Frage an Joachim Herrmann bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Joachim Herrmann
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Frage von Benno S. •

Frage an Joachim Herrmann von Benno S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Herrmann,

als Innenminister sind sie ein Mitinitiator des neuen bayerischen Versammlungsgesetzes. Nun werden durch dieses Gesetz die Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt (Art. 23) aber warum ist dies unbedingt notwendig?

Als Franke ist Ihnen sicherlich die Problematik von Neonazi-Aufmärschen in Wunsiedel und in Gräfenberg bekannt. Wird einerseits durch die Maßgabe, dass Versammlungen verboten werden können, die "nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigen, verherrlichen, rechtfertigen oder verharmlosen oder das Gedenken an führende Repräsentanten des Nationalsozialismus" zum Ziel haben nicht der notwendige zivilgesellschaftliche Kampf gegen den Rechtsextremismus unterdrückt? Und besteht nicht die Gefahr, dass sich die Neonazis radikalisieren und verstärkt Gewalttaten verüben?

Außerdem möchte ich Sie fragen wie in der Praxis mit dem Vermummungsverbot umzugehen ist. Einerseits bekommt man von der Polizei eine Anzeige wenn man vermummt auf einer Demonstration erscheint, andererseits geht die Polizei nicht gegen sog. "Anti-Antifa"-Aktivisten vor, die illegale Porträtfotos von friedlichen Demonstrations-Teilnehmern machen, diese im Internet veröffentlichen und dort zu Gewalt gegenüber diesen Personen aufrufen. Um der Sache die Krone aufzusetzen verwendet die Polizei dann auch noch diese Bilder bei Prozessen gegen Anti-Nazi-Demonstrationsteilnehmern. Können Sie diesen Widerspruch etwas erhellen und mir sagen, wie ich mein Engagement gegen den Rechtsextremismus fortführen kann ohne Angst um mein Leib und Leben haben zu müssen?
Siehe auch: http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/76/52/dokument.html?titel=Brauner+Pranger&id=58302567&top=SPIEGEL&suchbegriff=anti-antifa&quellen=&vl=0

mit freundlichen Grüßen
Benno Scholle

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Sehr geehrter Herr Scholle,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Das neue Versammlungsgesetz verbessert ausschließlich die Reaktionsmöglichkeiten gegenüber extremistischen Versammlungen. So werden Tage und Orte, die an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft erinnern, vor rechtsextremistischen Versammlungen geschützt. Versammlungen, die die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigen, verherrlichen, rechtfertigen oder verharmlosen, können verboten werden, wenn sie die Würde der Opfer des Nationalsozialismus beeinträchtigen. Das Militanzverbot will nur paramilitärische oder sonst den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelnde Versammlungen verhindern. Dies gilt für rechts- und linksextremistische Chaoten, die sich in "Schwarzen Blöcken" zusammenschließen. Ich sehe es als klaren Erfolg unserer bisherigen Strategie, dass wir Krawalle, wie sie in Berlin oder in Hamburg z. B. zum 1. Mai leider üblich geworden sind, in Bayern verhindern konnten. Das bisher weit reichende Uniformierungsverbot gilt künftig nur für solche Uniformierungen, die einschüchternd wirken. Auch das bisher schon bestehende Vermummungsverbot ist notwendig und richtig. Erfahrungen zeigen leider, dass vermummte Personen signifikant häufiger an Gewalttätigkeiten bei Versammlungen beteiligt sind. Öffentlich seine Meinung zu äußern, sollte eigentlich auch ohne Vermummung möglich sein.
Kundgebungen demokratischer Parteien oder Organisationen sind von den neuen Befugnissen nicht betroffen. Im Gegenteil entspricht es voll und ganz den Zielen des Bayerischen Versammlungsgesetzes, wenn sich couragierte Bürger - wie erst vor kurzem wieder in Wunsiedel, Gräfenberg oder Warmensteinach - rechtsextremistischen Versammlungen immer wieder mit eigenen Kundgebungen entgegenstellen. Ich bedauere es, dass diese Aspekte in der Diskussion um das Bayerische Versammlungsgesetz nicht wahrgenommen wurden. Die Diskussion war leider nur zu oft von Pauschalurteilen geprägt, die die nötige vorurteilsfreie, differenzierte Betrachtung vermissen ließen.

Eine von Ihnen angesprochene zunehmende Radikalisierung wird aus meiner Sicht gerade dann verhindert, wenn man konsequent gegen rechtsextremistische Umtriebe einschreitet. Ich hielte es deshalb für falsch, diese notwendige Auseinandersetzung nicht oder nur mit verminderter Konsequenz zu führen.

Die von Ihnen angesprochene Problematik der Verwendung von Bildern durch die Polizei, die von Anti-Antifa-Aktivisten anlässlich von Versammlungen aufgenommen wurden, war Gegenstand der Sitzung des Ausschusses für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit am 7. Mai 2008 im Bayerischen Landtag. Die Verwendung von Aufnahmen Privater durch die Polizei mit dem Ziel der Identifizierung von Straftätern ist rechtlich nicht zu beanstanden. Gleichwohl sind die Polizeiverbände hinsichtlich der Problematik sensibilisiert und verwenden Bilder aus frei zugänglichen Internetseiten zur Identifizierung von Verdächtigen nur dann, wenn dieselben Erkenntnisse nicht auch auf anderem Wege erlangt werden können.
Im Übrigen sind insbesondere die Staatsschutzdienststellen der Bayerischen Polizei im Rahmen ihrer präventiven und repressiven Aufgaben berechtigt, ja verpflichtet, Internetseiten "rechter" und "linker" Gruppierungen z. B. zur Erfüllung konkreter Aufklärungsaufträge und auch zur Lagearbeit als Informationsquelle auszuwerten.

Leider kann die Polizei gegen Anti-Antifa-Aktivisten, die Bilder von Demonstrationsteilnehmern anfertigen und sie später im Internet veröffentlichen regelmäßig aus rechtlichen Gründen nicht einschreiten. Voraussetzung für ein polizeiliches Einschreiten ist, dass eine Straftat nach dem Kunsturhebergesetz bereits begangen ist oder zumindest tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Begehung einer solchen Straftat bevorsteht. Das bloße Anfertigen von Bildaufnahmen ist nicht von den Bestimmungen des KunstUrhG erfasst und kann deshalb in der Regel auch nicht sanktioniert werden.

Es würde mich freuen, wenn ich damit Ihre Fragen umfassend beantworten konnte.

Mit freundlichen Grüßen
Joachim Herrmann, MdL
Bayerischer Staatsminister des Innern

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