Frage an Julia Klöckner von Nannette M. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrte Frau Klöckner,
ich bin Schülerin des Gymnasiums in Mayen. Ich würde Sie bitten mir eine Frage zu beantworten, die sich mir bei der Analyse einer Karikatur für den Sozialkundeunterricht gestellt hat.
Die Karikatur zeigt eine Wahlsituation. Der Wähler ist als König dargestellt, dessen Schleppe von zwei uniformierten Männern getragen wird, die Parteien darstellen. Diese unterhalten sich mit den Worten:"Seine Majestät, der Wähler" und "Ist ja Gottseidank nur einmal in vier Jahren!".
Die Kritik der Karikatur richtet sich somit an die Parteien und sagt, dass sich diese nur zu Wahlzeiten um den Wähler kümmern und ihm Beachtung schenken, wobei sie diese Pflicht als überaus lästig empfinden.
Mich würde nun interessieren was Sie als Politikerin über diesen Vorwurf denken? Ist er berechtigt? Fühlt man sich zu Unrecht verurteilt? Fühlen Sie sich als Politikerin von solch einer Karikatur angesprochen?
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie diese für mich sehr interessante Frage beantworten und danke Ihnenschonmal im Voraus für Ihre Bemühungen.
Mit freundlichen Grüßen
Nannette Münnich
Liebe Nannette,
ich habe gelesen, Du bist Schülerin und hoffe, ich darf Dich Duzen.
Zu Deiner Frage, ob Politiker sich nur zu Wahlzeiten um den Wähler kümmern. Pauschal kann man das nicht beantworten, denn es gibt weder die Politiker, noch die Wähler. Politiker sind so unterschiedlich, wie es Wähler auch sind. Es gibt aktive Politiker, die in ihrem Wahlkreis unterwegs sind, Bürgeranfragen beantworten und sich um die Anliegen vor Ort und um die „große“ Politik in Berlin und Europa kümmern – und solche, die es weniger tun. Weil sie nicht wollen oder weil sie ein hohes Amt innehaben und einfach gar nicht auf jede Bürgerantwort selbst persönlich antworten können – und es gibt auch mal solche, die es sich in ihrem Beruf etwas gemütlicher machen. Das findest Du in jeder Branche. Und so ist es auch mit Wählern. Ich habe zum Beispiel in meinen Sprechstunden Bürgerinnen und Bürger, die regelmäßig kommen, um mit mir über Gott und die Welt zu sprechen, oder solche, die häufig eMails und Briefe schreiben, oder solche, die nur einmal wegen eines persönlichen Anliegens mich um Unterstützung bitten – oder ich treffen auf Leute, die gar nichts mit Politik und Politikern zu tun haben wollen.
Ich persönlich bin sehr oft vor Ort, bei vielen Veranstaltungen, nehme die Schreiben von Bürgerinnen und Bürgern sehr ernst und versuche mir vor Abstimmung eines Gesetzes die Bedenken/Anliegen möglichst vieler Betroffenen anzuhören und einzubringen. Und genau da liegt sicher auch ein Problem: Wie gesagt, den Wähler gibt es nicht. Und somit auch nicht die Meinung oder das Anliegen. Oft widersprechen sich Interessen von Wählerinnen und Wählern. Und diejenigen, die ihre Interessen nicht 100 Prozent vertreten sehen, sind oft sauer, beklagen sich über die Politiker, die sich nicht um sie kümmern. Aber wer Regelungen nach dem Gemeinwohl und nicht nach Einzelinteressen gestaltet, der muss damit leben, dass die Mehrheit der Bevölkerung, die gerne ihr eigenes Interesse umgesetzt gesehen hätte, nicht zufrieden ist. Beispiel: Der Hartz IV-Empfänger hätte gerne mehr Geld. Wenn er es nicht bekommt, ist der Verdruss gegen die „da oben“, die sich nicht um den Wähler kümmern, groß. Da ist der Arbeiter, der regelmäßig Steuern zahlt und sich ärgert, dass er Sozialabgaben in hoher Höhe leisten muss. Deshalb ist er auch verärgert. Ein Teil seiner Abgaben fließen u.a. als Solidarleistung an den Hartz IV-Empfänger. Der ist aber unzufrieden, dass die Zahlung so gering ist. Würde seine Zahlung erhöht, müsste der Arbeiter noch mehr Abgaben zahlen. Alles hängt eben mit allem zusammen. Und natürlich kann man es nie allen Recht machen. Auch daher rührt ein Teil des Beklagens. Kompromisse lösen eben in der Regel keine Jubelschreie aus.
Du hast mich gefragt, wie ich persönlich zu dem Vorwurf stehe, Politiker würden sich nicht um die Wähler kümmern: Für meine Arbeit kann ich sagen, dass ich sehr eng mit Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt bin und sehr, sehr viel Zeit dafür einsetze. Gewiss weiß ich auch, dass Kapazitäten nicht unendlich sind und der ein oder andere einen Bundespolitiker gerne mal einen Tag lang zum Gespräch bei sich hätte und seine Anliegen transportieren würde. Das ist aber schwer zu leisten für Rund 600 Bundestagsabgeordnete, die für über 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zuständig sind. Die Karikaturen, von denen Du sprichst, überzeichnen die Wirklichkeit – das ist ja der Sinn von Karikaturen. Und ich schließe auch nicht aus, ich bin mir sogar sicher, dass viele Menschen sagen: Ja, genau so ist es. Aber das hat sicher auch etwas mit dem jeweiligen Blickwinkel zu tun. Ich arbeite daran – wie viele, viele Kolleginnen und Kollegen übrigens auch -, dass es weniger Gründe für solche Karikaturen gibt. Aber ich habe nichts gegen politische Karikaturen, sie sind uns Mahnung - und mitunter finde ich sie auch sehr unterhaltsam. Ein bekannter politischer Karikaturist kommt übrigens aus meinem Wahlkreis (aus Hennweiler), LUFF nennt er sich. Er bringt das politische Geschehen auf den Punkt, für Differenzierungen kann dabei natürlich kein Platz sein. Ich schätze an LUFFs Karikaturen, dass er mit subtilem Humor zeichnet und eine Botschaft rüberbringt, ohne persönlich zu diffamieren.
Liebe Nannette, ich hoffe, ich habe Deine Fragen ausreichend beantwortet.
Viel Erfolg in der Schule und alles Gute!
Deine Julia Klöckner