wären, das können die Tarifparteien und insbesondere die Gewerkschaften am besten beurteilen. Für uns ist die zentrale Rolle, die die Gewerkschaften in diesem Prozess spielen, wichtig und deshalb respektieren wir die Tarifautonomie.

Gegen die von Ihnen angesprochene Armut und Verelendung helfen Arbeitsverkürzungen nicht. Hier ist es aus Grüner Sicht notwendig, den Regelsatz von Hart IV auf 420 Euro anzuheben, um zu einer wirksameren Existenzsicherung zu kommen. Darüber hinaus sind eine bessere Kinder- und Jugendbetreuung und mehr Bildung notwendig, um jungen Menschen eine Chance zu geben, am Arbeitsleben teilhaben zu können. In diesem Sinne hat der Grüne Bundesparteitag in Nürnberg ein entsprechendes Maßnahmenpaket beschlossen, dessen Umsetzung in den nächsten Jahren insgesamt 60 Milliarden Euro kosten würde, wovon 43 Milliarden Euro für Bildung vorgesehen sind.

Notwendig ist daneben auch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, der sicherstellt, dass Menschen von einer Vollzeitarbeitsstelle auch leben können. Hier ist ein Eingriff der Politik geboten, da es in vielen Branchen mittlerweile keine funktionierenden Tarifparteien mehr gibt, die ein vernünftiges Lohnniveau aushandeln könnten.

Sie sehen also, Arbeitszeitverkürzungen sind wichtig, aber es braucht noch mehr, um Armut und die hohe Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen.

Mit freundlichen Grüßen,
Jens Kerstan